Ton zwischen den Parteien wird rüder:Koalition: Union vergiftet das politische Klima

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Nach mehreren, teilweise persönlichen Attacken von CDU-Vize Rüttgers und CSU-Generalsekretär Söder auf die Bundesregierung haben SPD und Grüne der Union eine bewusste Diffamierungskampagne vorgeworfen.

Von Nico Fried, Hans-Jörg Heims und Reymer Klüver

Berlin/Düsseldorf - SPD-Chef Franz Müntefering warnte davor, das politische Klima zu vergiften. Der Opposition gehe es nur noch um "Lüge und Verleumdung". Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) rief seinen CDU-Gegenkandidaten Jürgen Rüttgers nach schweren Vorwürfen in der Visa-Affäre zur Mäßigung auf. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer hielt der Union Rufmord vor.

Drei Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat sich die Auseinandersetzung zwischen den Parteien am Montag massiv verschärft. In der SPD hat insbesondere ein Angriff von CSU-Generalsekretär Markus Söder auf Bundeskanzler Gerhard Schröder heftige Reaktionen ausgelöst.

Söder hatte gesagt, der Sexualmord an einem neunjährigen Jungen in München zeige, dass die Gesetze Kindern keinen ausreichenden Schutz vor Wiederholungstätern böten. "Schuld hat zwar immer der Täter, bei Wiederholungstätern aber ist Schröder indirekt für jedes Verbrechen an Kindern mitverantwortlich - weil Rot-Grün keine einzige Regel verschärft hat."

Die Bundesregierung gehöre "zum Kartell der Schuldigen". Müntefering sprach von einem "Niveausturz", nahm aber die Vorsitzenden von CDU und CSU mit in die Verantwortung: "Stoiber lässt das zu und Merkel schweigt", sagte er.

"Das ist eine moralische Verkommenheit, die das Land lange nicht gesehen hat."

NPD und Visa-Ausschuss

Der SPD-Chef stellte den Angriff Söders in eine Reihe mit weiteren Attacken der Union in den vergangenen Tagen. Dabei nannte er unter anderem Vorwürfe von CSU-Chef Edmund Stoiber, die Regierung sei wegen der Arbeitslosigkeit verantwortlich für das Erstarken der NPD.

Der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel hielt Müntefering Schizophrenie vor, weil die Union einerseits den Untersuchungsausschuss zur Visa-Affäre angestrengt habe, Merkel nun aber bereits den Rücktritt von Außenminister Joschka Fischer fordere.

Merkel sei es nicht gelungen, sich politisch zu positionieren. Ihre Programmpunkte Neue Marktwirtschaft, Kopfpauschale und Steuerkonzept seien ihr "unter den Händen zerronnen", so Müntefering.

Deshalb verbreite die Union jetzt "Lügengeschichten" und arbeite mit Panik und Demagogie. Auch in Regierungskreisen war von einer "überzufälligen Häufung" von Angriffen aus der Union die Rede, hinter denen offenbar der Versuch stecke, Emotionen zu instrumentalisieren und für persönliche Attacken nutzbar zu machen. Der Vorsitzende der Grünen, Reinhard Bütikofer, sagte, bei den Vorwürfen sei ein Muster erkennbar: "Seitens der CSU wird der politische Gegner als Feind und Schädling denunziert", sagte Bütikofer der Süddeutschen Zeitung.

"Wer so systematisch Rufmord zum Mittel der Politik macht, der vergeht sich an der Demokratie. Es ist bemerkenswert, dass die Schärfe, mit der sich die CSU zu Rot-Grün äußert, in gar keiner Weise vergleichbar ist mit dem Ton, den die CSU gegenüber der NPD anschlägt."

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sprach von "völlig ausgeuferten Formen des rhetorischen Angriffs". Die Union wolle nicht mit eigenen Konzepten überzeugen, sondern Rot-Grün "nur noch schlecht machen".

"Nach 1945 ohne Vergleich"

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Steinbrück wies Vorwürfe seines CDU-Gegenkandidaten Jürgen Rüttgers in der Visa-Affäre zurück und forderte ihn auf, seine "gänzlich unakzeptablen Äußerungen" zurückzunehmen. Rüttgers hatte die umstrittene Visa-Vergabepraxis eine "massenhafte Menschenrechtsverletzung" genannt, zu der Politiker Beihilfe geleistet hätten und die nach 1945 ohne Vergleich sei.

"Da verliert jemand völlig die Fassung und jedes Maß", sagte Steinbrück der SZ. Rüttgers habe sich seinerzeit mit seiner unsäglichen "Kinder statt Inder"-Kampagne so vergaloppiert, dass er eigentlich daraus gelernt haben müsse.

Der SPD-Politiker bezeichnete es als absolut stillos, was von CDU- und CSU-Politikern derzeit geboten werde. Steinbrück forderte die Opposition mit Blick auf den Landtagswahlkampf zur Mäßigung auf. "Ich möchte einen politischen und keinen polemischen Wahlkampf." Daran sei die Gegenseite offenbar nicht interessiert. "Das lässt mich schaudern."

Auch in der CDU ist der Rüttgers-Vergleich auf Unverständnis gestoßen. Ein Präsidiumsmitglied sagte der SZ: "Rüttgers sollte jetzt locker bleiben und nicht Schockreaktionen bei den Wählern auslösen."

Zudem wurde darauf hingewiesen, dass Stellungnahmen und Bewertungen zur Visa-Affäre nur in Abstimmung mit den Unionsvertretern im Untersuchungsausschuss erfolgen sollten. An diese Absprache müsse sich auch der Wahlkämpfer Rüttgers halten. Stoiber und Rüttgers legten Fischer unterdessen erneut den Rücktritt nahe.

© SZ vom 1.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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