Türkei:Justiz stoppt Berichte nach Selbstmord von Studenten

Nach dem Selbstmord eines türkischen Studenten, der die Lebensbedingungen im Wohnheim einer konservativen islamischen Gemeinde nicht mehr ertragen hatte, hat die Justiz einen Berichterstattungsstopp ausgesprochen. Berichte über den Fall in der anatolischen Stadt Elazığ in den lokalen Medien wurden von Websites genommen. Türkischen Medienberichten zufolge wurde mindestens ein verantwortlicher Redakteur entlassen, andere Redakteure sollen von Unbekannten als "Ketzer" bedroht worden sein. Der Vater des Studenten hatte zuvor erfolgreich auf Unterlassung geklagt. Der 20-jährige Medizinstudent Enes Kara hatte sich das Leben genommen, weil er auf Wunsch der Familie und gegen seinen eigenen Willen in einem Wohnheim der erzkonservativen, islamistisch ausgerichteten "Nur-Gemeinde" in Elazığ leben musste. Im Abschiedsvideo hatte er religiöse Indoktrination und Unfreiheit beklagt, wie die SZ berichtet hatte. Lokale Medien hatten darüber berichtet, Karas Mitstudenten eine Mahnwache abgehalten. Der Fall hatte landesweit Aufsehen erregt: Führende Oppositionspolitiker und Prominente wie der Popsänger Tarkan hatten die einflussreichen islamischen Orden und Gemeinschaften kritisiert. Die traditionellen Orden bieten Schülern und Studenten kostenlose Bildung und Wohnraum. Sie sind vor allem beim konservativen ärmeren Bevölkerungsteil populär. Die Gemeinschaften stehen zugleich wegen Skandalen um Kindesmissbrauch und Korruption im Fokus. Politisch sind die Orden und ihre "Scheichs" bei der herrschenden konservativ-islamischen Regierung einflussreich. Die Regierungspartei AKP erklärte, man solle den Fall nicht politisch instrumentalisieren.

© SZ vom 14.01.2022 / AVE - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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