Ukraine:Schwere Regierungskrise in Kiew

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Präsident Petro Poroschenko fordert Premier Arsenij Jazenjuk zum Rücktritt auf, weil dieser das Vertrauen der Bürger verloren habe. Ein Misstrauensvotum im Parlament übersteht der Premier aber knapp.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hat ein Misstrauensvotum im Parlament knapp überstanden. Am Dienstagabend stimmten 194 der Abgeordneten zwar für seinen Rücktritt - nötig wären jedoch 226 Stimmen gewesen. Zuvor hatte Präsident Petro Poroschenko den Premierminister sowie den Generalstaatsanwalt des Landes aufgefordert, zurückzutreten. Beide hätten das Vertrauen der Bevölkerung verloren, hieß es am Dienstag in einer Erklärung Poroschenkos. Ein Umbau oder der Rücktritt des gesamten Kabinetts seien wünschenswert, weil mehr als 70 Prozent der Bevölkerung das so wollten. Mit dem Misstrauensvotum hatten Parlamentarier von drei der vier Regierungsparteien das Kabinett eigentlich zum Rücktritt zwingen wollen. Nicht nur die Opposition, sondern auch Mitglieder der Präsidialpartei Block Poroschenko, der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko und der Partei Selbsthilfe hatten gefordert, die Regierung müsse wegen mangelnder Erfolge bei der Umsetzung von Reformen und in der Korruptionsbekämpfung gehen. Zuvor hatte Premier Jazenjuk im Parlament seinen jährlichen Rechenschaftsbericht abgegeben und angekündigt, die Regierung wolle ihr Reformprogramm trotz allem umsetzen. Es scheint jedoch so, als habe er nachhaltig das Vertrauen von Präsident Poroschenko verloren. Dieser hatte am Morgen deutlich gemacht, dass er es den Abgeordneten seiner Partei freistellen werde, gegen Jazenjuk zu stimmen. Zwischen Präsident und Premier gibt es seit Längerem Spannungen; Jazenjuk wird vorgeworfen, Reformen zu verschleppen und zu wenig gegen die Korruption zu tun. Die Ukraine sei in einer "Sackgasse", hatte der Staatschef in seiner Erklärung festgestellt, die als deutliche Kritik an der Regierung zu sehen war. Auch der Fraktionschef des Block Poroschenko hatte befunden, die Arbeit der Regierung sei "nicht zufriedenstellend". Jazenjuk dagegen hatte immer wieder betont, er werde nicht zurücktreten. Die Forderung nach dem Rücktritt der Regierung war bei Parlamentariern wie Experten umstritten gewesen, weil sie das Land mitten in einer schweren politischen und ökonomischen Krise führungslos zurückgelassen und Neuwahlen erforderlich gemacht hätte. Der Rücktritt des Generalstaatsanwalts, den dieser prompt am Nachmittag einreichte, wird dagegen allseits begrüßt. Viktor Schokin, ein Vertrauter Poroschenkos, gilt als Vertreter der alten Garde, der die Privilegien der Oligarchen schütze und Korruptionsverfahren verhindere. Auch im westlichen Ausland wird seine Entlassung seit Langem gefordert.

Dass Präsident Poroschenko den umstrittenen Premier Jazenjuk persönlich zum Rücktritt aufforderte, wurde in Kiew allgemein als Versuch gewertet, den lähmenden Machtkampf zwischen den Parlamentsfraktionen und der Regierung zu beenden.

Zugleich wird aber auch die Kritik am Präsidenten immer lauter: Zuletzt waren fünf Minister von ihren Ämtern zurückgetreten, die Partnern und Mitarbeitern Poroschenkos unzulässige Einflussnahme auf die Regierungsarbeit vorgeworfen hatten.

© SZ vom 17.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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