Trauerfeier für Erhard Eppler:Der Mann vom Friedensberg

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Daheim: Erhard Epplers Sarg in der Kirche St. Michael. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Und jeder hat ein Zitat dabei: Wie Politiker und Kirchenleute den toten SPD-Vordenker würdigten.

Von Detlef Esslinger, Schwäbisch Hall

Was bleibt, nach einem Leben von 92 Jahren, an was erinnert man sich? In der Evangelischen Kirche St. Michael sind fast alle Reihen gefüllt, der Schwiegersohn an der Orgel und die Enkelin an der Violine spielen Bach. Erhard Eppler hatte die Stücke selber ausgesucht. Es sprechen die Dekanin, die Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags, die kommissarische SPD-Vorsitzende, der frühere Bundeskanzler. Ihre Reden haben eine Gemeinsamkeit, ebenso wie jene später in der Gedenkfeier der Stadt: Alle enthalten sie Zitate von Eppler. Anne-Kathrin Kruse, die Dekanin: "Wer zu früh kommt, den bestrafen die Parteifreunde." Julia Helmke vom Kirchentag: "Wir werden klüger, wenn wir uns anderen Menschen zuwenden." Malu Dreyer, die derzeit die SPD repräsentiert: "Vielleicht werden wir in Zukunft begreifen, dass der Versuch, Europa über den Wettbewerb zu schaffen, eine Schnapsidee war." Gerhard Schröder, der dies seit langem hinter sich hat: "Politik ist gelegentlich an der Grenze dessen angesiedelt, was Menschen tun können, ohne an der Seele Schaden zu nehmen."

Erhard Eppler gehörte zu jenen Politikern, deren Bedeutung man nicht erfasst, wenn man sie an Ämtern misst, oder daran, wie kurz oder lang diese zurückliegen. Hinter seinem Sarg, geschmückt mit Rosen und Sonnenblumen, ist der Kranz der "Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland"; weil Eppler einst Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit war, von 1968 bis 1974. Das Bemerkenswerte an ihm war, dass er in all den Jahrzehnten seitdem kein großartiges Amt brauchte, im Grunde auch nicht das eines "Vorsitzenden der Grundwertekommission der SPD" oder des Kirchentagspräsidenten, um Debatten zu Migration, Sozialpolitik, Frieden oder Russland zu prägen und Menschen zu inspirieren.

Epplers Größe erwuchs aus Klarheit in Denken und Sprache. Er durchdachte jede Frage als solche, er bildete sich ein Urteil immer wieder von neuem - und da Wahrheit ja keine Frage von Mehrheit ist, analysierte und formulierte er ohne Orientierung an dem, was gerade wohlfeil war. Seine Sprache: einfach, klar, ohne Textbausteine, niemals besserwisserisch. Manche Menschen drücken auch die simpelsten Dinge kompliziert aus. Bei Eppler war es genau andersherum. Gerhard Schröder sagt: "Er hatte eine unglaubliche Überzeugungsmacht."

Erhard Eppler war der SPD-Politiker, der am 10. Oktober 1981 im Bonner Hofgarten auf der berühmten Demonstration gegen die Nato-Nachrüstung und damit gegen den SPD-Kanzler Schmidt sprach. Erhard Eppler war aber auch der SPD-Politiker, der knapp zwei Jahrzehnte später dem SPD-Kanzler Schröder empfahl, sich am Kosovo-Krieg zu beteiligen. Schröder erinnert sich an Epplers Rat: "Man macht sich schuldig, gleich was man tut." Wirke man mit an den Bombardierungen in Serbien, verursache man den Tod von Menschen. "Man macht sich aber noch schuldiger, wenn man tatenlos zusieht bei Mord und Vertreibung." So habe Eppler ihm damals Orientierung gegeben, sagt Schröder (und wohl auch an die Grenze des seelisch Zumutbaren geführt): indem er ihm klarmachte, dass die Situation im Wortsinn tragisch sei, so oder so.

Erhard Eppler wuchs in Schwäbisch Hall auf, die 52 Stufen vor St. Michael sauste er mit dem Schlitten hinab, sagt die Dekanin Kruse. In der Kirche wurde er konfirmiert und heiratete er, hier ging er fast jeden Sonntag in den Gottesdienst, an der zweiten Säule links war sein Platz. Vor vier Jahren ernannte die Stadt ihn zum Ehrenbürger, im selben Saal, in dem nun die Gedenkfeier ist - und in dem er 1942 als 16-Jähriger lernte, was Zivilcourage ist. Ein SS-Mann hielt eine Rede, ein Lehrer seines Gymnasiums verließ den Saal. Die Tür schloss der Mann so, dass alle sich fragten: Schloss er sie, oder knallte er sie? Immerhin, ihm geschah nichts.

Sigmar Gabriel, SPD-Chef bis 2017, und Andreas Stoch, SPD-Chef in Baden-Württemberg, halten die Reden hier. Zitate von Eppler haben auch sie dabei. Gabriel: "Viele von meiner Sorte hätte die SPD wohl nicht ertragen." Stoch, als Landesvorsitzender ein später Nachfolger Epplers: "Die Wahrheit wird nicht in Abstimmungen festgestellt." Eppler führte die SPD in dem Bundesland bis 1981. Er trat zurück, nachdem die Partei bei der Landtagswahl mit 32,5 Prozent abgeschnitten hatte; so etwas galt damals als desaströs. Die Parteifreunde waren unter anderem seine Mahnungen zu scheinbar entfernten Themen leid, mit Themen wie Afrika und Ökologie war er womöglich zu früh dran.

Eine schöne Geschichte kommt von Hermann-Josef Pelgrim, dem Oberbürgermeister. In Schwäbisch Hall kennt sie bestimmt jeder. Erhard Eppler wohnte in einer Straße, die "Auf dem Galgenberg" hieß; dort war früher die Hinrichtungsstätte. 2006 bei einem Spaziergang traf er den OB. Eppler sagte, nun habe er sich sein ganzes Leben für Frieden eingesetzt, da wäre es doch seltsam, würde er eines Tages "auf dem Galgenberg" sterben. Ob Friedensberg nicht besser klänge? Der Gemeinderat übernahm den Vorschlag, und als Erhard Eppler am 19. Oktober starb, in seinem Bett, war Friedensberg längst der Name der Straße.

© SZ vom 02.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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