SZ vom 16.12.2000:Endlich Chefin sein

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Türkische Unternehmerinnen entsprechen nicht den Klischees.

Ralf Husemann

Kopftuch, drei Schritte hinter dem Ehemann, der deutschen Sprache nicht mächtig und nichts als Sehnsucht nach Anatolien im Herzen - die üblichen Assoziationen vieler Deutscher beim Stichwort "Türkin". Einen gänzlich anderen Typus hat die Berliner Sozialwissenschaftlerin Felicitas Hillmann kennen gelernt: Selbstbewusste Unternehmerinnen, von denen jede Zweite ledig ist, die sich nicht auf die eigene Großfamilie verlassen, sondern selbständig eine Firma aufbauen und ihre Kunden auch oder sogar überwiegend bei den - weil einkommensstärkeren - Deutschen suchen.

Mit ihrer Arbeit ("Türkische Unternehmerinnen und Beschäftigte im Berliner Ethnischen Gewerbe") hat Frau Hillmann Forschungsneuland betreten. Bis dahin gab es noch keine empirische Untersuchung, die sich speziell mit Türkinnen im Geschäftsleben befasste. Bei ihren Recherchen wurde ihr schnell klar, dass ihre akademischen Kollegen noch häufig von falschen Voraussetzungen ausgehen. Vor allem erfuhr sie, dass die sogenannte Ethnizität, also die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, entgegen der häufigen Annahme in der sozialwissenschaftlichen Literatur, bei den von ihr befragten türkischen Frauen bei weitem nicht die vermutete große Rolle spielt. Mit anderen Worten: Türkische Unternehmerinnen sind in erster Linie Unternehmerinnen und dann erst Türkinnen.

Doch auch wenn der Anteil der türkischen Frauen, die den Sprung in die Selbständigkeit wagen, kontinuierlich steigt, sind die absoluten Zahlen noch nicht imposant. Insgesamt leben - Stichtag 30. Juni 2000 - 434 000 Ausländer in Berlin, ein knappes Drittel von ihnen sind Türken, wobei der Frauenanteil nicht ganz die Hälfte ausmacht. Von den etwa 60 000 türkischen Frauen sind nur etwa 30 Prozent erwerbstätig und von ihnen wiederum nach regionalen Studien (exakte Zahlen gibt es nicht) etwa 13 Prozent selbständig. Das wären immerhin mehr als 2300 Unternehmerinnen. Seit der Wiedervereinigung wächst ihr Anteil ständig. Ein Grund ist die überproportional hohe Arbeitslosigkeit in dieser Bevölkerungsgruppe - aber nicht allein. So nannten die Frauen noch häufiger als Motiv, sie hätten endlich selbst Chefin sein und außerdem mehr verdienen wollen. Viele hatten für ihren Entschluss auch weibliche Vorbilder, die schon zuvor diesen Schritt getan hatten. Nur in einem Interview (von insgesamt 50, die Felicitas Hillmann mit Selbständigen und abhängig Beschäftigten führte) räumt eine Türkin ein, ihr Mann habe die Entscheidung für sie getroffen, während fünfmal von einem gemeinsamen Entschluss der Ehepartner gesprochen wurde (wobei, wie gesagt, ohnehin nur jede zweite Befragte verheiratet ist).

"Im Ermessen der Behörde"

Gerade für die Türkinnen der so genannten zweiten Generation steht die Selbständigkeit weit oben auf der Berufs-Wunschliste. In einer Befragung durch die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales gaben dies 68 Prozent der männlichen und 54 Prozent der weiblichen Jugendlichen an. Der Wunsch allein reicht natürlich nicht. Neben dem erforderlichen Kapital ist eine Genehmigung der deutschen Behörden erforderlich, die Ausländern, die nicht aus EU-Ländern kommen, nicht ohne weiteres erteilt wird. In Berlin gibt es seit drei Jahren folgende Regelung: "Türkischen Staatsangehörigen, die sich nach fünfjähriger Erwerbstätigkeit oder nach zehnjährigem ununterbrochenen ordnungsgemäßem Aufenthalt rechtmäßig hier aufhalten, ist die selbständige Erwerbstätigkeit zu gestatten. " Ob die Voraussetzungen als zutreffend anerkannt werden, steht "im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde".

Ein jährlich erscheinendes türkisches Branchenbuch ("Is Rehberi") zeigt, dass die Zeiten, da Ali und Leyla fast ausschließlich in gastronomischen und Reinigungsbetrieben arbeiteten, längst vorbei sind. Es gibt inzwischen vom Architekten bis zum Finanzdienstleister, vom Spediteur bis zum Rechtsanwalt keinen Beruf, in dem nicht auch türkische Selbständige zu finden sind. Ein ähnlicher Branchenmix, wenn auch noch nicht auf akademischem Niveau, findet sich auch bei den befragten Unternehmerinnen, die Reisebüros, Kosmetikgeschäfte, Änderungsschneidereien, Boutiquen, Kioske oder Restaurants betreiben.

Die meisten der jungen Frauen (Durchschnittsalter 33 Jahre) haben im übrigen nicht ein Geschäft übernommen, sondern es neu eröffnet. Sie investierten dabei zwischen 12 000 und 165 000 Mark, wobei allerdings keine einzige Unternehmerin auch Eigentümerin ihrer Geschäftsräume ist. Bei der Finanzierung sprangen zwar oft die Familienangehörigen ein, häufiger wurden aber, auch anders als meist angenommen, zumeist Bankkredite aufgenommen oder die Sparbücher geplündert - wie es Deutsche auch tun, wenn sie eine Firma gründen. Auch die Erwartung, dass zumeist Familienangehörige oder türkische Landsleute beschäftigt würden, entspricht nicht den Tatsachen. Die Frauen fürchten im Gegenteil, dass schnell hierarchische Probleme entstehen könnten, sobald männliche Verwandte, insbesondere der Ehemann, eingestellt würden.

Auffällig ist, dass im Gegensatz zu den Angestellten und Arbeiterinnen die meisten Unternehmerinnen schon als Kinder oder Minderjährige nach Deutschland gekommen sind, entsprechend gut Deutsch können und auch eine bessere Schul- und Berufsausbildung haben. Eine Kosmetikerin grenzt sich ganz bewusst vom vermeintlich "ethnischen Gewerbe" ab: "Ich will nicht typisch türkisch sein, weil ich etwas Besonderes und Qualität anbiete. "

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