Terror von rechts:Die Stille vor dem Schuss

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Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschüttert die Republik. Und immer mehr Politiker werden bedroht.

Von Ronen Steinke

Man kann das Video, mit dem angeblich alles begann, noch immer ansehen, man findet es leicht auf der Videoplattform Youtube. Man ist dann bloß in ziemlich unangenehmer Gesellschaft. "Über tote soll man nur gutes sagen", hat ein anonymer Nutzer dort unter der kurzen Filmsequenz kommentiert. "Es ist gut, dass er tot ist." Und: "Schmor in der Hölle".

Das verwackelte Video, nur knapp eine Minute lang, hat es zu trauriger Berühmtheit gebracht. Es zeigt den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke von der CDU: In einer Bürgerversammlung verteidigt er die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Und zwar leidenschaftlich. "Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen", ruft er, und ein Raunen geht durch den Saal, Buhrufe, dann lauter Protest.

Aber auf dem Video ist offenbar noch eine zweite Person festgehalten, nämlich Lübckes mutmaßlicher Mörder. Die lauteste Stimme auf dem kurzen Filmausschnitt aus dem Oktober 2015 ist inzwischen identifiziert, davon sind die Ermittler überzeugt, sie gehört demnach Stephan E., einem vorbestraften Rechtsextremisten. "Ich glaub's nicht", ruft er, und "verschwinde". Er ist so deutlich zu hören, dass man glauben könnte, dass Stephan E. selbst das Handy hielt, mit dem gefilmt wurde.

Dieser Rechtsextremist, 45 Jahre alt, hat im Polizeipräsidium in Kassel ein Geständnis abgelegt, dieses später aber widerrufen. Zuerst sagte er aus: Er habe in der Nacht auf den 2. Juni 2019 den CDU-Mann Lübcke aus nächster Nähe erschossen. Er sei "fassungslos" gewesen über Lübckes Worte auf der Bürgerversammlung, habe "einen Hass bekommen", so hat er ausgesagt. So wie er viele weitere Details über sein angebliches Motiv und die Tat preisgegeben hat. Auch die Namen der beiden Männer, die ihm geholfen hätten, an Waffen zu gelangen. Sie kamen ebenfalls in Untersuchungshaft, der Vorwurf lautet auf Beihilfe zum Mord.

Walter Lübcke wurde im Juni vor seinem Haus erschossen. (Foto: Swen Pförtner/DPA)

Ein Mord an einem deutschen Politiker, begangen von einem Rechtsradikalen: Das hat es seit Gründung der Bundesrepublik nicht gegeben, es hat einen Schock ausgelöst, der Bundespräsident hat sich zu Wort gemeldet, die Bundeskanzlerin. Der linke RAF-Terror ist Geschichte, Terror von rechts kostete Lübcke, den Christdemokraten und langjährigen Reserveoffizier, das Leben, einen Mann, der als besonders bürgernah galt. Mehr noch aber sind die Schüsse der traurige Gipfel einer Form von Gewalt gegen Politiker, die sich vielerorts zusammengebraut hat in den vergangenen Jahren. In Dörfern, in Städten - und vor allem dort, wo das besagte Video noch weiter Klicks anzieht; der Ausschnitt ist aus dem Zusammenhang gerissen und zeigt nicht, wie die Veranstaltung zuvor gezielt gestört wurde. "Mann der Alte hat ja nen Kopfschuss, Alter!" schreibt einer unter das Video, der Satz steht seit Juli 2019 auf der Youtube-Seite, er ist nicht gesperrt und nicht gelöscht worden, trotz aller bereits geltenden gesetzlichen Vorschriften. Stattdessen hat er Likes bekommen - und das heißt, der Youtube-Algorithmus hat ihn auf der Seite nach oben befördert. Dorthin, wo ihn mehr Leute sehen. Ein weiterer Nutzer schreibt: "Ein Hoch auf seinen Mörder", und: "... ich hätte ihn stranguliert, damit er noch zeit hat für die todesangst......"

Bemerkenswert ist auch, welche Videos man daneben zum Weitergucken empfohlen bekommt: Eine Phoenix-Sendung "Morden im Namen des Islam" steht dort. In vielen dieser Filme geht es um Verbrechen von Migranten, der Youtube-Algorithmus bedient bereitwillig die vermuteten Vorurteile seiner Nutzer, es ist der Treibstoff für weitere Radikalisierung. Dazwischen warten Interviews mit AfD-Politikern, und in einem Film erzählt ein ehemaliger NS-Reichsjugendführer mit einem Lächeln seine Lebensgeschichte.

Dem Mord an Walter Lübcke war bereits eine Reihe ähnlicher Taten vorangegangen, die Messerattacke auf Henriette Reker etwa, die am 17. Oktober 2015 als Kandidatin für das Kölner Oberbürgermeisteramt von dem Rechtsextremisten Frank S. niedergestochen wurde. Reker war für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Auch der Mann, der am 27. November 2017 einen Döner-Imbiss in der sauerländischen Kleinstadt Altena betrat und am Tresen den CDU-Mann Andreas Hollstein mit einem Messer verletzte, war von Hass auf die Flüchtlingspolitik angetrieben.

Das Opfer: Der nordhessische Regierungspräsident und CDU-Politiker Walter Lübcke wurde am 1. Juni durch einen Kopfschuss getötet. Schon seit Jahren hatten ihn Rechtsextremisten mit dem Tod bedroht. (Foto: Uwe Zucchi/DPA)

Es gibt eine Gemeinsamkeit: Die Attackierten arbeiteten auf der lokalen Ebene. Solche Leute haben keinen ständigen Polizeischutz, so wie etwa Innenminister der Länder oder viele der Angehörigen des Bundeskabinetts. Sie sind verwundbar. Vielen Ehrenamtlern, die sich für ihre Gemeinde engagieren, ist das so noch schmerzlicher bewusst geworden. Mut brauchte man schon immer, um sich politisch zu engagieren. Aber so ernst wie heute war dieser Satz lange nicht.

Eine Zäsur bedeutet der Mord an Walter Lübcke aber auch, weil unübersehbar geworden ist, wie unkontrolliert im Internet Straftaten glorifiziert werden können - nicht nur in den schummrigen Ecken des Darknets, sondern ganz öffentlich bei Facebook oder Youtube. Warum ist die Polizei bislang so wenig präsent, wenn strafbare Äußerungen im Internet getätigt werden? Die Gesetze sollen verschärft werden, hat die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) als Konsequenz aus dem Fall angekündigt; in Zukunft sollten Plattformbetreiber wie Youtube verpflichtet werden, strafbare Sprüche nicht nur zu sperren, sondern auch direkt an die Polizei zu melden.

Der Rechtsradikale, der sich bald für den Mord an Walter Lübcke vor Gericht verantworten soll, Stephan E., gehörte selbst zu jenen, die schon seit Jahren im Netz drohten. Unter dem Nutzernamen "Game Over" soll er auf Youtube hetzerische Kommentare verfasst haben. "Entweder diese Regierung dankt in Kürze ab, oder es wird Tote geben", soll er gepostet haben. Keine Behörde war dem nachgegangen.

© SZ vom 01.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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