Türkische Offensive im Irak:Schlager-Diva gegen Armee

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"Für diesen Krieg würde ich mein Kind nicht unter die Erde schicken." Die Schlagersängerin Bülent Ersoy ist dem türkischen Militär wegen des Irak-Einsatzes in die Parade gefahren - und soll dafür vor Gericht.

Kai Strittmatter

Eines vorweg. Bülent Ersoy ist etwas schrill und trägt ihr Make-up gerne wie eine Maske über den aufgespritzten Lippen, was Damen, die auf die 60 zugehen, selten gut bekommt, aber sie ist keine Witzfigur und hat sich nie als solche verkauft.

Bülent Ersoy hat in der Türkei eine heftige Debatte ausgelöst. (Foto: Foto: Reuters)

Bülent Ersoy ist eine so ernsthafte wie exzentrische Künstlerin, die mit klassischer türkischer Musik das Publikum erobert hat. Eine Politikerin war sie nie, und deshalb hat sie der Sturm wohl überrascht, der nun über sie hinwegfegt. Aber vielleicht brauchte es einen Mann, der eine Frau geworden ist, um in diesem Land ein paar simple Wahrheiten auszusprechen.

Und wenn die im Parlament nicht zu hören sind, warum dann nicht im Unterhaltungsfernsehen? In der immens populären Show "Popstar Alaturka" in diesem Falle, einer Art "Die Türkei sucht den Superstar". Da hörten dann auch ungleich mehr Leute zu als im Parlament.

Bülent Ersoy ist Jurorin in der Show, die regelmäßig Spitzenreiterin bei den Einschaltquoten ist und in der die Talente sich vor allem in der türkischen Kunstmusik versuchen.

Am Montag dieser Woche - die türkische Armee schickte gerade den vierten Tag Siegesmeldungen von ihrem Einmarsch in den Nordirak nach Hause - hielt plötzlich der Krieg Einzug in die bunte Welt des türkischen Billigfernsehens. Das Publikum wurde Zeuge eines erstaunlichen Schlagabtausches.

Jurorin Bülent Ersoy also, ganz Diva mit wehendem Haar und weitem Ausschnitt im weißen Kleid, ergriff das Mikrophon und hatte dies zu sagen: "Für diesen Krieg der Anderen würde ich mein Kind nicht unter die Erde schicken. Das wird doch alles von Leuten am grünen Tisch bestimmt, die dann entscheiden, dass ein paar Kinder sterben sollen."

Die anderen Juroren waren offenbar ebenso verstört wie das Publikum. Ersoy fuhr fort: "Ich kann nicht wissen, was das bedeutet, ein Kind zu haben und es dann zu verlieren. Ich bin keine Mutter und kann auch keine werden. Aber ich bin ein Mensch." Pause. Verblüffter Applaus.

Die Ko-Jurorin und Sängerin Ebru Gündes hatte sich in dem Moment gefasst und holte zum Gegenschlag aus: "So Gott will, schenkt er mir einen Jungen, den schicke ich dann zum Militär", hob sie an: "Für dieses Land wird er kämpfen wie ein Löwe. Und wenn das Schicksal seinen Tod will, dann sei es so." Patriotischer Applaus.

Bülent Ersoy war noch nicht fertig: "Dann schicken sie dir seine Leiche zurück." - "Die Märtyrer sind unsterblich, das Land ist unspaltbar", parierte die junge Ebru Gündes feierlich. Jetzt platzte es aus Bülent Ersoy heraus: "Ach, immer dieselben Klischees, immer dasselbe Geschwätz. Kinder sterben, es gibt Blut, Tränen, Tote... und dann diese hohlen Worte."

Es war ein denkwürdiger Auftritt. Dies ist die Türkei. Das Land, das seinen Jungen diesen Satz eintrichtert: "Jeder Türke ist zum Soldaten geboren." Das Land, das keine Kriegsdienstverweigerung kennt. Das Land, das seine toten Soldaten nicht einfach "Gefallene" nennt, sondern "Märtyrer". Als stürben sie für eine heilige Sache. Hier sehnte das Massenblatt Hürriyet den Marschbefehl gegen die kurdischen Rebellen von der PKK schon Ende des letzten Jahres mit der Schlagzeile "Eine Nation, ein Körper" herbei.

Am Donnerstag meldete dieselbe Hürriyet voller Befriedigung "230 tote Terroristen" und schrieb als Schlagzeile darüber: "Rache für Daglica". In Daglica waren letzten Herbst zwölf türkische Soldaten von der PKK getötet und acht entführt worden, der Angriff gilt als Auslöser für die Militäroperation heute. Über "Märtyrer" und ihre Familien schreibt Hürriyet am Donnerstag so: "Die Mutter drückte das Bild ihres Sohnes auf die Brust und erstickte in Tränen. Der Vater sagte ,Heil dem Vaterland'."

