Türkei:Verfassungsausschuss billigt Entwurf

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan kommt seinem Ziel näher, in der Türkei ein politisches System zu errichten, das ihm mehr Macht gäbe. Der Verfassungsausschuss hat den Weg freigemacht.

Von Luisa Seeling, München

Der Verfassungsausschuss des türkischen Parlaments hat den Weg für die Einführung eines Präsidialsystems freigemacht. Die Kommission habe den Entwurf in einer 17-stündigen Marathonsitzung überarbeitet und gebilligt, berichteten türkische Medien am Freitag.

Der Ausschuss ist mehrheitlich mit Abgeordneten der Regierungspartei AKP besetzt, auf deren Seite sich auch die ultranationalistische MHP geschlagen hat. Die sozialdemokratische CHP und die prokurdische HDP, beide Gegner der Präsidialpläne, sind in der Unterzahl. Dass der Ausschuss den Entwurf annehmen würde, galt deshalb als nahezu sicher. Bemerkenswert war allenfalls das Tempo: 45 Tage hätte der Ausschuss Zeit gehabt, er brauchte aber nur neun Tage. Die Debatte im Parlamentsplenum soll nun im Januar beginnen. Schon im April könnte dann das Volk über die Pläne abstimmen.

Damit ist Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinem Ziel etwas näher gekommen, ein Präsidialsystem einzuführen. Er verfolgt es seit seiner Direktwahl zum Präsidenten 2014 - das Amt war bis dahin vornehmlich repräsentativ. Da die Verfassung eine Parteimitgliedschaft des Staatschefs verbietet, musste Erdoğan aus der von ihm mitgegründeten AKP austreten. In der neuen Verfassung würde das Neutralitätsgebot aufgehoben. Erdoğan dürfte die AKP führen und zugleich Chef der Exekutive sein, das Amt des Premiers würde abgeschafft. Er bekäme außerdem mehr Einfluss auf die Justiz. CHP und HDP warnen vor einer "Präsidialdiktatur". Erdoğans Anhänger argumentieren, das Präsidialsystem sei nötig, um fragile Koalitionsregierungen zu vermeiden.

Bisher fehlte Erdoğan die notwendige Mehrheit: Seine AKP kommt auf 317 Sitze im 550-köpfigen Parlament, braucht aber 330, um ein Referendum über eine Verfassungsänderung anzusetzen. Sie hat deshalb einen Pakt geschlossen mit MHP-Chef Devlet Bahçeli, der sich nach Jahren der Verweigerung zuletzt bereit erklärt hatte, die AKP zu unterstützen. Ein Grund dafür könnte sein, dass die MHP zuletzt an Bedeutung verlor. Bei den Wahlen im November 2015 kam die Partei nur auf den vierten Platz, noch hinter der HDP. Auch deshalb gab es diesen Sommer eine Meuterei von Teilen der Partei gegen Bahçeli, der den Aufstand nur mit indirekter Hilfe der AKP in den Griff bekam. Vom neuen System erhofft er sich wohl einen Machtzuwachs; in Ankara heißt es, er könnte Erdoğans Vize werden.

Noch allerdings steht nicht fest, dass die Partei ihrem Chef folgt. Einige MHP-Abgeordnete seien ganz und gar nicht einverstanden mit Erdoğans Plänen, vor allem an der Basis rumore es, schreibt Hürriyet-Kolumnist Serkan Demirtaş. Die Abstimmung im Parlament werde knapp ausfallen. Eine weitere Unbekannte: das Volk. Eine von der Oppositionszeitung Cumhuriyet veröffentlichte Umfrage sieht die Gegner eines Präsidialsystems knapp vorne; 44,6 Prozent der Befragte würden mit dagegen, 42,3 Prozent dafür stimmen, der Rest sei unentschlossen. Allerdings: Die Regierung verweist auf Umfragen, in denen, wenig überraschend, die Befürworter vorne liegen.

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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