Überraschende Aussage im Al-Qaida-Prozess:"11.September wurde nicht in Hamburg geplant"

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Die Terroranschläge vom 11. September 2001 wurden nach Überzeugung des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht in Hamburg, sondern in Afghanistan geplant. Erst dort seien die Todespiloten um Mohammed Atta, die der mutmaßliche Terrorhelfer Mzoudi von Hamburg aus unterstützt haben soll, in die Pläne eingeweiht worden.

Von Ralf Wiegand und Nicolas Richter

(SZ vom 25.10.2003) - Abdelghans Mzoudis Anwälte beantragten nach Aussage des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm die Entlassung ihres Mandanten aus der Untersuchungshaft.

Grund für die Vorladung Fromms vor Gericht war ein Interview, das dieser der Süddeutschen Zeitung Anfang September gegeben hatte. Darin hatte er erklärt, die Anschläge in New York und Washington seien nicht in Hamburg geplant worden. "Dies geschah - soweit wir wissen - in Afghanistan".

Eigentlich hätten die Hamburger Islamisten in Tschetschenien kämpfen wollen, hätten sich dann aber nach Afghanistan orientiert. "Dort wurden sie von den Planern der al-Qaida rekrutiert". Nur für Fragen zu diesem Interview hatte Fromm vom Bundesinnenministerium eine Aussagegenehmigung für den Hamburger Prozess bekommen; er durfte Informanten nicht gefährden und lediglich öffentliche Quellen nennen.

Erstauntes Gericht

Die Ansicht Fromms findet sich auch im Bericht des Verfassungsschutzes (BfV) für das Jahr 2002, aus dem der BfV-Chef zitierte. Auch hält der Verfassungsschutz ebenso wie Experten in anderen Ländern ein Interview des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira mit den inzwischen festgenommenen mutmaßlichen Drahtziehern der Anschläge, Khalid Scheich Mohammed und Ramsi Bin al-Schibb, von April 2002 für authentisch. Darin gestanden die beiden dem Journalisten Yosri Fouda die Planung der Anschläge. Auch ein Buch Foudas ("Masterminds of terror") wurde von Fromm als Quelle genannt. Es ist in jeder Buchhandlung zu bekommen, das Gericht hatte allerdings von dem Buch keine Kenntnis.

Fromm sagte vor Gericht, dem Verfassungsschutz seien vor der Abreise der Hamburger Gruppe nach Afghanistan keine Aktivitäten bekannt gewesen, "die mit Flugausbildung zu tun hatten oder auch nur darauf hindeuteten, in die USA reisen zu wollen". Dass auf einem in Hamburg sichergestellten Computer bereits vor Dezember 1999, als Mohammed Atta zur Ausbildung nach Afghanistan reiste, der Besuch von Internet-Flugsimulatoren festgestellt worden war, wie die Staatsanwaltschaft einwarf, bezeichnete Fromm als "nicht relevant".

Der Marokkaner Mzoudi ist der zweite mutmaßliche Komplize der Attentäter vom 11. September, gegen den das OLG Hamburg verhandelt. Bereits im Frühjahr war sein Landsmann Mounir El Motassedeq zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Fromm sorgte mit seiner Aussage für Erstaunen. Der Vorsitzende Richter Klaus Rühle sagte, wenn Fromms Aussage zuträfe, dann hätte Motassadeq "freigesprochen werden müssen".

Die Staatsanwaltschaft unterstellte Fromm, sich womöglich gegen den Vorwurf einer schlampigen Beobachtung der Hamburger Gruppe schützen zu wollen. Bundesanwalt Walter Hemberger blieb bei seiner Anklage. Danach entschloss sich die Hamburger Zelle unter Attas Führung "spätestens im Frühsommer 1999", also noch in Hamburg, Terroranschläge mit Flugzeugen gegen die USA zu verüben. Auch der Verfassungsschutz glaubt, dass die Gruppe bereits vor Dezember 1999 aufs Äußerste radikalisiert war.

Fraglich ist die Auswirkung der Aussage Fromms auf das weitere Verfahren gegen Mzoudi. Diesem wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in 3066 Fällen vorgeworfen. Die Anklage hält ihm eine Reihe von Hilfsdiensten im Jahr 2000 vor, also zu einem Zeitpunkt, da nach einhelliger Meinung der Anschlagsplan bereits feststand.

Sein Verteidiger Michael Rosenthal sagte der Süddeutschen Zeitung, die Aussage Fromms könne eine Wende im Prozess bedeuten. Die unterstellte Mitwisserschaft Mzoudis beruhe nämlich nur auf Indizien aus dem langen gemeinsamen Zusammenleben der mutmaßlichen Terroristen. "Wenn nun der Plan erst von Ende 1999 stammt, dann ist es unwahrscheinlich, dass Mzoudi als Mitläufer noch davon erfahren hat."

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