Unter der Gürtellinie

Und jetzt kommt eine alternde Diva und fährt der glorreichen türkischen Armee in die Parade? Die Reaktionen waren vorhersehbar. Der Proteststurm nationalistischer Anrufer beim Sender Star TV. Die Verantwortlichen des Senders, die sich von Ersoy distanzierten. Der Staatsanwalt von Bakirköy, der ein Verfahren gegen Bülent Ersoy eingeleitet hat, wegen "Entfremdung des Volkes vom Militärdienst", worauf in der Türkei bis zu drei Jahre Haft stehen. Es gab Schläge unter die Gürtellinie. "Wenn wir so mutig wären wie Bülent Ersoy", spottete der AKP-Abgeordnete Hüsrev Kutlu, "dann würden wir uns vielleicht auch unser Ding abschneiden lassen."

Fortsetzung auf der nächsten Seite: Mit 28 Jahren ein bekannter Sänger - und dann Bühnenverbot wegen einer Geschlechtsumwandlung.

Das war nicht die einzige Anspielung auf die Geschlechtsumwandlung Bülent Ersoys, der mit 28 Jahren schon ein bekannter Sänger war, als er zur Frau wurde, 1980, in einer Klinik in London. Im selben Jahr putschte in der Türkei das Militär. Putschgeneral Kenan Evren erteilte Ersoy Bühnenverbot. Ersoy lebte eine Zeit lang in Deutschland, sie trat in London auf und im New Yorker Madison Square Garden.

Nach einer Gesetzesänderung 1988 durfte sie in der Türkei wieder auftreten und feierte große Erfolge, dank ihrer Stimme und ihrer Musik. Aus ihrer Abneigung gegen die alten Putschgeneräle macht sie seither keinen Hehl. Ansonsten fiel sie außerhalb des Unterhaltungszirkus, wenn überhaupt, nicht durch politische, sondern hie und da durch manch gottesfürchtige Äußerungen auf.

Es gibt auch eine Türkei abseits der nationalistischen Reflexe. Bülent Ersoy hat mit ihrem pazifistischen Plädoyer in der türkischen Gesellschaft eine Saite zum Klingen gebracht, die bislang niemand hörte. Die Stimme all jener, die sich von den rollenden Panzern betrogen sehen, warten sie doch noch immer vergeblich auf die versprochenen Reformen und politischen Initiativen ihrer Regierung im Kurdengebiet. Vor allem ist es ein Aufschrei der Frauen.

Da ist die bekannte Autorin Perihan Magden, die sich hinter Ersoy stellte, weil diese "so furchtbar recht" habe, und die ihrer eigenen Zeitung, der vermeintlich liberalen Radikal vorwarf, im Verein mit allen anderen "für den Krieg und für das Heldentum" Propaganda zu betreiben. Da ist das ehemalige Schlagersternchen Pakize Suda. Sie darf sogar im Armeesprachrohr Hürriyet schreiben, sie "verfluche alle, die auch in 85 Jahren die Unspaltbarkeit unseres Landes noch nicht garantieren konnten und die unsere Kinder seit 30 Jahren in den Kampf führen".

Die Sängerin Sezen Aksu, die große Diva der Türken, die Bülent Ersoy sofort anrief und ihre Solidarität versprach. Sezen Aksu hat gerade selbst ein Anti-Kriegslied geschrieben, in dem sie das Volk beklagt, dessen "Wiegenlieder Heldengeschichten" sind und dessen Landkarte eine "Geographie der toten Kinder" wiedergebe. In der rechten Zeitung Aksam greift die Kolumnistin Nagehan Alci die allgegenwärtige "Ästhetisierung und Verherrlichung der Gewalt, der Bombardements, des Todes" in den türkischen Medien an: "Man versucht es, aus unserem Gedächtnis auszuradieren - aber auch in diesem Land gibt es das Recht, Gewalt abzulehnen."

Es ist vor allem die junge linksliberale Zeitung Taraf, die Bülent Ersoy eine Plattform gibt. Sie nannte die Sängerin eine "Mutter Courage" und fragte: "Wie kann sich diese Gesellschaft am Tod so erfreuen? Hat sie kein Gewissen?" Bülent Ersoy trat am Mittwoch erneut vor die Presse. Ungebeugt. "Ich ziehe das Leben dem Tod vor", sagte sie.

Die Rundfunkaufsichtsbehörde beriet am Donnerstag über die Zukunft Ersoys im türkischen Fernsehen. In einer vorläufigen Erklärung heißt es, Bülent Ersoy habe zu Zeiten einer Militäroffensive "die Gefühle der Eltern getöteter Soldaten völlig missachtet". Sie habe das Prinzip verletzt, wonach Fernsehsendungen "nicht gegen die nationalen und moralischen Werte der Gesellschaft" verstoßen dürften. Bülent Ersoy sagt, sie wolle nur eines: Probleme friedlich gelöst sehen. "Ist das eine Straftat? Dann hängt mich doch auf."

© SZ vom 29.2.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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