Theater:Der Streit als Gegenwartskunst

Es ist unbedingt gut, wie die Öffentlichkeit über die Vorgänge in Berlin und München debattiert.

Von Sonja Zekri

Hätte es das früher auch gegeben? Hätte es so viele Menschen empört? Und ist es gut oder schlecht, wenn sich so viele Menschen empören?

Letzte Frage zuerst: Es ist unbedingt gut, wenn möglichst viele Menschen obsessiv über das Theater streiten, weil, beispielsweise, an der Berliner Volksbühne der Museumsmacher Chris Dercon den Groß-und-größer-Intendanten Frank Castorf ablöst, oder an den Münchner Kammerspielen ein Exodus exzellenter Schauspielerinnen stattfindet, eine hochpolitische Uraufführung platzt und der einst bejubelte Intendant Matthias Lilienthal manchen nun als Totengräber des Hauses gilt. So unterschiedlich beide Fälle sind, so sehr sich das lässig übersättigte Publikum in Berlin vom konservativen, anspruchsvollen in München unterscheidet - es wird doch Ähnliches verhandelt: der Wert des Schauspielers, der Behauptungswille des Theaters gegenüber anderen Bühnenformen wie Performance oder Tanz, die Vorzüge fester Ensembles gegenüber freieren Bindungen.

Ja, auch früher haben Schauspieler gekündigt, und wenn sie geliebt wurden, gab es deshalb Aufschreie. Die Debatten um Berlin und München aber sind so spannend, weil das Theater, sonst begierig, die Wirklichkeit auf die Bühne zu bringen, nun selbst erschüttert wird. Wie viel Veränderung können sie dort wagen, ohne sich aufzugeben? Gegenwärtiger, zeitgemäßer kann Theater nicht sein.

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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