Ukraine:Erfolg der Quereinsteiger

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Die Menschen wählen ein neues Parlament. Die Partei von Präsident Wolodimir Selenskij gilt als Favorit. Die "Diener des Volkes" besteht aus weitgehend unerfahrenen Abgeordneten, die einen Neuanfang versprechen.

Von Frank Nienhuysen, München

Ex-Komiker Wolodimir Selenskij, 41, ist seit Mai Präsident der Ukraine. Seine Partei „Diener des Volkes“ besteht aus vielen unerfahrenen Abgeordneten, darunter auch Korruptionsbekämpfern. (Foto: Efrem Lukatsky/dpa)

Bei der Parlamentswahl in der Ukraine hat die Partei des neuen Präsiden-ten Wolodimir Selenskij am Sonntag mit einem gewaltigen Abstand gewonnen und damit dessen Machtbasis deutlich gestärkt. Nach ersten Prognosen am Abend erreichte die Partei Diener des Volkes knapp 44 Prozent der Stimmen. Zweiter wurde die russlandfreundliche Oppositionsplattform mit 11,5 Prozent. Im bisherigen Parlament hatte noch das Lager des abgewählten Staatschefs Petro Poroschenko die Mehrheit. Ob der klare Sieg der Selenskij-Partei auch für eine absolute Mehrheit der Mandate reichen würde, war zunächst nicht klar. Nur die Hälfte der Sitze wird über Parteilisten vergeben, die andere über Direktmandate in den Wahlkreisen. Selenskij hatte die eigentlich für diesen Herbst geplante Wahl vorziehen lassen, um möglichst schnell parlamentarische Unterstützung für seinen Kurs zu bekommen. Der Staatschef will in der Ukraine für einen wirtschaftlich stärkeren Aufschwung vor allem die Korruption stärker bekämpfen. Er will zudem rasch den Krieg im Osten des Landes beenden und die Ukraine weiter der EU annähern.

Selenskij setzt für seine Partei auf eine Generation neuer politisch weitgehend unerfahrener Abgeordneter, darunter bisherige Aktivisten und Korruptionsbekämpfer, die nie zuvor ein Mandat oder Regierungsamt gehabt haben. Bei der Stimmabgabe am Sonntag sagte der 41 Jahre alte frühere Komiker, dass er als Regierungschef einen "professionellen, unabhängigen Wirtschaftsexperten ohne bisherigen politischen Einfluss" wünsche, "der niemals Ministerpräsident, Parlamentssprecher oder irgendein Parteichef" gewesen ist.

Neben Selenskijs Diener des Volkes, die im bisherigen Parlament gar nicht vertreten war, haben nur vier weitere Parteien den Einzug in die Oberste Rada geschafft. Zweitstärkste Kraft wurde die Oppositionsplattform, die enge Verbindungen zu Russland hat und vor allem aus einstigen Mitarbeitern und Anhängern des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch besteht. Sie wird vom früheren Präsidialamtschef Viktor Medwedtschuk angeführt, einem Vertrauten von Wladimir Putin. Allerdings hat die Partei keine Chance auf eine Regierungsbeteiligung in Kiew. Der abgewählte Präsident Petro Poroschenko kam mit seiner Partei unter dem neuen Namen Europäische Solidarität lediglich auf etwa neun Prozent der Stimmen. Sie hat ebenfalls keine Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung, weil sie nach An-sicht der meisten Ukrainer das bisherige System verkörpert und nur halbherzig versprochene Reformen umgesetzt hat. Die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und ihre Vaterlandspartei ziehen als viertstärkste Kraft ins neue Parlament ein. Als wahrscheinlichster Koalitionspartner, sollte es für Diener des Volkes nicht für eine absolute Mehrheit reichen, gilt jedoch die Partei Golos (Stimme). Sie erreicht den Prognosen zufolge etwas mehr als sechs Prozent. Golos wurde erst im Mai vom bekanntesten Rocksänger der Ukraine gegründet, Swjatoslaw Wakartschuk. Der Sänger der Band Okean Elzy lockte mit einer Kombination aus Konzertauftritten und der Präsentation lokaler Parteiteams im Wahlkampf Zehntausende Menschen an. Wakartschuk setzt wie Selenskij radikal auf jüngere politische Quereinsteiger und einen Kampf gegen Korruption und den Einfluss reicher Oligarchen. Den Beitritt in die EU und die Nato streben mit Ausnahme der Oppositionsplattform alle der künftigen Fraktionen an. Die etwa 30 Millionen wahlberechtigten Ukrainer bestimmten insgesamt 424 Abgeordnete, 26 Mandate werden wegen der von Separatisten kontrollierten Gebiete im Osten des Landes nicht vergeben. Dort sowie auf der von Russland annektierten Krim wurde am Sonntag nicht gewählt. In dem Konflikt sind in den vergangenen Jahren nach Angaben der UN etwa 13 000 Men-schen gestorben. Selenskij hat bei den Ukrainern Hoffnung ausgelöst, nachdem er vor wenigen Tagen mit dem russischen Präsidenten Putin telefoniert hatte. In der Nacht zum Wahlsonntag begann in der Ostukraine eine Waffenruhe, die zunächst auch eingehalten wurde. Zuletzt stellte Russland ein Treffen im Normandie-Format in Aussicht, mit Beteiligung der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs.

© SZ vom 22.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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