Ukraine:Der Feind im Haus

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Blick durch die Trümmer des Krieges: eine Bewohnerin von Horliwka im Donezker Gebiet, das von Separatisten kontrolliert wird. (Foto: Alexander Ermochenko/dpa)

Offiziell verhandelt die ukrainische Regierung in Minsk über eine Friedenslösung für die Ostukraine. Aber in Kiew mehren sich die Stimmen derer, die das als Verrat betrachten.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Vor Kurzem hat Oxana Syroyid einen viel beachteten Aufsatz für die ukrainische Wochenzeitschrift Serkalo Nedeli geschrieben; sie greift darin auf ein drastisches Beispiel zurück, um ihre Gefühlslage auszudrücken: Man stelle sich vor, schreibt sie, sie komme arglos nach Hause in die eigene Wohnung, aber der Nachbar habe ein Loch durch die Wand gebrochen und es sich in ihrer eigenen Wohnung gemütlich gemacht. Kein Drängen, kein Bitten, kein Flehen könne ihn dazu bewegen, wieder zu gehen, Hilferufe blieben ungehört - und nach einer Weile, der Nachbar sei immer noch da, sagten die anderen Hausbewohner schließlich: Da könne man eben nichts machen, sie solle sich mit dem Nachbarn, der das Loch in die Wand geschlagen hat, doch irgendwie einigen. Vielleicht könne man die Wohnung ja teilen?

Syroyid ist stellvertretende Parlamentsvorsitzende in der Kiewer Rada, sie gehört der Partei Samopomitsch des populären Lemberger Bürgermeisters Andrij Sadowij an und gilt in der Ukraine als politische Hardlinerin. Samopomitsch ist gegen jedwede Kompromisslösung im Krieg gegen die von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine, die auf Kosten der Ukrainer ginge. Syroyid, kosmopolitisch, mehrsprachig, selbstbewusst, fällt als Vize-Vorsitzender des Parlaments dabei die Aufgabe zu, in Kiew die Schaukelhaltung der aktuellen Regierung und des Präsidenten anzuprangern. Sie plädiert dafür, die "Autonomen Volksrepubliken" in Donezk und Luhansk endlich als "okkupiertes Gebiet" zu deklarieren und damit auch öffentlich anzuerkennen, dass Moskau den Osten besetzt habe. Ihr Fahrplan der "Deokkupation" sähe vor, die besetzten Gebiete zurückzuerobern, Kriegsrecht auszurufen, die Region aufzubauen und dann wieder eine zivile, ukrainische Verwaltung einzusetzen.

"Wer spricht denn im Westen über die Realität im Donbass? Wer über die Anwesenheit der Russen?"

Ihren martialischen Plan begründet sie mit dem, was sie sinngemäß eine Lebenslüge der Minsker Verhandlungen nennt: "Wer spricht denn im Westen über die Realität im Donbass? Wer über die Anwesenheit der Russen auf unserem Territorium? Wir werden gemahnt, die Flüchtlinge besser zu behandeln, aber keiner redet darüber, warum sie da sind. Man sagt uns, wir sollten uns einigen, aber das ist wie eine Aufforderung zur Selbstverletzung."

Syroyid steht mit ihrer Haltung nicht allein da im Land, aber offiziell äußern sich nur wenige Politiker so. Vor Kameras und auf offener Bühne hieß es in Kiew vor der parlamentarischen Sommerpause vielmehr wochenlang, man werde nun demnächst das Wahlgesetz für die Separatistengebiete verabschieden und eventuell auch die Dezentralisierung in zweiter Lesung beschließen, die mit den Lokalwahlen eng gekoppelt ist. Passiert ist beides nicht.

Erst müsse die Sicherheit in der Region gewährleistet sein, heißt es dazu in Kiew, was bedeuten würde: Ende der Kämpfe, Rückzug aller Waffen, Schließung der Grenze zu Russland, von wo sonst ungeregelt und unkontrolliert Waffen und Soldaten weiter einsickern könnten - und dann erst freie und geheime Wahlen, die den Standards der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit genügen würden. In Donezk und Luhansk, den Hauptstädten der "Volksrepubliken", wird indes erst das Wahlgesetz und eine Dezentralisierung eingefordert, was in den Augen der dortigen Führungen einer Aufwertung ihrer Regime gleichkäme. Erst vor wenigen Tagen wurden die ursprünglich von den Separatisten für Juli angesetzten Wahlen in ihren Gebieten auf den Herbst verschoben; man wollte dort offenbar nicht warten, bis eine Einigung in Kiew oder Minsk zustande kommt, sah aber derzeit wohl auch keinen propagandistischen Vorteil darin, jetzt eigene Wahlen abzuhalten.

Unterdessen geht der Krieg in der Ostukraine ins dritte Jahr, fast zehntausend Menschen, Soldaten wie Zivilisten, sind mittlerweile umgekommen, und täglich kommen Opfer hinzu. Allein in den vergangenen Tagen sind an der Front nördlich von Luhansk sechs, südlich von Donezk sieben ukrainische Soldaten gefallen; wie viele Soldaten auf Separatistenseite zu Tode kommen, ist oft nur schwer zu erfahren. In der OSZE ist zu hören, dass die fortdauernden Kämpfe vor allem darauf zurückzuführen seien, dass die in Minsk vor anderthalb Jahren verabredeten Abstände zur sogenannten Kontaktlinie nicht eingehalten würden.

Beide Seiten seien nach wie vor auf Geländegewinne aus und stünden sich, vor allem an strategisch wichtigen Straßen, so nah gegenüber, dass ständige Scharmützel nicht ausblieben. Oft sei es mühsam genug, für einige Stunden die Einstellung der Gefechte zu erreichen, damit die beschädigte Infrastruktur, unter der die Zivilbevölkerung massiv leide, zu reparieren. Ein westlicher Experte sagt mit Blick auf die Lage, die im Osten als Krieg, im Westen als Stillstand wahrgenommen wird, erschöpft: Es braucht wenig, um diesen Konflikt am Laufen zu halten, da kann man noch so viel politischen Willen zeigen, um irgendetwas zu bewegen."

Was die Separatisten wollen und was damit letztlich Moskau will, darüber wird sowohl bei den regelmäßigen Treffen in Minsk als auch in Kiew weiter gerätselt. Die russischen Gesprächspartner, die ja offiziell nicht zu den Vertretern einer Konfliktpartei gerechnet werden, seien in der Regel hervorragend vorbereitet, zeigten sich auch immer wieder beweglich - nur um dann zwei Wochen später wieder eine ganz andere Linie zu vertreten. Oxana Syroyid sieht ihr Land und ihre Regierung erst einmal nicht in der Pflicht: Die Grundlagen für alle in den Augen der Minsker Partner nötigen Verfassungsänderungen seien gelegt, der Sonderstatus des Donbass sei beschlossen, aber noch nicht implementiert, nur das Wahlgesetz stehe aus. 60 Prozent aller Forderungen habe man also umgesetzt.

Wenn nun das Wahlgesetz samt allen anderen Gesetzen in Kraft träte, dann werde damit automatisch die Legitimität der Separatisten-Regime anerkannt. "Und das würde bedeuten, dass wir quasi anerkennen, dass wir uns in einem internen Konflikt, in einem Bürgerkrieg befinden. Dabei könnten wir von einem Bürgerkrieg nicht weiter entfernt sein." Russland sei Nachbar und Feind, so die Kiewer Politikerin, und vor dem könne man nicht davonlaufen.

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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