Trittin im Interview:"Wir sind nicht der Erzieher der SPD"

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Jürgen Trittin spricht über das Hessen-Desaster, die Chancen der Grünen bei der nächsten Bundestagswahl und mögliche Bündnispartner.

D. Brössler und N. Fried

Die Grünen wollen zurück an die Macht. Am Wochenende stellen sie auf einem Parteitag in Erfurt die personellen Weichen für das Wahljahr 2009. Cem Özdemir soll mit Claudia Roth an die Doppelspitze der Partei, zu Spitzenkandidaten aber wollen sich die ehemaligen Minister Renate Künast und Jürgen Trittin küren lassen. Im SZ-Interview spricht Trittin über Unzulänglichkeiten der SPD und Wahrscheinlichkeiten einer Ampel-Koalition mit der FDP.

Ex-Umweltminister Jürgen Trittin soll für die Grünen als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf 2009 ziehen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Trittin, Ihr hessischer Parteikollege Tarek Al-Wazir warnt vor Ausschließeritis. Leiden Sie auch an dieser Krankheit?

Jürgen Trittin: Nein. Ich war schon vor der letzten Hessenwahl der Auffassung, dass man mit allen demokratischen Parteien reden muss und dass sich Koalitionen nach den Inhalten entscheiden. Apodiktische Erklärungen helfen nicht.

SZ: Sie schließen eine Koalition mit Roland Koch in Hessen also nicht apodiktisch aus?

Trittin: Sie werden bei den Grünen sehr lange nach jemandem suchen müssen, der ernsthaft glaubt, die politischen Inhalte der Grünen könne man mit dem Miterfinder der jüdischen Vermächtnisse, dem Organisator zweier im Kern rassistischer Wahlkämpfe und dem letzten Verfechter des Atomkraftwerks Biblis tatsächlich umsetzen. Das geht nicht.

SZ: Welche Verantwortung tragen die Grünen für das Desaster in Hessen?

Trittin: Wir sind nicht der Erzieher der SPD. Auch wenn wir uns zeitweise in Hessen so gefühlt haben, als würden wir dort betreute Opposition mit der SPD machen, ist sie am Ende für sich selber verantwortlich. Die SPD ist auch nicht an Streitigkeiten über das Verhältnis zur Linkspartei gescheitert, sondern daran, dass die Personalvorstellungen des rechten Flügels der hessischen SPD nicht berücksichtigt wurden.

SZ: Hat Andrea Ypsilanti das falsch gemacht, was Joschka Fischer richtig gemacht hat, als er seinen größten Kritiker Jürgen Trittin zum Umweltminister gemacht hat?

Trittin: Es gab damals zwischen dem Parteivorsitzenden und dem Fraktionsvorsitzenden eine klare Verabredung. Wir sorgen dafür, dass die Grünen nach der Niederlage von 1990 den Wiedereinzug schaffen und dafür, dass Helmut Kohl abgelöst wird. Und wir übernehmen auch Verantwortung in der Regierung. Bei diesem strategischen Ziel passte überhaupt nichts zwischen Joschka Fischer und mich.

SZ: Kommen wir zu Ihren aktuellen Zielen. Welche Konstellationen können den Grünen die Rückkehr zur Macht ebnen?

Trittin: Das Wahljahr beginnt mit vorgezogenen Wahlen in Hessen. Diese werden CDU und FDP möglicherweise in den Irrglauben versetzen, bei der Bundestagswahl sei Schwarz-Gelb greifbar. In Wahrheit aber ist die Chance für Zwei-Parteien-Mehrheiten eines Blockes im Bund gering.

SZ: Wie definieren Sie diese Blöcke?

Trittin: Ohne Zweifel definieren sich Union und FDP als schwarz-gelber Block. Auf der anderen Seite gibt es eine gefühlte Gemeinsamkeit zwischen vielen Anhängern der Linkspartei, der SPD und der Grünen. Einen klaren Block bilden sie aber nicht. Die SPD ist darüber sogar zerrissen.

SZ: Eine für Sie mögliche Regierungskonstellation haben Sie jetzt immer noch nicht genannt. Warum so scheu?

Trittin: Wir stehen am Beginn einer Rezession. Es ist daher viel zu früh, die Kräfteverhältnisse vorherzusagen. Die Wähler werden am 27. September danach entscheiden, wer überzeugende Antworten in einer Situation gibt, in der viele Menschen Angst um ihre wirtschaftliche Zukunft haben. Wir ziehen in diese Auseinandersetzung mit einer Politik, die Klima, Gerechtigkeit und Freiheit in den Mittelpunkt stellt und wollen damit stärker werden. Von den unwahrscheinlichen Alternativen ist eine Kombination aus SPD, FDP und Grünen noch die am wenigsten unwahrscheinliche.

SZ: In Hamburg koalieren Sie mit der CDU, in Hessen hätten Sie mit der Linkspartei kooperiert. Sind die Grünen als erste im Fünf-Parteien-System angekommen oder sind sie das Flittchen der Politik?

