Türkei:Der Einmarsch ist abgeblasen

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Im neuen türkischen Parlament sitzen so viele Kurden, dass es keine Invasion in den Nordirak geben wird. Die Generäle wollen den Verfassungsschwur der Kurden boykottieren.

Christiane Schlötzer

Große Veränderungen beginnen bisweilen mit kleinen Gesten: Politiker der türkischen Kurden-Partei DTP haben gerade ein Kondolenzschreiben für einen Mann verfasst, dem sie zu Lebzeiten womöglich nicht einmal die Hand gegeben hätten.

Der Erfolg seiner Partei hat die Kurden ins Parlement geholt: Premier Tayyip Erdogan. (Foto: Foto: AP)

Denn der Verstorbene gehörte der Nationalistenpartei MHP an. Am Donnerstag war er bei einem Autounfall ums Leben gekommen, nachdem er erst am vergangenen Sonntag ins Parlament gewählt worden war.

In dieses Parlament werden nun erstmals seit 1994 auch wieder Abgeordnete einer kurdischen Partei einziehen - und die Sitzordnung hat sie im Plenarsaal ausgerechnet neben die MHP platziert. Vor der Wahl gab es allerhand Spekulationen über Spannungen, böse Worte oder gar Handgreiflichkeiten, sollten sowohl Ultrarechte als auch Kurden den Sprung in die Nationalversammlung schaffen.

Nun werden sie dort gar Schulter an Schulter Platz nehmen, weil es die Parlaments-Ordnung so will: Die Fraktionen werden in der Reihenfolge ihrer Größe nebeneinander gesetzt. Und von Zank und Zoff ist auf einmal keine Rede mehr. Im Gegenteil: Beide Seiten senden erstaunlich versöhnliche Signale aus.

So viele kurdische Abgeordnete gab es noch nie

Was ist passiert? Mit der Parlamentswahl haben sich die Gewichte in der türkischen Innenpolitik verschoben. Die Nationalisten sind nicht mehr außerparlamentarische Opposition, genauso wenig wie die Kurden. Das dürfte beide Seiten mäßigen. Wichtiger aber ist: Es gibt noch viel mehr Kurden im Parlament.

Türkische Medien haben schon zusammengerechnet, sie kommen auf die Zahl von etwa hundert Parlamentariern mit kurdischen Wurzeln bei der Regierungspartei AKP (die insgesamt 340 Abgeordnete stellt). Auch wenn es ein paar weniger sind, so viele Kurden gab es unter Ankaras Abgeordneten wohl noch nie.

Das liegt an dem großen Erfolg von Premier Tayyip Erdogans Partei bei den Kurden. In den entsprechenden Provinzen legte die AKP von etwa 27 auf bis zu 53 Prozent zu. Beobachter haben dies als Absage an die Radikalen unter den Kurden interpretiert, schließlich hat sich die DTP noch immer nicht von den kurdischen Militanten der PKK distanziert.

Das Ergebnis für die AKP spiegelt aber auch die Hoffnung wider, Erdogan möge sein Versprechen wahr machen und dem Südosten zu dem lange ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung verhelfen, nachdem dies der AKP im Westen bereits so eindrucksvoll gelungen war. Erdogan hatte den Kurden vor der Wahl auch gesagt, sie könnten ruhig Kurden bleiben und gleiche Rechte im Staat genießen.

Dafür hatten Nationalisten den Premier heftig getadelt. Honoriert haben viele Kurden wohl auch, dass sich Erdogan erfolgreich gegen den Druck des Militärs zur Wehr setzte. Die Generäle drangen auf eine Invasion in den Nordirak, wo Tausende PKK-Kämpfer seit Jahren einen Rückzugsraum haben.

Erdogan hielt die Generäle hin. Er verwies darauf, für einen Irak-Einmarsch sei wie für jede Kriegshandlung ein Parlamentsbeschluss nötig. Das Parlament war aber schon in der Sommerpause.

Seit Dienstag gilt das letzte Argument nicht mehr. Ein Parlament mit mehr als einhundert Abgeordneten aus kurdischen Familien dürfte wohl kaum für eine Invasion in den kurdisch besiedelten Nordirak stimmen. Erdogan hat auch bereits den irakischen Premier Nouri al-Maliki in die Türkei eingeladen. Das macht man nicht, wenn man demnächst beim Nachbarn einmarschieren will.

Keine Invasion

"Die Invasion steht nicht mehr auf der Tagesordnung", sagt Cengiz Candar, einer der bekanntesten türkischen Kommentatoren. Faruk Logoglu, bis 2006 einflussreicher türkischer US-Botschafter, empfiehlt der Regierung schon, zur Lösung des PKK-Problems nur auf Diplomatie zu bauen.

Ankara solle rasch direkte Gespräche mit dem Führer der irakischen Kurden, Massoud Barzani, und mit dem irakischen Präsidenten Dschalal Talabani - ebenfalls einem Kurden - führen, sagt Logoglu. Als Erdogan schon einmal Talabani einladen wollte, mochte der türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer den Kurdenpolitiker nicht als Staatsgast in Ankara willkommen heißen.

Nun muss das neue Parlament sehr rasch einen Nachfolger für Sezer wählen - und der Führer der MHP-Nationalisten, Devlet Bahceli, hat zu allgemeinem Erstaunen bereits angekündigt, seine Fraktion werde diese Wahl nicht boykottieren, selbst wenn für die Regierungspartei erneut Außenminister Abdullah Gül antreten sollte.

Generäle boykottieren Verfassungsschwur

An der Kandidatur Güls hatte sich im April der Konflikt mit dem Militär und der größten Oppositionspartei, der Republikanischen CHP, entzündet. Sie hielten der AKP vor, alle wichtigen Posten im Staat besetzen zu wollen, um die Türkei "zu islamisieren".

Wenn das Parlament nun am Dienstag erstmals zusammentritt, werden auf der Ehrentribüne auch die höchsten Generäle sitzen. Das ist bei der feierlichen Parlamentseröffnung so üblich. Bevor die Abgeordneten ihre Eide sprechen, würden die Herren in Uniform aber den Saal verlassen, schrieb die Zeitung Aksam am Freitag.

Der Grund, so das Blatt: Die Generäle wollten nicht anwesend sein, wenn die Politiker der Kurden-Partei auf die Verfassung schwören. 1991 hatte die kurdische Abgeordnete Leyla Zana nach ihrem Eid einen Satz auf Kurdisch gesprochen und damit einen Tumult im Parlament ausgelöst. Diesmal wollen alle Kurden angeblich Türkisch sprechen.

© SZ vom 28.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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