Terror in Indien:Der zerbrochene Spiegel

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Hetze und Boykott: In Indien tobt seit Jahren ein Kulturkampf. Er wird angetrieben durch absurde Reinheitsvorstellungen von Islamisten und nationalistischen Hindus.

Alex Rühle

Der Weltgeist weht tatsächlich, wo er will. Schon beeindruckend, wenn man ihm an einem novembrigen Freitag plötzlich in einer Hotellobby am Neckar zuhören darf.

In Indien tobt ein Kulturkampf - doch bei einer Gedenkzeremonie für die Opfer der Anschläge wird die Einheit der Nation beschworen: "Proud to be an Indian" ("Stolz ein Inder zu sein"). (Foto: Foto: AP)

In Mumbai brennt das Hotel Taj Mahal, im Tübinger Hotel Domizil sitzen der Schriftsteller Kiran Nagarkar aus Mumbai und der Germanist Anil Bhatti aus Neu-Delhi in einer Ecke und kommentieren für sich die Kaschmirfrage, den indischen Kulturkampf und die in ihrer Choreographie fast schon inszeniert wirkenden Attentate.

"Sie kamen vom Meer her, aus der Arabischen See, bei Nacht, in kleinen Booten", sagt Anil Bhatti, als rezitiere er ein Epos in erhaben schwingendem Versmaß. Die beiden sind vor 55 Jahren gemeinsam in Pune auf die Schule gegangen, in Tübingen trafen sie einander erstmals wieder.

Nagarkar hatte die diesjährige Poetik-Dozentur inne, Bhatti war in der Stadt, um ein internationales Forschungsprojekt zum Thema der kulturellen Homogenität und Diversität anzuschieben. Und plötzlich, über Nacht, lasen sich der Projektaufsatz des Einen und die Vorlesungen des Anderen wie Kommentare zu den Terroranschlägen.

Nagarkar hatte am Tag zuvor in seiner Poetikvorlesung skizziert, wie seine kosmopolitische Heimatstadt über die Jahre in den Würgegriff fundamentalistischer Reinheitsfanatiker geraten konnte, warum ausgerechnet Mumbai, dieser Klumpatsch aus Muschelkalk, faulen Palmenblättern und Plastik, aus viktorianischer Prunkarchitektur, postmodernen Malls und Wellblech, aus 120 Sprachen, den noblen Träumen Gandhis und den lauten Bildern Bollywoods, Hort zweier hindunationalistischer Hetzparteien und immer wieder Angriffsziel muslimischer Extremisten werden konnte.

Anil Bhatti wiederum zeigt in seinem Text, wie absurd jung deren jeweilige Reinheitsfantasien sind, dass sowohl die hindunationalistischen als auch die islamistischen Ideologien in diesem Land, in dem Muslime und Hindus seit über 1200 Jahren miteinander leben, erst im 20. Jahrhundert aufkamen: Vinayak D. Savarkar, der ideologische Begründer des Hindunationalismus, funktionalisiert in den dreißiger Jahren den bis dahin völlig unpolitischen Hinduismus zu einer politischen Waffe um, er soll plötzlich der Zement sein, der ein monolithisches Indien zusammenhält - und der für alle anderen zur unüberwindlichen Mauer wird: Nur Hindus sind echte Inder, Muslime, so Savarkar, identifizieren sich immer mit Moslems außerhalb Indiens.

1936 frohlockte er, wenn die Hindus stark genug würden, könnte es den Muslimen in Indien genauso ergehen wie den Juden in Deutschland. Savarkar und seine hindu-fundamentalistischen Enkel von heute glauben, es habe einst ein Goldenes Zeitalter gegeben, das durch den Einbruch des Islam zerstört worden sei und das restauriert werden müsse. Voraussetzung dafür ist die Reinigung Indiens, der Ausschluss aller Andersgläubigen.

Das Spiegelbild der Terroristen

Im Bundesstaat Orissa gab es unlängst Pogrome gegen Christen, 1000 Häuser und 80 Kirchen brannten, es gab 16 Tote, 15.000 Menschen wurden vertrieben; im Bundesstaat Karnataka, der von der hindunationalistischen BJP regiert wird, gab es ebenfalls Hetzjagden auf Christen.

Gleichzeitig wird Indien immer wieder erschüttert von Anschlägen muslimischer Extremisten, allein in diesem Jahr sind schon mehr als 350 Menschen gestorben. Für Bhatti sind die Islamisten und die Hindunationalisten Zwillinge.

"Beide träumen von Homogenität, beide wollen ein Land, in dem sie wie in einem Spiegel nur sich selber sehen. Aber Indien ist ein zerbrochener Spiegel, wenn der Terrorist hineinschaut, sieht er 26 andere Terroristen aus 26 Splittergruppen. Die sind selbst ihr jeweiliges Spiegelbild, in ihrem Hass auf das säkulare, tolerante Indien, in dem sie leben."

