Terror-Schlupflöcher:"Osama ist nicht in Pakistan, zu 100 Prozent nicht"

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Die Armee des pakistanischen Präsidenten Musharraf vermeldet immer neue Erfolge gegen al-Qaida, doch der Kampf ist noch lange nicht gewonnen.

Arne Perras

Tarnung ist das halbe Leben, also schlüpften die Männer an jenem Morgen unter die Burkas, bevor sie auf dem Friedhof am Stadtrand von Mardan Stellung bezogen. In den Schleiergewändern, die sonst nur Frauen tragen, fielen sie nicht weiter auf. Auch die beiden Gestalten, die mit ihrer Suzuki kurze Zeit später über den Friedhofsweg knatterten, schöpften keinen Verdacht.

Dann ging alles ganz schnell. Schüsse krachten, ein Auto schnellte aus einem Seitenpfad und versperrte dem Motorrad den Weg. So überrumpelte der pakistanische Geheimdienst ISI den Top-Terroristen Abu Faraj al-Libbi und einen Helfer. "Al-Libbi war die Nummer drei von al-Qaida", protzt ein ISI-Offizier, um zu beweisen, wie ernst Pakistan den Kampf gegen den Terror doch nehme.

Al-Libbi erwischten sie lebend, er sitzt seit seiner Festnahme Anfang Mai irgendwo in einem geheimen Verließ, wo ihn die Amerikaner verhören. Seinen Nachfolger, den Al-Qaida-Kommandanten Hamza Rabia, kann vermutlich niemand mehr befragen. Eine amerikanische Rakete soll ihn Ende voriger Woche nahe der Grenze zu Afghanistan getötet haben, zumindest berichtet das der amerikanische Fernsehsender NBC.

Pakistans Präsident Pervez Musharraf bestätigt zwar Rabias Tod "zu 200 Prozent", doch zum angeblichen Einsatz der Amerikaner schweigt er, genauso wie die US-Regierung. Es ist eben heikel zuzugeben, dass Amerikas Terrorjäger auch in Pakistan operieren, zumal Musharraf darauf pocht, dass seine Soldaten mit al-Qaida im Land schon alleine fertig würden.

Durchs wilde Wasiristan

Pakistan und der Terror, das ist eine Geschichte voller Widersprüche und Geheimnisse. Ein Krimi um Jäger und Gejagte, um gestresste Agenten und finstere Phantome. Al-Libbi ist gefasst, Rabia vermutlich tot, doch wo steckt ihr Chef, Osama bin Laden? Wie stark ist al-Qaida in Pakistan vernetzt, seitdem die Terroristen und viele Taliban aus Afghanistan vertrieben wurden? Und kann Musharraf den Kampf überhaupt gewinnen?

Die Spurensuche wird vom kleinen Städtchen Mardan über Peschawar und Islamabad bis in die Hafenmetropole Karatschi führen. Man kann sich der Terroristenjagd ja an vielen Orten nähern, auch an solchen, die gar nicht danach aussehen. Die Nacht ist längst hereingebrochen über der Stadt Peschawar nahe der afghanischen Grenze. Unser Wagen passiert ein großes Tor und rollt auf einen Palast zu, dessen Pforte in goldenem Licht erstrahlt.

Der Gouverneur der "North Western Frontier Province" hat zum Imbiss geladen, und wer die Hallen seines Amtssitzes durchschreitet, tritt eine Reise in die koloniale Vergangenheit an. Überall hängen Insignien der verflossenen britischen Herrschaft, zwei Tigerfelle zieren die Wand, es folgt die Galerie der britischen Gouverneure, die diesen Landstrich einst kontrollieren sollten. Damals galt es, das Herzstück des Empires - Britisch-Indien - zu verteidigen. Doch die Kolonialherren aus England sollte die Gegend nie richtig in den Griff bekommen.

Umso mehr klopft sich die pakistanische Regierung jetzt für ihren Wagemut auf die Schulter. General Pervez Musharraf hat 78.000 Soldaten ins Grenzgebiet zu Afghanistan abkommandiert. Ihr Auftrag: Terroristen jagen. Und natürlich: Osama bin Laden fassen, wenn er sich denn auf pakistanischem Boden befindet.

