Ostukraine:Hoffnung für Mariupol

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Eine Einwohnerin Mariupols vor zerstörten Häusern. Ein Konvoi des Roten Kreuzes ist auf dem Weg in die Stadt. (Foto: Alexander Ermochenko/Reuters)

Das Rote Kreuz bemüht sich um Absprachen mit Russland, um bis zu 170 000 Menschen aus der eingekesselten Stadt zu befreien.

Von Nicolas Freund

Es scheint Hoffnung zu geben für die Menschen in der belagerten ukrainischen Hafenstadt Mariupol. Das russische Verteidigungsministerium hatte am Donnerstagmorgen erneut mitgeteilt, eine Waffenruhe einhalten zu wollen, um einen sicheren Fluchtkorridor aus der umkämpften Stadt zu ermöglichen. Mariupol wird seit Wochen von russischen Streitkräften belagert und bombardiert, große Teile der Stadt liegen in Trümmern. Strom, Wasser und Gas sind ausgefallen, es gibt keine Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln. Mehrere Versuche, Zivilisten zu evakuieren und Hilfsgüter in die Stadt im Südosten der Ukraine zu bringen, sind bisher an den anhaltenden Kämpfen gescheitert. Die Kriegsparteien beschuldigen sich gegenseitig, die stets vereinbarte Waffenruhe nicht eingehalten zu haben. Laut dem Bürgermeister sollen noch immer 170 000 Menschen in der Stadt eingekesselt sein.

Nun scheint es aber eine Absprache für Evakuierungen zwischen Russland und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz gegeben zu haben. Mehrere Teams seien mit Hilfsgütern unterwegs nach Mariupol, die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk sprach von 45 Bussen, mit denen die Menschen aus der Stadt gebracht werden sollen. Die Details der Evakuierungen scheinen indessen noch ungeklärt zu sein. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax soll der Korridor am Freitag eingerichtet werden, obwohl zunächst von einer Waffenruhe am Donnerstag die Rede war. Auch das Rote Kreuz plane die Evakuierung für Freitag, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters. Bei Twitter teilte die Hilfsorganisation mit, es müssten erst noch alle Parteien den genauen Bedingungen für eine sichere Passage zustimmen. Trotz anscheinend engmaschigerer Absprachen ist es nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen aber zweifelhaft, ob ein Hilfskorridor dieses Mal zustande kommt.

Das angeblich getroffene Lagerhaus in Mariupol. (Foto: Maxar Technologies/via Reuters)

Am Donnerstag kursierten auch Bilder, die angeblich ein bombardiertes Lager des Roten Kreuzes in Mariupol zeigen. Das Rote Kreuz teilte bei Twitter mit, keine Informationen aus erster Hand über den möglichen Angriff zu haben. Am Donnerstag sollen die Kämpfe in der Region aber unvermindert fortgesetzt worden sein, wie unter anderem der britische Militärgeheimdienst mitteilte. Gekämpft wird seit einigen Tagen auch im Zentrum der Stadt, die russischen Truppen sollen trotz hoher Verluste langsame, aber konstante Fortschritte machen. Experten gehen davon aus, dass die Stadt in wenigen Tagen vollständig in russischer Hand sein wird. Insofern könnte eine Evakuierung, falls sie stattfindet, im Interesse der russischen Armee sein, wenn möglicherweise auch ukrainische Streitkräfte den Waffenstillstand für einen Rückzug aus der wohl verlorenen Stadt nutzen. Die Armee der Ukraine hatte zuletzt allerdings nicht erkennen lassen, Mariupol aufgeben zu wollen. Für Russland ist die Stadt wegen des Zugangs zum Asowschen Meer und einer Landbrücke zur Halbinsel Krim von großer strategischer Bedeutung.

Ungeachtet des Konflikts um die Bezahlung der Gas-Lieferungen ging der Krieg in der Ukraine fast unvermindert weiter. Aus Sorge vor zusätzlichen Gefahren durch die ukrainischen Atomkraftwerke hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA am Donnerstag angekündigt, dass sie die von russischen Truppen besetzten Kraftwerke Tschernobyl und Saporischschja kontrollieren wird. Dazu würden Online-Überwachungseinsätze organisiert, sagte der Chef des staatlichen ukrainischen AKW-Betreibers Energoatom, Pertro Kotin. Um sich ein genaues Bild von der Lage zu machen, hatte der Leiter der IAEA, Rafael Grossi, zuletzt selbst die Ukraine besucht. Am Mittwoch hatte er mit Mitarbeitern des Atomkraftwerks Süd-Ukraine gesprochen. Grossi sagte, die Lage mit Atomanlagen unter fremder Kontrolle sei sehr ungewöhnlich. Zuletzt hatte es in Tschernobyl immer wieder Probleme mit Stromausfällen gegeben. Einmal hatte russischer Beschuss auch ein Nebengebäude des europaweit leitungsstärksten Atomkraftwerks Saporischschja getroffen. Seither ist die Angst groß, dass eine falsche Betreuung der AKW oder zufälliger Beschuss eine Katastrophe auslösen könnten.

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