Türkei:Öl ins Feuer des Antisemitismus

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Politiker in Istanbul loben die historisch guten Beziehungen zu den Juden - doch der Antisemitismus im Land wächst.

Kai Strittmatter, Istanbul

Nach seinem stürmischen Auszug von Davos stellte der türkische Premier Tayyip Erdogan als erstes klar: Er habe regelmäßig jede Form von Antisemitismus verurteilt.

Das Unbehagen in der jüdisch-türkischen Gemeinde wächst. Es gibt die Angst, Erdogans Ausfälle könnten eine anti-israelische Stimmung im Land schaffen. Im Bild: Protest vor der Israelischen Botschaft in Ankara Ende 2008 gegen die Angriffe Israels im Gaza-Streifen. (Foto: Foto: Reuters)

Das stimmt. Am 10. Juni 2005 sagte Erdogan sogar, Antisemitismus sei "das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit". An dem Tag bekam Erdogan einen Preis verliehen von der jüdischen Anti-Defamation-League.

Er nahm ihn stellvertretend entgegen für die türkischen Diplomaten, die während des Holocausts vielen europäischen Juden die Ausreise in die Türkei ermöglichten und ihnen damit das Leben retteten.

Flucht von Zwangskonvertierung

Die türkische Regierung erzählt gerne von der Türkei als Exil für verfolgte Juden. Es ist eine stolze Tradition, sie geht zurück bis aufs Jahr 1492. Damals flohen die Juden Spaniens vor Zwangskonvertierung und Tod - die meisten ins Reich der Osmanen. Sultan Beyazid hatte sie eingeladen.

Noch heute leben mehr als 20.000 dieser aus Spanien stammenden Juden in Istanbul, Sephardim nennen sie sich. "Die Türkei war ein sicherer Zufluchtsort für alle Religionsgruppen seit dem 15. Jahrhundert", sagte Ahmet Davutoglu, Osmanenfan und Architekt von Erdogans Außenpolitik, während der israelischen Offensive im Gaza-Streifen: "Es gibt keinen einzigen Fall von Antisemitismus in der Türkei." Das ist die offizielle Regierungspropaganda. Die zunehmend hohl klingt.

Das Unbehagen in der jüdisch-türkischen Gemeinde wächst. Und auch wenn keiner hier den Premier des Antisemitismus bezichtigen würde, gibt es doch die Angst, dass die anti-israelischen Ausfälle Erdogans eine Stimmung schaffen, in der sich Antisemiten ermutigt fühlen.

Erdogans Wutanfall: Öl ins Feuer des Antisemitismus

Immerhin hat Erdogan Schimon Peres "Kindermörder" genannt. "Der Wutanfall von Erdogan in Davos ist Öl ins Feuer des wachsenden Antisemitismus in der Türkei", glaubt David A. Harris, Direktor des American Jewish Committee (AJC). Antiisraelische Demonstrationen in der Türkei waren während Israels Gaza-Offensive so groß und so zornig wie nie zuvor.

Zeitgleich mit Erdogans Auftritt in Davos lief auf einem kleinen Kabelsender eine "Dokumentation" mit dem Titel: "Zwischen Hitler und den Juden gibt es keinen Unterschied": Bilder aus Konzentrationslagern neben Bildern aus dem Gaza-Streifen. In der Stadt Eskisehir trat der "Osmangazi-Kulturverein" vor die Presse mit Plakaten: "Durch diese Tür dürfen keine Juden und Armenier / Eintritt nur für Hunde".

"Heute ist in mir etwas zerbrochen", hatte letzte Woche die Autorin Leyla Navaro, eine Istanbuler Jüdin in der liberalen Radikal geschrieben - nach einer Rede Erdogans, in der dieser die türkischen Juden indirekt für das Geschehen in Israel mit verantwortlich zu machen schien: "Ich bin besorgt, traurig und habe Angst um mich selbst und um die Zukunft meines Landes, das mehr und mehr rassistisch wird". Immerhin: Nach Erscheinen des Artikels meldete sich Staatspräsident Abdullah Gül bei ihr, um ihr den Rückhalt des Staates zu versichern.

Die Türkei hatte eigentlich nie eine starke antisemitische Tradition. Schikanen wie die Verschickung in Arbeitslager in den 1920er Jahren trafen Juden, Griechen und Armenier gleichermaßen. Antijüdische Stimmungsmache wurde jedoch stärker während der Karriere des Islamistenführers Necmettin Erbakan in den neunziger Jahren; 2003 dann sprengten sich Al-Qaida-Attentäter vor zwei Istanbuler Synagogen in die Luft.

Autoren als "Kryptojuden" entlarvt

Außerdem erschienen Bücher über die "Sabbataisten" - vor Jahrhunderten zum Islam bekehrte Juden, die angeblich nie ihr Judentum aufgegeben hatten. Noch heute werden regelmäßig Politiker oder Generalstabschefs von obskuren Autoren als "Kryptojuden" entlarvt. Auch Tayyip Erdogan und seine Frau Emine selbst hatten schon die Ehre ("Die Kinder Moses'" heißt der Bestseller).

Der Staat pflegte schon während des Kalten Krieges gute Beziehungen zu Israel, 1996 schlossen beide Länder einen Militärvertrag. Die Armee war die treibende Kraft, aber auch die Regierung weiß, was sie an Israel hat: Seit Jahren steht die jüdische Lobby in Washington auf der Seite der Türkei, wenn es um Dinge geht wie eine mögliche Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch den US-Kongress.

Das AJC erinnerte Erdogan am Freitag daran, dass sein Land stets "die Unterstützung der amerikanischen Juden" genossen habe. Aber nun könne man nicht länger schweigen.

© SZ vom 31.01.2009/cop - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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