Ukraine:Charité-Ärzte erklären Timoschenko für verhandlungsunfähig

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Nach Einschätzung von Charité-Ärzten ist die ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko zu krank, um an einem Verfahren gegen sie teilzunehmen. Ihre Schmerzen müssten mit starken Medikamenten betäubt werden. Jetzt muss sich die Politikerin von einem Amtsarzt untersuchen lassen.

Die in Haft erkrankte ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko ist nicht zu ihrem zweiten Prozess erschienen und muss sich nun von einem Amtsarzt untersuchen lassen. Die Entscheidung eines Gerichts in der Stadt Charkow gilt als Rückschlag für Timoschenko, die ukrainischen Medizinern misstraut und sich von deutschen Spezialisten behandeln lässt. Der Richter setzte die nächste Verhandlung für den 10. Juli an, wie Medien berichteten.

Zu krank für den Gerichtssaal: Julia Timoschenko kann laut Arzt nicht an Prozess teilnehmen. (Foto: dapd)

Unter Berufung auf ein Gutachten des Chefarztes der Berliner Charité, des Neurologen Professor Karl Max Einhäupl, hatte sich die 51-jährige Timoschenko geweigert, an dem Prozess teilzunehmen. Ihr Verteidiger Sergej Wlassenko forderte, den Prozess zu verschieben, bis es seiner Mandantin wieder besser gehe.

Ein anderer Neurologe der Berliner Charité, Lutz Harms, bekräftigte die Diagnose Einhäupls: Die ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko sei nicht verhandlungsfähig. Ihre Schmerzen müssten mit Medikamenten betäubt werden, sagte Harms der Online-Ausgabe der Berliner Zeitung Morgenpost. Harms war bereits zweimal in dem Krankenhaus im ukrainischen Charkow, um Timoschenko zu behandeln.

"Sie war nicht fähig, längere Zeit auf einem Stuhl zu sitzen. Auch der sitzende Transport in den Gerichtssaal wäre ein Problem", sagte Harms. "Dazu kommt der Stress, den das Ganze auslöst. Belastungen wie diese sind bei einem chronischen Schmerzsyndrom kontraproduktiv." Harms erinnerte daran, dass Timoschenko zunächst sehr langsam Ende Mai aus ihrem 14-tägigen Hungerstreik herausgeführt werden musste, der sie zusätzlich sehr geschwächt habe. Derzeit könne sie ein Bein kaum bewegen. Auch eine Operation sei nicht ganz ausgeschlossen.

Neurologe empfiehlt Hausarrest

Der Neurologe empfahl, die Oppositionsführerin nach Kiew zu überweisen. "Noch besser wäre es, sie unter Hausarrest zu stellen. Es gehört zu den Hauptproblemen bei dieser Therapie, dass Frau Timoschenko dieses große Misstrauen gegenüber den Behörden und also auch gegenüber den Ärzten hat, mit denen wir zusammenarbeiten."

Deshalb lehne die 51-Jährige wichtige diagnostische Maßnahmen ab. Selbst Blut lasse sie sich nicht abnehmen. Zudem müsse es in dem Krankenhaus in Charkow eine entspanntere Atmosphäre für die Patientin geben, forderte Harms. "Davon kann keine Rede sein, solange Wachpersonal und Kameras im Krankenzimmer sind", kritisierte der Neurologe. Zudem müsse die Patientin wieder in die Sonne schauen können. "Die Fenster sind mit milchglasartiger Folie verklebt."

Der Anführerin der prowestlichen Orangefarbenen Revolution von 2004 drohen zwölf weitere Jahre Haft, weil sie in ihrer Zeit als Chefin eines Energiekonzerns in den 1990er Jahren 681.000 Griwna Steuern, rund 68.000 Euro, nicht gezahlt haben soll. Zudem habe sie dem Staat einen Schaden von 30 Millionen Griwna zugefügt.

Timoschenko war im Oktober 2011 in einem international kritisierten Verfahren wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Straflager verurteilt worden. Der Fall überschattet auch die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine. Als Vertreter des EU-Parlaments beobachteten der polnische Ex-Staatschef Aleksander Kwasniewski und der frühere EU-Parlamentspräsident Pat Cox aus Irland den Prozess.

© dpa/AFP/str - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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