Gouverneur Khalil ur Rehman ist dabei ein wichtiger Mann, er repräsentiert mit seinen Agenten die Zentralregierung in den autonomen Stammesgebieten, wo sich Al-Qaida-Terroristen und andere militante Extremisten verschanzen, die den Terror in die Welt tragen. Schutz finden sie bei paschtunischen Stammesführern, die sich weigern, ihre Glaubensbrüder auszuliefern, und dafür sogar Krieg gegen Musharraf in Kauf nehmen.

Gouverneur Rehman hat sich auf einem Samtsessel neben einer mannshohen chinesischen Vase niedergelassen und rührt in seinem Tee. "Zuerst versuchen wir es mit Verhandlungen." Lockmittel hat die Regierung ja auch zu bieten: Mal wird ein neuer Brunnen versprochen, mal eine Straße oder Strom. Entwicklung soll getauscht werden gegen Hilfe im Anti-Terror-Kampf.

"Wenn die Gespräche fehlschlagen, dann bleiben nur die Operationen", sagt er. Dann werfen Kampfjets Bomben oder Spezialeinheiten versuchen, ein Zielgebiet einzukreisen. "Wir eliminieren die Ausländer", sagt Rehman. "Ausländer" nennt er die Terroristen, die aus arabischen oder zentralasiatischen Ländern stammen sollen.

Die Armee konzentriert ihren Einsatz auf die Stammesgebiete Nord- und Südwasiristan, die südlich des Khyber-Passes liegen, dem Tor nach Afghanistan. Oben am Pass wachen die "Khyber Rifles", eine Truppe von Grenzschützern, die einst schon die Briten nutzten. Am höchsten Punkt steht Major Babar Masood Khan und erklärt, dass sie hier zwar kein Problem mit Terroristen hätten. Aber die Grenze ist lang. 2430 Kilometer.

Überall entlang dieser Linie hat die Armee neue Wachposten eingerichtet, aber wer sich das Terrain ansieht, bekommt schnell eine Vorstellung davon, wie schwer es sein muss, die Grenze zu kontrollieren. Schier endlos erscheinen die zerklüfteten Bergketten, in deren Wildnis sich das Auge schnell verliert.

Dort irgendwo in der Ferne liegt auch Wasiristan, das für ausländische Beobachter unerreichbar ist. Die Armee verbietet den Zugang, sie sagt, es sei dort zu gefährlich. Die Generäle verwandeln Wasiristan damit in ein Reich der Phantome, in das man allenfalls hineintelefonieren kann. Von den Wasiris, die wir auf diesem Wege erreichen, will keiner mit seinem Namen in einer Zeitung stehen.

Was sie erzählen, klingt nicht nach einem Triumph der Armee. Allein in diesem Jahr seien 70 Menschen von den Extremisten gezielt getötet worden, weil sie sich auf die Seite der Regierung geschlagen hätten, erzählt ein Bewohner am Telefon. Stammesführer, die mit den Soldaten kooperieren, müssten um ihr Leben fürchten, sie sitzen zwischen Hammer und Amboss. "Die Lage verschlechtert sich", klagt der Mann, auf vielen Märkten klinge es schon wie in Zeiten der Taliban-Herrschaft in Afghanistan. Keiner darf Musik hören, nur Lobgesänge auf Allah und den Propheten Mohammed seien erlaubt. Die Militanten hätten die Kontrolle über viele Gebiete verteidigt.

Trotz der Probleme rühmt sich der Geheimdienst ISI damit, wie erfolgreich Pakistans Kampf gegen den Terror sei. "Sie können mich Mr. Ali nennen, so kennt mich auch al-Qaida", sagt ein Herr in feinem grauen Zwirn, den wir in einem Backsteinbau in Islamabad treffen. Mr. Ali gehört zur Anti-Terror-Einheit des ISI und referiert über den Einsatz.

Seine Liste der getöteten oder inhaftierten Terroristen ist lang, ein Foto nach dem anderen wirft er an die Wand. 50 bis 70 Araber aus Saudi-Arabien und Ägypten würden sich aber noch in Wasiristan verschanzen, dazu 150 bis 200 Zentralasiaten. Tschetschenen, Tadschiken, Usbeken. Und 200 "einheimische Bösewichte", wie Mr. Ali sie nennt. "Al Qaida ist geschwächt", sagt er schließlich, "aber noch nicht ausgeschaltet."

