Ukraine:Die Wurzel des Problems

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Schaut mich an: Amtsinhaber Poroschenko bei einem Wahlkampfauftritt. Umfragen zufolge liegt er weit hinter seinem Gegenkandidaten Selenskij. (Foto: AFP)

Präsident Poroschenko muss um seine Wiederwahl fürchten. Neue Korruptions­ermittlungen legen den Verdacht nahe, dass er sich mit unlauteren Mitteln an die Macht klammert.

Von Florian Hassel, Warschau

Oleg Swinartschuk hat in seiner Karriere viel Freundschaft erfahren. Seit den Neunzigerjahren war Swinartschuk nicht nur Freund, sondern auch Geschäftspartner des Industriellen Petro Poroschenko. Den beiden Freunden gehörte etwa die Firma Bogdan, die Kleinbusse herstellte. 2005 übernahm Swinartschuk Poroschenkos Anteil. Nach der Weltwirtschaftskrise 2008/09 ging das Geschäft mit den Kleinbussen schleppend. Doch 2014 wurde Poroschenko Präsident.

Poroschenko ernannte den Freund, der seinen Nachnamen in Gladkowskij änderte, erst zum Chef der Kommission für Militärisch-Technische Zusammenarbeit, dann zum Vize-Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates. Gladkowskijs Firma Bogdan bekam nun lukrative Aufträge für Panzerfahrzeuge oder Armeeambulanzen. Auch sonst sollte der Freund die staatliche Waffenproduktion und den Waffeneinkauf koordinieren.

Ein wichtiger Job, zumal die Ukraine im unerklärten Krieg mit Russland liegt. 2014 bezog die Ukraine gut ein Drittel ihrer Waffen und Ersatzteile aus Russland. Schon 2015 aber behauptete der Chef der staatlichen Waffenindustrieholding Ukroboronprom, die Ukraine kaufe keinerlei Armeenachschub mehr von Russland.

Verteidigungsindustrie und Armee gelten als hochgradig korrupt

Oleg Gladkowskij hat auch einen Sohn, Igor, der 2015 gerade gut 20 Jahre alt ist, doch bald eine erstaunliche Geschäftstätigkeit entfaltet. Er wird nicht nur Statthalter des Autokonzerns Hyundai, sondern handelt auch mit Waffenersatzteilen - ukrainischen Recherchen zufolge sehr gewinnbringend. Gladkowskij junior kauft mit Geschäftspartnern Teile für das Militär in Russland, bringt sie über Umwege in die Ukraine und verkauft sie dem Staat zu teils mehrfach über dem Marktpreis liegenden Preisen weiter.

So jedenfalls hat es der Investigativdienst Bihus recherchiert. Dessen Berichten zufolge sollen staatliche Waffenindustriemanager ebenso profitiert haben wie Gladkowskij senior. Auch Präsident Poroschenko steht wegen einer bis vor Kurzem ihm gehörenden, angeblich als Zwischenhändler auftretenden Firma im Zwielicht.

Den Bihus-Journalisten zufolge sollen die drei Partner die Ukraine im Zusammenspiel mit hohen Beamten massiv übervorteilt haben. Alle angeblich Beteiligten bestreiten alle Vorwürfe. Doch Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko hat bestätigt, dass die Erkenntnisse der Journalisten auf Ermittlungen und Unterlagen seines Hauses und der Militärstaatsanwaltschaft beruhten.

Ein typischer Handel soll so abgelaufen sein: Gladkowskij junior und seine Partner sollen in Russland Höhenmesser für Antonow AN-26-Transportflugzeuge zum Preis von 84 000 Dollar gekauft, sie über die Vereinigten Arabischen Emirate in die Ukraine gebracht - und dem Staat für 567 820 Dollar weiterverkauft haben.

Derlei Recherchen erstaunen Fachleute nicht. Wie andere Teile des Staatsapparates gelten auch Verteidigungsindustrie und Armee als hochgradig korrupt. Der Direktor des Anti-Korruptions-Büros der Ukraine berichtete der SZ im April 2018 über massive Korruption etwa in der Lemberger Panzerfabrik: Dort waren in Panzer alte, kaum mehr funktionsfähige Motoren eingebaut worden; am Betrug sei der damalige Chef der Panzerfabrik ebenso beteiligt gewesen wie der damalige Chef der Abteilung für Panzerstreitkräfte im Verteidigungsministerium. Ein deutscher Ukraine-Experte mit Zugang zu Berliner Regierungsinformationen sagte der SZ im Herbst 2017 gar, Schätzungen zufolge werde bis zur Hälfte des ukrainischen Verteidigungshaushaltes "geklaut".

