Das Ränkespiel, das sich in der ostukrainischen Frontstadt Mariupol rund um die Kommunal- und Regionalwahl abspielte, könnte auch aus einem drittklassigen Polit-Thriller stammen: Der lokale Oligarch (Stahlmagnat Rinat Achmetow) will den Kandidaten des Oppositionsblocks (Ableger der früheren Regierungspartei) durchsetzen und sorgt dafür, dass die Stimmzettel in seiner hauseigenen Druckerei hergestellt werden. Mitglieder der Wahlkommission und politische Gegner stürmen die Druckerei, finden aufgerissene und am Boden liegende Packen von Stimmzetteln, noch feuchte und offenbar unlängst benutzte offizielle Stempel. Der herbeigerufene Druckereichef, Zigarre im Mund, Schiebermütze auf dem Kopf, sagt unbeeindruckt, da müsse wohl irgendjemand eingebrochen sein und randaliert haben . . . So zumindest beschreibt ein Zeitungsreporter aus Mariupol, der Großstadt am Asowschen Meer, die Szenerie.
Letztlich wurde dann in der Hauptstadt entschieden, die Kommunalwahl im strategisch wichtigen Mariupol abzusagen und demnächst nachzuholen. Anhänger der Präsidentenpartei finden das richtig: Hier hätten die alten Kräfte erkennbar Wahlbetrug durch manipulierte Stimmzettel versucht. Anhänger des Oppositionsblocks und des Patriarchen Achmetow, aber auch einige Wahlbeobachter protestieren: Kiew habe verhindern wollen, dass der Oppositionskandidat siegt - und deshalb der Bevölkerung das Wahlrecht versagt.
Geschlossene Wahllokale gab es aus ähnlich undurchsichtigen Gründen auch in der ostukrainischen Industriestadt Krasnoarmiisk. Ansonsten aber verlief die erste Kommunal- und Regionalwahl in der Ukraine nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch nach demokratischen Standards. Das war jedenfalls das Urteil internationaler sowie nationaler Wahlbeobachter, wenngleich zahlreiche technische Verstöße und eine immer noch von Oligarchen dominierte und daher interessengeleitete Medienlandschaft beklagt werden. Etwa 30 Millionen Wähler waren nach einem im Mai verabschiedeten neuen Wahlrecht an die Urnen gerufen. Und auch wenn aufgrund des komplizierten Wahlsystems das Endergebnis erst an diesem Mittwoch vorliegen soll, so lauten die wesentlichen Botschaften doch: Die Ukraine ist ein pluralistisches Land. Bekannte Gesichter wurden wiedergewählt. Und nur knapp die Hälfte der Bevölkerung gingen zur Wahl.
In Kiew hat es Amtsinhaber Vitali Klitschko locker in die Stichwahl geschafft. Wer sein Herausforderer wird, ist noch nicht ausgezählt. Klitschko war als Spitzenkandidat der Präsidentenpartei Solidarität angetreten, mit der er seine eigene Partei, Udar, unlängst fusioniert hatte. Bemerkenswert war in Kiew wie in zahlreichen anderen Städten: Die Partei Samopomich, eigentlich eher im Westen des Landes beheimatet, schnitt auch in der Hauptstadt und sogar im Osten passabel ab. Ihr Parteichef und Idol, der Lemberger Bürgermeister Andrij Sadowij, nahm seine Stadt erneut im Sturm ein. In anderen westukrainischen Kommunen wurde die nationalistische Swoboda-Partei recht stark - aber eben auch nur hier, wo sie seit einem Jahrzehnt ihre Stammwähler hat.
Die Stimmen im Osten gingen etwa zur Hälfte an den Oppositionsblock. Aber überall schnitten auch die Präsidentenpartei und andere, eher proeuropäische Gruppen respektabel ab. Eine eindeutige Spaltung des Landes in prowestlich und prorussisch oder pro und contra Maidan-Aufstand ist mithin nicht erkennbar. Beeinflusst wurde das Ergebnis in zahlreichen Regionen von finanzkräftigen Oligarchen. Der Ex-Gouverneur von Dnjepropetrowsk etwa, Ihor Kolomojski, hatte eine Partei namens Ukrop ins Rennen geschickt; deren Kandidat liegt in Kolomosjkijs Heimatstadt Dnjepropetrowsk erwartungsgemäß weit vorn. In fast allen Großstädten des Landes finden am 15. November Stichwahlen statt. Womöglich soll dann auch die Wahl in Mariupol nachgeholt werden, falls es bis dahin einen entsprechenden Parlamentsbeschluss gibt - und neue Stimmzettel.