Türkei:Allem Ärger zum Trotz

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Die EU-Kommission plant den Ausbau ihrer 20 Jahre alten Zollunion mit der Türkei - in Zeiten, in denen sogar die Beitrittsverhandlungen mit Ankara infrage stehen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Zu einer Zeit, in der das europäisch-türkische Verhältnis durch den repressiven Kurs der Regierung in Ankara schwer belastet ist, und obwohl das Europäische Parlament jüngst sogar ein Einfrieren der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei forderte, will die EU-Kommission die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Land kräftig verstärken. Die Behörde bat die Mitgliedstaaten am Mittwoch um ein Verhandlungsmandat, um die Zollunion mit der Türkei ausbauen zu können.

Die Zollunion besteht seit 20 Jahren, gilt aber nur für die Industrie sowie einige landwirtschaftliche Produkte. Dienstleistungen und das öffentliche Beschaffungswesen sind bisher ausgenommen. Hier sollen nun gemäß Kommissionskreisen weitere Tarife und Zölle gekappt werden, außerdem will man die Bereiche Nachhaltigkeit, Energie und Rohstoffe mit einbeziehen sowie ein Streitschlichtungsverfahren einrichten. Die Türkei hätte zudem bei Handelsverhandlungen der EU mit Drittstaaten gerne einen Beobachterstatus, da sie Exporte der EU-Freihandelspartner in ihr Land lassen muss. Sie wäre das erste Land, dem die EU dies gewährte.

Der Schritt sei ein wichtiger Bestandteil des Bemühens, das Verhältnis insgesamt zu verbessern, teilte die Kommission mit. Sie halte damit ihre Versprechen, die sie etwa bei Abschluss des Flüchtlingsdeals mit der Türkei im März dieses Jahres gemacht habe. Eine Modernisierung der vor 20 Jahren in Kraft getretenen Zollunion werde beiden Seiten nützen. Damit ergäben sich "zusätzliche Gelegenheiten" für EU-Unternehmen, vor allem im Agrar- und Dienstleistungssektor. In den Kreisen war von zusätzlichen Exporten in die Türkei in Höhe von 27 Milliarden Euro jährlich die Rede, umgekehrt kämen vier bis fünf Milliarden dazu. Der Wohlfahrtsgewinn betrüge fünf Milliarden jährlich für die EU und zwölf Milliarden für die Türkei. Die EU ist mit einem Anteil von 41 Prozent der größte Handelspartner der Türkei, die wiederum fünftgrößter Partner der EU ist.

In der Kommission wurde betont, die Pläne zum Ausbau der Zollunion seien unabhängig von der aktuellen Entwicklung der Beziehungen zu sehen. Die Türkei bleibe "objektiv" ein Schlüsselpartner, nicht zuletzt in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Ausbau der Zollunion sei schon seit Jahren geplant, auch die Weltbank habe dies angeregt. "Respekt für die Demokratie und für Grundrechte" werde dabei eine wichtige Rolle spielen, etwa dort, wo es um soziale und Umweltstandards gehe.

Mehrere europäische Politiker hatten zuvor gefordert, auf den Ausbau der Zollunion zu verzichten. Damit sei die türkische Regierung am ehesten in eine andere Richtung zu lenken.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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