Todkranke:"Ich möchte sterben"

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Der Bundesgerichtshof wertet die Patientenverfügung auf einmal wieder auf. Noch vor ein paar Monaten hatte er Formulierungen darin als zu "pauschal" empfunden.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Unter älteren Menschen ist es inzwischen einigermaßen verbreitet, mit einer Patientenverfügung für die letzte Lebensphase vorzusorgen. Doch spätestens seit einem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Sommer ist klar, dass es nicht so einfach ist, rechtswirksam festzulegen, in welchen Situationen von Krankheit und Leid man den Abbruch der Behandlung wünscht. Der BGH stellt hohe Anforderungen; die pauschale Formulierung, man wolle keine lebensverlängernde Maßnahmen, genügt nicht.

Zu entscheiden war der Fall einer Frau, die seit 2008 im Wachkoma liegt

In einem neuen Beschluss hat der BGH seine damalige, als sehr rigide empfundene Entscheidung nun präzisiert. Und es scheint, als sei er den Menschen, die um die Wirksamkeit ihrer Verfügungen fürchten, einen Schritt entgegengekommen. Es geht um den Fall einer 1940 geborenen Frau, die nach einem Schlaganfall 2008 ins Wachkoma fiel und seither über eine Sonde ernährt wird. Ihr Sohn wie auch ihr Arzt wollen die Ernährung einstellen - ihr Mann dagegen lehnt das ab. Das Landgericht Landshut gab ihm recht.

Der BGH hat diese Entscheidung nun aufgehoben. Denn die Frau hatte schon 1998 festgelegt, sie wünsche keine lebensverlängernde Maßnahmen, wenn "keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht". Außerdem hatte sie vor ihrer Krankheit mit Angehörigen über zwei Wachkoma-Patienten aus dem Bekanntenkreis gesprochen - und gesagt, so wolle sie nicht daliegen, lieber sterbe sie. Und schließlich: Einmal noch hatte sie nach ihrem Schlaganfall die Sprache wiedergefunden. Ihre Worte lauteten: "Ich möchte sterben."

Laut BGH könnte bereits ihre Verfügung klar genug sein. Zwar hält er daran fest, dass der Wunsch des Patienten sich sowohl auf "konkrete Behandlungssituationen" beziehen als auch ärztliche Maßnahmen eindeutig benennen muss - etwa das Abstellen der Flüssigkeitszufuhr. Allerdings dürften die "Anforderungen an die Bestimmtheit nicht überspannt werden". Es genüge, dass der Betroffene "umschreibend" festlege, was in bestimmten Situationen geboten sei. Und selbst wenn die schriftliche Verfügung nicht greifen sollte, wäre ihr "mutmaßlicher Wille" zu ermitteln. Dabei spielt zwar auch das allgemeine Wertesystem eine Rolle; die Frau im BGH-Fall wird als praktizierende Katholikin beschrieben. Im Vordergrund aber stehen laut BGH ihre konkreten Aussagen - und die weisen deutlich auf den Wunsch hin, in einem solchen Wachkoma-Zustand sterben zu dürfen. Das Landgericht wird nun prüfen müssen, ob sie eine Chance hat, wieder aufzuwachen. Wenn nicht, muss die Behandlung wohl abgebrochen werden.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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