Terror:Chiffre IS

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Was die Taten von Orlando und Paris verbindet? Die Täter nutzten die Terrormiliz IS wie ein Label, wie ein perverses Modewerk - zur Rechtfertigung und zur Potenzierung der eigenen Tat.

Von Stefan Kornelius

Omar Mateen und Larossi Abballa hätten viele Gemeinsamkeiten entdeckt, wären sie einander bekannt gewesen. Beide waren muslimische Männer, mit 29 und 25 Jahren nahezu gleich alt, beide hatten schon lange einen Hang zur Gewalt, sie stammten aus sozialschwachen und bildungsfernen Milieus, sie praktizierten ein bisschen ihren Glauben.

Seit wenigen Tagen vereint sie auch ihre Tat: Der eine ist ein Mörder von 49 Menschen, ein kaltblütiger Killer mit einem schier unerschöpflichen Tötungstrieb; der andere ist nun ebenfalls ein Mörder, der eine Mutter vor den Augen ihres dreijährigen Kindes mit dem Messer erstach, nachdem er schon dem Vater mit der Klinge das Leben genommen hatte.

Mateen und Abballa ließen die Menschheit wissen, sie hätten ihre Tat im Namen einer Organisation begangen, die allerdings von ihnen noch nie etwas gehört haben wird. Mateen und Aballa wollten Dschihadisten sein, islamistische Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates (IS) gegen - ja gegen was eigentlich? Gegen Andersgläubige? Andersliebende? Andersdenkende?

Beim Massenmörder von Orlando ist die Motivlage verworren. Freilich, er hatte zuvor schon von Gewalttaten fantasiert und sich in der Tatnacht am Telefon zum IS bekannt (der seinerseits die Gelegenheit freudig ergriff zur Verstärkung seines Mord-Marketings). Andererseits könnte sich hier auch ein verworrener Lebensweg einen letzten Pfad der Gewalt gebahnt haben - vielleicht, weil der Mann von eigenen homoerotischen Neigungen überwältigt und beschämt war, vielleicht weil er aus blankem Schwulenhass handelte. Er wäre nicht der Erste gewesen.

Was die Taten von Orlando und Paris verbindet, ist die Leichtigkeit, mit der die Chiffre IS inzwischen benutzt und aufgebläht wird - bei den Tätern wie bei den getroffenen Gesellschaften und ihren politischen Vertretern. Die Täter nutzen die Terrormiliz als Label, zur Rechtfertigung und vor allem zur Potenzierung der eigenen Tat. Wer im Namen einer vermeintlich starken und gewaltbereiten Organisation handelt, der macht sich größer, als er in Wahrheit ist. Die Furcht vor solchen Tätern ist nachhaltiger, intensiver. Die Tat wirkt als Teil eines gewaltigen Plans, eines finalen Zerstörungswerks.

Dieser IS-Terror hat es also geschafft, dass er in Islamistenkreisen so etwas wie ein perverses Modewerk ist, eine begehrte Auszeichnung, die per Nachahmung zu erhalten ist. Niemand muss sich bei diesem Islamischen Staat eingeschrieben, niemand muss ein Camp besucht haben. Es reicht die Verflechtung der Fantasien. Das ist die zynische Perfektionierung der Terroridee: Sie funktioniert jetzt von alleine. Mateen und Abballa haben gezeigt, dass es nur einen Willen und eine Waffe braucht.

Der Terror funktioniert nur, weil die Politik von Angst erfasst ist

Wohlgemerkt: Niemand sollte Terror allein als Kopfgebilde abtun. Die Gewalt hat ihren realen Ursprung. Die Tötungsbereitschaft der Extremisten ist auch zu weit ausgeprägt, als dass man von abstrakten Gefahren sprechen könnte. Und dennoch funktioniert Terror in dieser Dimension nur, wenn das Gegenstück dazu vorhanden ist: die Angst. Erst die Angst verschafft dem Terror seine ultimative Bedeutung und den Tätern den Antrieb. Die Mörder sind angestachelt von der Angst und der Lähmung, die sie in den Köpfen erzeugen. Das macht sie mächtig.

In den allemal von Angstneurosen getriebenen Vereinigten Staaten strebt inzwischen ein Mann an die Staatsspitze, der sein gesamtes politisches Programm auf Angst gebaut hat. Donald Trump hat am Tag der Tat von Orlando keine Sekunde gezögert, sein Angstkonto zu füllen. Deswegen hat er Mateen sofort ins Terroristenlager geschoben und die gesamte politische Klasse zu einem ähnlich harten Urteil gezwungen.

Der ermittelnde Rechtsstaat nahm sich keine 24 Stunden, seine Überlegenheit zu zeigen und eine simple Frage zu beantworten: Könnte es sein, dass der Mörder ein ganzes Bündel von Neurosen mit sich herumschleppte, die er dank der von Trump unterstützten Waffengesetzgebung und eines riesigen Munitionsvorrats zur Entladung bringen konnte?

Trump bekämpft seine Angst mit einer Radikalität unvergleichbaren Ausmaßes. Er ist ein Verbalterrorist, der den Hass in der Gesellschaft entfesselt. Schon seine Kandidatur zeigt, wohin der Terror führt, wenn man sich seiner Logik ergibt.

In Paris ließ der Täter Abballa über die sogenannten sozialen Netzwerke wissen, dass dies nur der Beginn eines größeren Blutbades während der Europameisterschaft sei. Der französische Staat musste ihm schon seit Monaten den Gefallen tun, die Angst vor dem Terror wachzuhalten. Die Spirale dreht sich also auch hier weiter - entkommen kann ihr keiner.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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