Neuigkeiten über Korruption in Verteidigungsindustrie oder Armee sind in der Ukraine besonders brisant, angesichts des fortdauernden Krieges und Soldaten, die oft auch wegen fehlender oder unterlegener Militärtechnik sterben. Und der Skandal schlägt nur wenige Wochen vor der ersten Runde der ukrainischen Präsidentschaftswahl am 31. März tiefe Löcher in das von Poroschenko gepflegte Image als oberster Patriot und Oberkommandierender der Armee im Kampf gegen ein feindliches Russland. Zwar entließ Poroschenko Oleg Gladkowskij, der ebenfalls alle Vorwürfe bestreitet, am 4. März aus allen Ämtern. Aber "nicht Gladkowskij, sondern Poroschenko selbst müsste entlassen werden", kommentierte der Parlamentarier Sergej Leschtschenko: "Poroschenko ist die Wurzel des Problems und Gladkowskij nur dessen Verlängerung."

Einer Umfrage der Agentur Rating zufolge liegt Poroschenko unter wahlwilligen Ukrainern mit knapp 17 Prozent weit hinter dem Spitzenreiter, Fernsehproduzent und Schauspieler Wolodymyr Selensky (25 Prozent), zurück. Poroschenko will sich am 31. März zumindest vor seine andere Hauptkonkurrentin, Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko (18 Prozent), schieben und als Zweitplatzierter in die Stichwahl am 21. April gehen.

Das Onlineportal Strana berichtete über angeblich bereits seit Januar laufende Vorbereitungen zum massiven Stimmenkauf zugunsten Poroschenkos, etwa unter Ausnutzung von Datenbanken der staatlichen Post oder Sparkasse, durch das Einwirken auf Hunderttausende Soldaten und durch den massenhafte Einsatz bezahlter "Agitatoren". Der gezielte Einsatz von Zusatzzahlungen aus dem Staatshaushalt solle dem Präsidenten "sieben bis zehn Prozent" zusätzlicher Stimmen bringen, so stellen es angebliche Mitglieder des Poroschenko-Wahlkampfstabs dar.

Der Bericht schlug hohe Wellen: vor allem, nachdem Ukraines Innenminister Arsen Awakow große Teile des Berichtes und entsprechende Polizeiermittlungen bestätigte - und den Vize-Chef der Poroschenko-Fraktion im Parlament als angeblichen Organisator des geplanten Stimmenkaufs benannte. Awakow gehört nicht zum Präsidentenlager, sondern soll eine Allianz mit Poroschenkos Konkurrentin Timoschenko pflegen. Awakow bestreitet dies und bestätigte zudem, auch gegen das Timoschenko-Lager werde wegen geplanten Stimmenkaufs ermittelt.

Kritiker glauben, dass sich der Präsident auf den möglichen Verlust der Immunität vorbereite

Kritiker glauben, dass sich der Präsident zudem auf den möglichen Verlust des Präsidentenamtes vorbereitet, wenn er seine Immunität vor Strafverfolgung verliert. Am 25. Februar erklärte das Verfassungsgericht, in der Ukraine eine Institution mit trauriger Tradition politischer Abhängigkeit und bestellten Urteilen, den Kernparagraphen des Strafgesetzbuches für angeblich verfassungswidrig, der in den letzten Jahren Dutzende Korruptionsermittlungen gegen hohe Staatsdiener ermöglicht hatte. Dabei findet sich der Paragraph 368-2, der Strafverfolgung für illegitime Bereicherung ermöglicht, ähnlich bereits in der Anti-Korruptions-Konvention der Vereinten Nationen von 2003 und wurde in der Ukraine nach der Maidan-Revolution eingeführt. Das Urteil des Verfassungsgerichts gilt als politisch motiviert, zumal die Richter den angefochtenen Paragraphen nicht etwa zur Überarbeitung ans Parlament zurückverwiesen, sondern sofort für verfassungswidrig erklärten.

Die Folge: 65 Ermittlungen oder Anklagen, teils gegen hochrangige Verbündete des Präsidenten, mussten eingestellt oder zurückgezogen werden. In einem weiteren Manöver schlug eine vom Präsidialapparat kontrollierte Berufungskommission am 6. März als Richter am Obersten Gericht 16 Kandidaten vor, die unabhängigen Experten und Bürgergruppen als möglicherweise korrupt oder politisch abhängig gelten - oder die Poroschenko früher als Anwalt vertraten. Der Präsident glaube nicht mehr an seinen Sieg und bringe jetzt "hörige Richter ins Amt, die ihn nach dem Verlust der Macht absichern", kommentierte der Abgeordnete Leschtschenko - und trat aus Protest aus der Parlamentsfraktion des Präsidenten aus.

© SZ vom 12.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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