Terroranschlag in Indien:Rituale des Wahnsinns

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Der Anschlag auf den Friedenszug mit mindestens 66 Toten zeigt: Indien und Pakistan können sich erst dann richtig aussöhnen, wenn die Kaschmir-Frage gelöst ist.

Karin Steinberger

Jeden Abend kurz vor Sonnenuntergang schließen indische und pakistanische Elitetruppen die Grenze in Wagah. Sie schmeißen brutal das Eisentor zu, auf beiden Seiten angefeuert von Tausenden brüllenden Fanatikern. Über gigantische Boxen werden patriotische Songs ins Nachbarland geplärrt: "Lang lebe Mutter Indien" - "Lang lebe Pakistan, Superpower Allah".

Am indisch-pakistanischen Grenzübergang Wagah findet statt, was ein indischer Journalist einmal als "Ritual des Wahnsinns" bezeichnet hat. Es ist ein täglich sich wiederholendes, offensichtlich feindseliges Ritual, eine paranoide Macht-Show. Während sich Politiker beider Seiten immer wieder ihrer Freundschaft versichern, misstrauen sich die Völker nach wie vor.

Wenn dann wie Sonntagnacht eine Bombe explodiert in einem Zug, der beide Länder miteinander verbindet, ist das mehr als nur ein Attentat. Es ist, wie der indische Eisenbahnminister Lalu Prasad Yadav sagt, ein Versuch, den Frieden zwischen Indien und Pakistan zu destabilisieren.

Verbrannte Hoffnungen

Kein Bild könnte schädlicher sein. Der Samjhauta-Express in Flammen, der Zug der Freundschaft als Todesfalle: mindestens 66 Menschen tot, 30 lebensgefährlich verletzt. Mehr Pakistaner als Inder. Heimgekehrt vom Verwandtschaftsbesuch. Verbrannte Hoffnungen.

Und wie nach jedem Anschlag sprechen die Politiker von einem abscheulichen Terrorakt, warnen vor voreiligen Schuldzuweisungen, reden noch eindringlicher von der stabilen Freundschaft beider Länder. Doch im indischen Fernsehen werden bereits Quellen zitiert, wonach der Anschlag mit denen auf die Nahverkehrszüge in Bombay im Juli 2006 zu tun haben könnte. Anschläge, bei denen 186 Menschen umkamen. Und wieder werden islamische Terrorgruppen verantwortlich gemacht, unterstützt vom militärischen Geheimdienst Pakistans (ISI).

Der Samjhauta-Express war schon immer Gradmesser für die Beziehung zwischen Indien und Pakistan. Bei politischen Spannungen wurde die am 22. Juli 1976 eingeweihte Zugstrecke schon öfter unterbrochen. Das erste Mal 1984, als die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Sikhs im indischen Bundesstaat Pandschab eskalierten.

Das letzte Mal wurde die Strecke nach dem Anschlag auf das Parlament in Delhi im Dezember 2001 gesperrt. Die Regierung machte radikale Islamisten aus Pakistan für den Anschlag verantwortlich. Es folgte das übliche Ritual des Misstrauens: keine direkten Bus-, Flug-, Bahnverbindungen mehr, keine Cricketspiele.

Zwei Jahre lang war die Grenze zwischen den zwei Atommächten nur mit dem Flugzeug über ein Drittland zu überwinden. Dann fuhr zumindest der Bus wieder. Ein Luxusgefährt mit indischer und pakistanischer Flagge an der Seite. Mit dem Bus kam die Hoffnung. Mit ihm fuhren sie ein pakistanisches Baby nach Indien, das in Bangalore am Herzen operiert wurde.

Zug als Friedens-Ikone

Eine Friedens-Ikone. Als Anfang 2004 auch wieder der erste Zug von Lahore nach Indien fuhr, priesen Politiker dies als einen weiteren Schritt in Richtung eines dauerhaften Friedens. Zweimal die Woche verbindet der Samjhauta die beiden Länder. Ein unersetzliches Symbol. Man hoffte auf Normalität - wenigstens im Grenzverkehr.

Also wurde das Symbol so schnell wie möglich wieder flottgemacht, wurden die ausgebrannten Waggons beseitigt und die Strecke gleich am Montagabend wieder eröffnet. In der Politik gibt es Kurzschlusshandlungen zum Glück nicht mehr. Doch die Regierungen stehen unter hohem Druck.

Beide haben zu kämpfen gegen fundamentalistische Kräfte, die nach jedem Attentat mehr Härte gegen den Nachbarn fordern. Das Misstrauen beider Völker ist nicht so einfach wegzuräumen wie die Trümmer einer Bombennacht. Dafür müsste als erstes eines gelöst werden: Der ewige Streit um die Region Kaschmir.

© SZ vom 20.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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