Sobald Bhatti aber von seinem Traum vom "ursprünglich" toleranten Indien, vom demokratisch heterogenen Miteinander, in dem Religion Privatsache ist, fortgerissen zu werden drohte, holte ihn Nagarkar mit seinem schnappmesserschnellen Sarkasmus zurück auf den Boden Mumbais: "Kann ja sein, dass es ein paar aufgeklärte Kosmopoliten gibt, aber denk doch an Shabana Azmi."

Die Schauspielerin sorgte kürzlich für einen Skandal, als sie wetterte, selbst sie als Bollywoodstar habe heute keine Chance mehr, in Mumbai eine Wohnung zu bekommen - nur weil sie Muslimin sei. Eine Wohnsiedlung hatte perfide damit geworben, dass sie "ein harmonisches Miteinander garantiert, wie es vorgeschrieben wird in den Veden."

Auf Seite zwei: Warum Indiens berühmtester Maler mit 91 Jahren ins Exil ging.

Nagarkar sagt, ganze Viertel in Mumbai seien mittlerweile rein hinduistisch oder muslimisch. Bhatti kann diese schleichende Form der Exklusion in Delhi noch nicht sehen, "aber grundsätzlich gilt: Was Mumbai heute macht, macht morgen ganz Indien."

Was also macht Mumbai? Früher strickte Bollywood eifrig mit am Bild des multikulturellen Indien und produzierte wirkmächtige Parabeln über das Miteinander der Religionen und Kulturen. Ein berühmtes Beispiel ist der Film "Amar, Abkar, Anthony" von 1977, in dem drei arme Brüder durch diverse Schicksalsschläge voneinander getrennt werden.

Einer von ihnen wird von Hindus großgezogen, einer von Moslems, der dritte kommt in eine Christenfamilie. Als Erwachsene finden die drei einander wieder und sind trotz unterschiedlicher Sozialisierung ein Herz und eine Seele.

Anthony, den Christen, spielte damals Amitabh Bachchan, einer der Megastars des indischen Kinos. Dessen Frau Jaya erklärte vor einigen Wochen, als sie bei einem Bankett eine Rede halten sollte, sie werde auf Hindi sprechen, weil sie aus Uttar Pradesh stamme. Niemand störte sich daran, warum auch, im Schmelztiegel Mumbai sprechen mindestens so viele Menschen Hindi wie es Sprecher des lokalen Marathi gibt.

Am nächsten Tag aber dröhnte Raj Thackeray, Chef der ultranationalistischen Partei Maharashtra Navnirman Sena, Frau Bachchan solle nach Uttar Pradesh abhauen, wenn sie Hindi sprechen wolle. Er selbst werde dafür sorgen, dass alle Filme, in denen sie oder ein anderes Mitglied der Bachchan-Familie auftrete, boykottiert werden.

Verbrannte Bücher und Bilder

Das war keine leere Drohung. Thackerays ekelhafte Partei liefert sich permanent Duelle mit der Shiv-Sena-Partei von Thackerays Onkel, wer nun die perfideren Verhetzungen unters Volk bringt. Die beiden Parteien haben es geschafft, dass Maqbool Fida Husain, Indiens berühmtester Maler, mit 91 Jahren ins Exil ging; in seinen synkretistischen Bildern malte der Muslim oft leichtbekleidete hinduistische Gottheiten - weshalb seine Bilder regelmäßig verbrannt wurden.

Die beiden Parteien riefen auch dazu auf, Buchhandlungen abzufackeln, die ein Buch des amerikanischen Historikers Richard Laine über Shivaji verkauften. In Pune verwüsteten sie ein Archiv, nur weil einer der Mitarbeiter in Laines Buch zitiert worden war. Man kann getrost von einem Kulturkrieg sprechen.

Kiran Nagarkar kann davon ein Lied singen; als er für seinen zweiten Roman von der Regionalsprache des Marathi ins Englische wechselte, wurde er von Thackerays Bluthunden als linguistischer Vaterlandsverräter beschimpft; keiner rezensierte "Ravan und Eddie", alle empörten sich nur, dass Nagarkar nicht mehr in seiner authentischen Muttersprache, sondern in der hybriden Sprache der einstigen Kolonialherren schreibe.

Leider muss Nagarkar dann zur Abschlussdiskussion seiner Poetikvorlesung. Aber eins wollte er noch sagen. Als Islamisten 2006 mehrere vollbesetzte Pendlerzüge in Mumbai in die Luft sprengten, seien alle davon ausgegangen, dass es zu Pogromen kommen werde. "Nichts dergleichen ist geschehen, die Leute haben einander geholfen. Trotzdem fragt die CNN-Moderatorin vorhin wie selbstverständlich, ob der Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan nun unvermeidlich sei."

© SZ vom 01.12.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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