Zweifel am Geheimdienst

Und Terror-Fürst Osama bin Laden? Sind sie ihm nun auf der Spur? "Osama ist nicht in Pakistan, zu 100 Prozent nicht", sagt Mr. Ali mit fester Stimme. Aber sein Land werde nicht aufgeben, es führe diesen Kampf zu Ende, so hart er auch sein mag. Pakistan sei allerdings vom Ausland enttäuscht, das nicht anerkenne, was der Staat alles leiste. Rund um die Uhr würden seine Kollegen ackern, sie wüssten schon gar nicht mehr, was ein normales Leben sei. Kein freier Abend, kein Wochenende. "Und wer hat mehr gelitten als wir?", lamentiert Mr. Ali. "256 Kollegen habe ich schon verloren."

Die Schlacht wird freilich nicht allein in Pakistan entschieden. Viel wird davon abhängen, wie sich Afghanistan weiter entwickelt. "Wir können uns keine feindliche Nachbarschaft leisten", sagt ein ISI-Mann. Was aber, wenn Hamid Karsai mit seinem neuen Afghanistan scheitert? Wenn die Taliban doch wieder Kraft schöpfen? Dann wird der Krieg gegen den Terror noch schwieriger und Pakistans Problem noch größer. Schließlich leben drei Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan im Land, und wer ein Taliban ist und wer nicht, bleibt schwer auszumachen. Zudem gibt es die Vermutung, dass es in den Rängen des pakistanischen ISI selbst noch Leute gibt, die den Taliban die Stange halten. Pakistan weist solche Zweifel energisch zurück. Es gebe kein doppeltes Spiel. Der Kampf gegen den Terror sei im Interesse des Landes.

"Musharraf reitet eine Rasierklinge", heißt es in deutschen Sicherheitskreisen. Das trifft die Sache wohl ganz gut. Mindestens zwei Mal schon ist der Präsident knapp einem Anschlag entronnen. Drahtzieher soll jener al-Libbi gewesen sein, den sie auf Mardans Friedhof fassten. Musharrafs Krieg in Wasiristan ist auch ein Kampf gegen Teile der eigenen Bevölkerung. Denn einst galten die Dschihadis als Helden, jetzt werden sie als Terroristen gejagt. Viele Pakistaner erinnern sich noch daran, dass der Westen ihr Land als Frontstaat gegen die vorrückenden Sowjets in Afghanistan nutzte. Amerika und der Geheimdienst ISI halfen in den achtziger Jahren, die Mudschahedin auszubilden, die mit ihrem Guerilla-Krieg Moskau schließlich in die Knie zwangen.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aber wendete sich das Blatt, nun waren die Taliban, die sich in Kabul an die Macht gekämpft hatten, auf einmal der Feind des Westens, weil sie Osama bin Laden Schutz boten. Taliban und Al-Qaida-Kämpfer flohen vor den amerikanischen Bomben ins Nachbarland, wo Musharraf sie nun ausschalten soll. Pakistan ist wieder Frontstaat, aber einer gegen den Terror. Wer mit den Idealen der Mudschahedin groß geworden ist, hat Mühe, diesen Schwenk mitzumachen.

Hinzu kommt, dass viele Pakistaner glauben, ihr Präsident tue all dies nur, weil ihm die Amerikaner im Nacken sitzen. "Busharraf" nennen ihn manche schon verächtlich. Der Zorn auf Amerika ist vielerorts zu spüren, auch Maulana Sami ul Haq wird darauf noch zu sprechen kommen. Der Mann leitet eine große Madrassa, eine Koranschule, in Akora Khattak bei Peschawar. Als er uns durch sein Reich führt, regnen im Hof Rosenblätter auf die Gäste herunter, Schüler in blauen Uniformen und rotem Halbmond auf der Mütze sind angetreten und rufen im militärischen Takt: "Welcome, Welcome, Welcome." Dann tritt der Stellvertreter des Maulana ans Mikrophon, um seinen Meister zu verteidigen. "Die Welt hält diesen Mann für einen Barbaren", ruft er, "in Wahrheit ist er ein Mann des Friedens". Alle sollten wissen, dass dies keine Brutstätte des Terrors sei.

