Thüringen:"Ihr veräppelt uns doch"

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Hildburghausen hat die höchste Corona-Inzidenz Deutschlands, Demonstranten gehen trotzdem auf die Straßen, der Landrat erhält Morddrohungen. Der Bürgermeister erklärt, wie es so weit kommen konnte.

Von Anika Blatz

Die Inzidenz im thüringischen Hildburghausen lag am Freitag bei 630, es herrschen strenge Ausgangsbeschränkungen. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Eiskalt erwischt habe es ihn nicht, sagt Hildburghausens Bürgermeister Tilo Kummer (Die Linke) über die umstrittenen Corona-Proteste am Mittwochabend, entsetzt sei er trotzdem. Hunderte Menschen waren in der Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises im Süden Thüringens gegen den regional verhängten Lockdown auf die Straße gegangen. Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 630 am Freitag ist der Kreis Hildburghausen nun deutschlandweit am schlimmsten getroffen. Im Vergleich: Der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 136.

Seit Mittwoch gelten für die Region deshalb drastische Einschränkungen: Bis zum 13. Dezember dürfen Wohnungen nur noch aus triftigem Grund verlassen werden, etwa, um auf die Arbeit oder zu einem Arzt zu gehen. Kitas und Schulen sind geschlossen.

Am Mittwochabend zogen deshalb einige hundert Demonstranten zum Teil dicht an dicht und oft ohne Mund-Nasen-Schutz durch die Straßen Hildburghausens. Danach stand vor allem das Verhalten der Polizei in der Kritik: Polizisten hätten Verstößen gegen das Abstandsgebot und die Maskenpflicht überwiegend tatenlos zugesehen, sagten Beobachter.

Dass es in Teilen der Bevölkerung von Hildburghausen "wenig Verständnis" für Corona-Maßnahmen gibt und Verstöße wenig bis gar nicht verfolgt werden, merkt Bürgermeister Kummer schon länger: "Wir waren ein weißer Fleck auf der Landkarte im Frühjahr, dann kam der Lockdown." Die meisten hätten niemanden gekannt, der sich infiziert hatte. Das habe dazu geführt, dass einige eine Haltung von "ihr veräppelt uns doch hier" entwickelt hätten.

Mit dieser Stimmung sei man hier in den Herbst gestartet, sagt Kummer. Jetzt kämpft er darum, dass die Grundversorgung in und um Hildburghausen aufrechterhalten werden kann. Seit heute weiß er, dass die Intensivbetten im Landkreis voll sind und hofft auf die Hilfe des Klinikverbunds. Drei Feuerwachen und eine Rettungswache wurden zuletzt abgemeldet, weil es zu wenig gesundes Personal gibt. In allen städtischen Einrichtungen gebe es Corona-Fälle und Mitarbeiter, die wegen Quarantäne ausfielen - ein kompletter Bauhof sei betroffen. Was, wenn es schneit?

Umso fassungsloser macht es ihn, wie aggressiv der Ton geworden sei. Hildburghausens Landrat Thomas Müller (CDU) steht seit Donnerstag unter Polizeischutz, nachdem er Morddrohungen erhalten hatte. Auch Kummer wird beschimpft.

Doch davon lässt er sich nicht aufhalten. Um die derzeitige Notbetreuung der Kinder weiter aufrechtzuerhalten, sollen auf freiwilliger Basis Schüler, Kita-Kinder und Erzieherinnen Schnelltests erhalten. Zudem hat er dem Landratsamt angeboten, städtisches Personal für die Nachverfolgung der Infektionsketten zur Verfügung zu stellen. Er kündigt verstärkte Kontrollen an und hofft auf die Zusammenarbeit aller Kommunen des Kreises. Gleichzeitig, so sagt Kummer, sind Strafen aber auch nicht die Lösung. "Wir können nicht überall kontrollieren. Nur wenn die Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass wirklich Gefahr besteht, bin ich guter Dinge, dass wir die Sache in den Griff bekommen." Durch mehr Aufklärung und Information hofft Kummer, zu den Bürgern durchzudringen.

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