Trotz Warnung an Bremens Bürgermeister:Kleinkind stirbt nach Behördenschlamperei

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In Bremen ist ein kleiner Junge ums Leben gekommen, weil Behörden offenbar über Monate hinweg geschlampt haben. Der zweijährige Kevin wurde am Dienstag im Kühlschrank seines drogensüchtigen Vaters tot aufgefunden.

Ralf Wiegand

Bremens Sozialsenatorin Karin Röpke, die ebenso wie Bürgermeister Jens Böhrnsen (beide SPD) seit Monaten über den Fall informiert war, übernahm die Verantwortung und trat zurück. Böhrnsen räumte am Mittwoch ein, es habe "Hinweise und Warnungen" gegeben, dass das Kind misshandelt worden sei. "Doch das dringend und zwingend Nötige ist nicht geschehen."

Zurückgetreten: Sozialsenatorin Karin Röpke (Foto: Foto: dpa)

Böhrnsen sagte, es sei ein "tragisches und unverzeihliches Versagen, dass Kevin sich auf den Schutz des Staates nicht verlassen konnte". Der Bremer Regierungschef hatte das Rücktrittsgesuch seiner Sozialsenatorin bereits am Dienstagabend angenommen.

"Richtige Entscheidung"

"Es war die richtige Entscheidung", sagte der Bürgermeister. Die Senatorin und Böhrnsen selbst sind Mitglied des Trägervereins eines Bremer Waisenhauses, in das Kevin im November 2005 nach dem Tod seiner Mutter vorübergehend gebracht worden war. Sie kannten das Schicksal des Jungen seit Monaten.

Das Waisenhaus hatte den Bürgermeister gewarnt, es sei unverantwortlich, das Kind zum alleinerziehenden Vater zurückzugeben. Der Junge sei damals schon unterernährt gewesen, sagte Böhrnsen. Er habe den Fall Sozialsenatorin Röpke übergeben, die sich darum habe kümmern wollen.

"Es hat Hinweise und Warnungen gegeben", dass das Kind zu Hause "eine Last war und misshandelt wurde". Obwohl Kevin "voll unter dem Schutz des Staates" gestanden habe, starb er. Böhrnsen kündigte an, das gesamte Hilfesystem für Kinder überprüfen zu lassen. Die Vormundschaft für Kevin hatte das Bremer Jugendamt.

Akten beschlagnahmt

Der Leiter der Bremer Justizbehörde, Ulrich Mäurer, erwartet, dass die Staatsanwaltschaft auch gegen Behörden wegen Verletzung der Fürsorgepflicht ermitteln wird. Das Gericht hat bereits angeordnet, dass alle Akten zum Fall Kevin beschlagnahmt werden.

Der Junge aus dem Bremer Problem-Stadtteil Gröpelingen ist den Behörden seit längerem bekannt gewesen. Beide Elternteile waren drogensüchtig. Die Mutter starb Ende 2005 unter noch nicht geklärten Umständen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Vater wegen eines möglichen Tötungsdelikts. Allerdings steht noch ein gerichtsmedizinisches Gutachten zur Todesursache der Frau aus. Der Sozialbehörde waren diese Ermittlungen jedoch angeblich nicht bekannt.

Der Vater machte nach dem Tod seiner Frau eine Methadon-Therapie, galt aber als gewalttätig. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme befand er sich auf Bewährung, er ist unter anderem wegen Körperverletzung mehrfach vorbestraft. Kevin war nach dem Tod der Mutter zwischenzeitlich in ein Heim gezogen.

"Günstige Sozialprognose"

Dem Jugendamt wurde zwar die Vormundschaft für Kevin übertragen - dennoch kam der Junge zurück zu seinem Vater, dem offenbar "eine günstige Sozialprognose" gestellt worden sei, sagte Böhrnsen. Eine ärtzliche Untersuchung im Juli war die letzte Gelegenheit, bei der Kevin lebend gesehen worden war.

Weil der Vater Bernd K. bestimmte Auflagen des Jugendamtes nicht mehr erfüllt und zwei Gerichtstermine in der Angelegenheit seines Sohnes versäumt hatte, entschied das Familiengericht am 2. Oktober, Kevin in eine Pflegefamilie zu geben. Erst acht Tage später sollte der Beschluss mit Hilfe der Polizei umgesetzt werden.

Kevins Leiche weist laut Staatsanwaltschaft schwere Verletzungen auf. Die Knochen im linken Oberschenkel, rechten Schienbein und linkem Unterarm waren gebrochen. Außerdem habe der Junge einen Bluterguss am Kopf gehabt. Zur möglichen Todesursache äußerten sich die Ermittler nicht.

© SZ vom 12.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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