Theodor-Heuss-Preis:Ausgezeichnetes Gericht

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Verfassungshüter im Nebenamt: Der EuGH befindet als oberstes EU-Gericht vornehmlich über Richtlinien und Verordnungen. (Foto: Nicolas Bouvy/dpa)

Das oberste Gericht Europas befasst sich vorwiegend mit Richtlinien und Verordnungen. Doch nun bekommt der EuGH den Theodor-Heuss-Preis - als Hüter der Menschenrechte.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

An diesem Samstag wird in Stuttgart zum fünfzigsten Mal der Theodor-Heuss-Preis verliehen. Und weil der Preisträger diesmal der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg ist, kann man sich schon fragen: Wofür genau wird ein Preis an ein Gericht verliehen, das über so disparate Materien wie Patentschutz oder Fluggastrechte, Beihilfen für Obsterzeuger oder Diskriminierungsverbote für Arbeitgeber entscheidet?

Die Frage beantwortet ein Blick auf das Programm der Preisverleihungsfeier. Laudatorin ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die in ihrer ersten Amtszeit als Justizministerin wegen des großen Lauschangriffs zurückgetreten war. Zudem wird eine Heuss-Medaille an Max Schrems verliehen, den Bürgerrechtsaktivisten, der gerade beim EuGH ein Aufsehen erregendes Verfahren gegen Facebook und den Datentransfer in die USA, das Land der NSA, führt. Zählt man das zusammen, kommt heraus, dass der EuGH für seine jüngste Rechtsprechung zum Datenschutz belobigt wird - für die Urteile zur Vorratsdatenrichtlinie und zum "Recht auf Vergessen" bei Google. Und vielleicht schon einmal in der vorauseilenden Hoffnung auf ein datenschutzfreundliches Urteil in Sachen Facebook.

Einerseits muss man sagen: Der Datenschutz und überhaupt die EU-Grundrechte machen nur einen kleinen Teil des EuGH-Portfolios aus. Das oberste EU-Gericht ist gleichsam ein Verfassungsgericht im Nebenamt, den Großteil seiner Zeit arbeitet es im großen Steinbruch der Richtlinien und Verordnungen. Andererseits haben die Grundrechte mit dem Inkrafttreten der Grundrechtecharta 2009 an Bedeutung gewonnen. Früher galt der EuGH als Gericht, das immer nur in den Kategorien von Binnenmarkt und Dienstleistungsfreiheit denkt. Nun nutzt das Gericht die Grundrechtecharta offensiv, um mit leuchtenden Urteilen die Herzen der EU-Bürger zu erreichen.

Der Preis kommt indes in einer schwierigen Zeit über den Gerichtshof nieder. Am 16. Juni verkündet der EuGH sein Urteil zu den Befugnissen der Europäischen Zentralbank (EZB). Das Verfahren hat zwar seine Brisanz für die Eurorettung verloren, ist aber entscheidend für das Verhältnis zwischen EuGH und dem Bundesverfassungsgericht, das den Fall in Luxemburg vorgelegt hat. Karlsruhe hat sich - zumindest in Fragen, die den Kern des Nationalstaats berühren - ein allerletztes Wort auch gegenüber dem obersten EU-Gericht ausbedungen. Die Reaktion aus Luxemburg wird von allen Verfassungsgerichten in Europa aufmerksam verfolgt werden; Skepsis gegenüber dem EuGH herrscht nicht nur in Karlsruhe.

Konfliktbeladen ist auch das Verhältnis des EuGH zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der nicht bei der EU, sondern beim Europarat angesiedelt ist. Die EU will, das ist eigentlich beschlossene Sache, der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten. Kurz vor Weihnachten hat der EuGH mit seinem machtbewussten Präsidenten Vassilios Skouris erklärt, der Beitrittsplan sei unvereinbar mit EU-Recht. Ein Manöver, mit dem der EuGH ersichtlich seinen Vorrang vor dem Straßburger Menschenrechtsgericht behaupten will. Die Richter in Straßburg waren empört.

So erhält das Motto "Europa: Zukunft einer Hoffnung", unter dem die Heuss-Stiftung den Preis verleiht, zwar einen etwas tönernen Klang. Treffend ist es trotzdem. Denn der Gerichtshof könnte, als Hüter der europäischen Grundrechte, künftig stärker ins Bewusstsein der Menschen rücken. Auch, weil die EU inzwischen eher arm an Visionen ist. Das Friedensprojekt ist in den Köpfen der jüngeren Generation nicht mehr so präsent, stattdessen denkt man an Schulden (Griechenland) oder rechtsstaatliche Verwerfungen (Ungarn). Wenn der Gerichtshof sich also zu einem echten Verteidiger der Grundrechte entwickelt - gegen eine auf Sicherheitseffizienz oder Wirtschaftsinteressen bedachte EU-Bürokratie -, dann hätte er den Preis verdient.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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