Trittin: "Flittchen" zeugt von einem männerfixierten Weltbild aus der Adenauerzeit, aber davon abgesehen: In den Koalitionsvereinbarungen in Hessen und Hamburg finden Sie erstaunliche Übereinstimmungen: Mehr Energieeffizienz, Ausstieg aus der Atomenergie, erneuerbare Energien, gerechteres Schulwesen, Rechte für Minderheiten. Sie finden eine grüne Handschrift, die sich identifizieren lässt. Wir vertreten in unterschiedlichen Konstellationen die gleichen Inhalte.

SZ: Ist die Realität nicht etwas trister? In Hamburg mussten die Grünen das Kohlekraftwerk Moorburg genehmigen.

Trittin: Niederlagen gehören zur Politik. Anderswo, in Bremen an der Regierung und im Saarland in der Opposition, haben wir neue Kohlekraftwerke verhindert.

SZ: Wie wollen Sie Ihre Energiepolitik den Wählern erklären, wenn Sie nicht einmal Joschka Fischer überzeugen? Er fürchtet, die Grünen könnten sich durch ihr Nein zu neuen Kohlekraftwerken in die sektiererische Ecke manövrieren.

Trittin: Da muss ihm zwischen Berlin und New York glatt das Klimagutachten der großen Koalition von Professor Nitsch durchgerutscht sein. Er gibt uns Grünen nachdrücklich recht. In Deutschland sind fünf größere Kohlekraftwerke im Bau. Die werden zu Ende gebaut. Aber: Er ist dagegen, noch weitere zusätzliche Kohlekraftwerke zu bauen. Unsere Stromexporte sind höher als je zuvor. Was macht es da für einen Sinn, jetzt Kraftwerke ans Netz zu bringen, die für 40 Jahre pro Kilowattstunde 900 Gramm CO2 ausstoßen? So sind die Klimaziele nicht zu erreichen. Wir brauchen ein Moratorium, bis die CO2-Abscheidung und Speicherung zur Verfügung steht.

SZ: In Erfurt wollen die Grünen Cem Özdemir zum Vorsitzenden wählen, obwohl sie ihm nicht einmal einen Sitz im Bundestag gönnen. Können Sie das erklären?

Trittin: Die schwäbischen und badischen Grünen haben gesagt: Wir wollen, dass er Vorsitzender wird. Dann kann er nicht als Abgeordneter schaffen, und wir wollen Abgeordnete, die schaffen. Das richtete sich nicht gegen Cem Özdemir, sondern folgt dem Grundverständnis der baden-württembergischen Grünen.

SZ: Machen solche Eigenheiten den Charme der Grünen aus oder sind sie im Gegenteil nicht doch einfach nur ärgerlich?

Trittin: Die Grünen sind so wie sie sind. Manchmal lernen die anderen Parteien von uns. Inzwischen haben sie alle in irgendeiner Form die Frauenquote. Manchmal bemühen sie sich, zu lernen und es geht schief. Die Doppelspitze der CSU ist schiefgegangen. Das hätte ich denen gleich sagen können. Zwei Männer - das klappt nicht.

SZ: Zusammen mit Renate Künast sollen Sie zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gekürt werden. Zwei Vorsitzende, zwei Spitzenkandidaten. Auch ein Modell, das Schule machen könnte?

Trittin: Manche wären froh, wenn sie an der Spitze ihrer Partei so viele Leute hätten, die sie vorzeigen können. Es geht darum, wie man miteinander umgeht und welche Rollenverteilung man findet. Wir werden die Spitzenkandidatur zum ersten Mal auf dem Parteitag zur Abstimmung stellen. Früher haben die Vorsitzenden entschieden, wir drucken soundso viele Plakate für Joschka und nur so viele für die anderen. Das war die Entscheidung über die Spitzenkandidatur.

SZ: Finden Sie eigentlich, dass die Grünen sich mit der Wahl Özdemirs an der Spitze ausreichend erneuern?

Trittin: Mit Cem beginnt der Wechsel der Generationen. Er ist nicht nur der erste Migrant an der Spitze, sondern auch der erste nach Gunda Röstel, der nicht stark über die siebziger Jahre und die Gründungsphase der Grünen geprägt wurde.

SZ: Dennoch treten zwei Spitzenkandidaten an, die schon sieben Jahre regiert haben und jetzt noch mal wollen.

Trittin: Und die beides können: Regierung und Opposition.

SZ: Was gefällt Ihnen an Angela Merkel, was an Frank-Walter Steinmeier?

Trittin: Beide sind auf ihre Art kommunikativ und man kann mit ihnen verlässlich verhandeln.

SZ: Sie würden also keinen bevorzugen?

Trittin: Wenn Sie nach politischen Inhalten fragen, so sind etwa in der Sozial- und Bildungspolitik sowie der Energiepolitik die Gemeinsamkeiten mit der SPD und Frank-Walter Steinmeier größer als mit CDU/CSU und Angela Merkel.

© SZ vom 13.11.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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