Doch die Madrassa hat ihre Geschichte, hier wurden die Gotteskrieger ausgebildet, die gegen die Rote Armee kämpften. Später beim Tee sagt der Maulana, es gäbe keine Verbindung mehr mit den Taliban. Verstehen kann er diese Krieger aber schon, denn Amerika führe schließlich "einen Kreuzzug gegen die islamische Welt". George Bush wolle sie unterwerfen, das sei klar, und dagegen dürfe man auch kämpfen.

Pakistan müht sich, die Madrassas reinzuwaschen von ihrem üblen Ruf im Westen. Aber Zweifel bleiben. Der Terrorführer al-Libbi zum Beispiel soll nahe der Stadt Mardan in einer solchen Madrassa Unterschlupf gefunden haben. Und seltsam ist auch, dass der Geheimdienst die Reform der Schulen durchaus als Teil ihres Anti-Terror-Kampfes betrachtet. Rahimullah Yusufzai, ein Journalist in Peschawar, glaubt, dass sich die Madrassas nicht wirklich gewandelt hätten. "Sie werden weiter die Soldaten des Islam hervorbringen", urteilt er.

Amerikas Trutzburg

Vom Schulhof der Madrassa ist es ein ziemlich weiter Sprung in die fiebrige Hafenmetropole Karatschi, die niemals Ruhe findet. Mittendrin hat Ghulam Muhammad Mohatarem sein Büro, der für die Sicherheit in der Stadt zu sorgen hat. Der Innenminister der Provinz Sindh ist von sieben Telefonen umlagert, vielleicht könnte er noch ein paar mehr gebrauchen, um sich Tag für Tag ein Bild von Mord und Totschlag in der Stadt zu verschaffen. Karatschi ist ein gefährlicher Moloch, auch wenn Mohatarem solche Worte nicht in den Mund nehmen würde. Was al-Qaida betrifft, so glaubt er ohnehin, dass sich die westliche Welt ein falsches Bild von der Metropole macht.

"Von einem Al-Qaida-Netzwerk kann keine Rede sein", behauptet er. Diese Leute würden die Stadt höchstens als Transit-Station nutzen. Allerdings waren in der Vergangenheit mehrfach Al-Qaida-Leute in Karatschi gefasst worden, darunter Ramzi Bin al-Schibb, der zur Hamburger Terror-Zelle gehörte.

Auch der US-Journalist Daniel Pearl wurde hier von Islamisten als Geisel genommen und ermordet. Mehrfach haben Extremisten zudem versucht, das US-Konsulat in Schutt und Asche zu bomben, was Mohatarem jedoch herunterspielt: "Das sind einfach Idioten, die sagen: Jetzt zeigen wir es mal den Amerikanern."

Fest steht, dass sie ziemlich gefährlich leben, die Amerikaner in Karatschi. Dies gilt besonders für Mary Witt, die US-Generalkonsulin. Wer sie besucht, muss erst einmal durch den dichten pakistanischen Sicherheitsring, der das Konsulatsgelände weiträumig umgibt. Dann sind mehrere Sicherheitssschleusen aus Panzerglas und Stahl zu passieren, bevor man in jenen Trakt gelangt, wo Präsident George Bush und Vize Dick Cheney unbehelligt von der Wand lächeln dürfen.

Oft kommt Mary Witt nicht aus ihren gepanzerten Gemächern heraus, und wenn sie es doch einmal muss, geraten ihre Sicherheitskräfte schwer ins Schwitzen. Mary Witt nimmt all dies mit stoischer Ruhe und viel Pflichtgefühl. "Ich bin hier, um meinen Landsleuten in der Stadt zur Seite zu stehen," sagt sie tapfer. Und sie wusste ja, auf was sie sich einlassen würde. "Dies ist nicht Paris", sagt sie mit einem leichten Lächeln.

Und Pakistans Kampf gegen den Terror, läuft er nun gut oder schlecht? Mary Witt nimmt sich Zeit, um ihre Worte zu wählen: "Musharraf ist ein guter Partner", sagt sie schließlich. "Aber man kann immer noch mehr machen."

© SZ vom 6.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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