Syrien:Tödlicher Auftrag vom mächtigen Nachbarn

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Der Bericht des UN-Ermittlers Detlev Mehlis belegt detailliert, wie syrische Geheimdienste das Attentat auf den früheren libanesischen Regierungschef vorbereiteten.

Tomas Avenarius

Es sind nur knapp 60 Seiten bedrucktes Papier, aber sie könnten gewaltige Sprengkraft entwickeln. Nachdem UN-Sonderermittler Detlev Mehlis seinen Bericht über den Bombenanschlag auf Libanons früheren Premier Rafik al-Hariri veröffentlich hat, steht Syriens Staatsführung am Pranger. Die Quintessenz, die der Berliner Oberstaatsanwalt nach einer mehrmonatigen Untersuchung des Beiruter Anschlags im UN-Auftrag gezogen hat: Hariri ist offenbar einem Komplott syrischer und libanesischer Geheimdienstler zum Opfer gefallen.

UN-Team untersucht das Bomben-Attentat auf Rafik al-Hariri (Foto: Foto: Reuters)

Aufgrund des im Report nachgezeichneten Konflikts zwischen Syriens Staatschef Baschar el-Assad und dem damaligen libanesischen Premier und späteren Oppositionsführer Hariri ist die unausgesprochene Botschaft klar: Es ist nahe liegend, dass dies ein politisch motiviertes Verbrechen war.

Der UN-Bericht widerspricht dem, was Syriens Staatschef erklärt hat: "Wir sind hundert Prozent unschuldig." Das Attentat könne kaum "ohne Zustimmung ranghoher syrischer Sicherheitskräfte und ohne die Mitwisserschaft ihrer Partner in den libanesischen Diensten" erfolgt sein, so der UN-Report. Laut Zeugenaussagen sind selbst Assads Schwager, der mächtige Chef des Militärgeheimdienstes Asef Schaukat, und Assads Bruder Mahir verwickelt. Dem Verdacht, hinter dem Mord zu stehen, wird sich Assad also kaum entziehen können.

"Politisches Erdbeben"

Mehlis hatte in Syriens Hauptstadt Aufsehen erregt, als er dort hochrangige Politiker vernahm. Der resolute Jurist, der seit den achtziger Jahren vor allem auf Terrorprozesse mit Nahost-Hintergrund spezialisiert war, hatte zuvor in Deutschland eine gewisse Berühmtheit erlangt, weil er zehn Jahre lang rund um den Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" ermittelte und den Terroristen Johannes Weinrich aufspürte. Nun, nach viermonatigen Ermittlungen, dürfte der Mehlis-Report jenes "politische Erdbeben" auslösen, das noch Anfang des Monats in Kreisen der UN-Kommission ausgeschlossen worden war: "Die Erwartungen an den Bericht sind absurd hoch", hatte es damals geheißen.

Wie eindeutig aber der Report in Richtung des syrischen Präsidentenpalastes weist, zeigt sich in Zitaten aus einem Gespräch zwischen Assad und Hariri vom August 2004. Mit den Worten "Ich werde den Libanon sonst über Ihrem Kopf in Stücke brechen", soll Syriens Präsident den libanesischen Premier unter Druck gesetzt haben, einer verlängerten Amtszeit des Syrien-treuen libanesischen Präsidenten Emile Lahoud zuzustimmen. Hintergrund des Streits war die syrische Kontrolle des Libanon durch Besatzungstruppen und die Einflussnahme auf Politik und Wirtschaft. Hariri wollte Syriens Dominanz zurückdrängen.

Hariri hatte mehreren libanesischen Politikern von seiner Begegnung mit Assad erzählt. Der Syrer, so der Ex-Premier, habe bedingungslose Gefolgschaft verlangt. "Sind Sie auf unserer Seite oder auf der Seite der anderen?", habe Assad gefragt. Im Report ist zudem die Rede von der späteren "mangelnden substanziellen Unterstützung" und Behinderung der UN-Ermittler durch die syrische Regierung. Kritisiert wird Außenminister Faruk al-Schara, der die Ermittler bei der Befragung mit Falschaussagen in die Irre geführt habe.

Telefongespräche führen bis zum Staatschef

Mit rund 400 Zeugenaussagen, Mitschnitten von Telefonaten und der Rückverfolgung von Telefonverbindungen zeichnet der Report die Verwicklung hoher Geheimdienstoffiziere Syriens und Libanons in den Mord nach. Das Attentat sei von einem Offizierskreis aus Assads Umgebung im September 2004 beschlossen und "von einer Gruppe mit weit reichender Organisation und beträchtlichen Ressourcen und Möglichkeiten" begangen worden. Mittlerweile sind drei libanesische Geheimdienstgenerale auf Mehlis Empfehlung hin verhaftet worden. Ebenfalls in Haft sitzt Mustafa Hamdan, Chef der libanesischen Präsidialgarde. Ein Zeuge soll ausgesagt haben, dass Hamdan über Hariri gesagt habe: "Wir werden ihn auf eine Reise schicken - und dann bye-bye, Hariri."

Der Report zeigt auch Querverbindungen zwischen den Profiteuren des Anschlags und den Beschuldigten auf. Die Telefongespräche führen angeblich bis zu Libanons Staatschef Lahoud, dem Erzfeind Hariris. Er soll wenige Minuten vor dem Attentat mit Ahmad Abdel-Al, dem undurchsichtigen Chef einer islamischen Wohlfahrtsorganisation, telefoniert haben. Abdel-Al soll in Verbindung zu allen Personen stehen, die mit dem Attentat etwas zu tun zu haben scheinen.

Der Bericht belegt, dass das Attentat nicht die Einzeltat eines militanten Islamisten war. Dieser Eindruck war mit einem Bekennervideo vorgetäuscht worden, das einem arabischen TV-Sender zugespielt worden war. Das Video wurde nach Erkenntnissen von Mehlis vom syrischen Geheimdienst gefälscht, der Attentäter soll später ermordet worden sein.

Bei der gefälschten Bekennerspur soll Präsident Assads Schwager Schaukat, Chef des Militärgeheimdienstes, Regie geführt haben. Auch die Spur des Wagens, in dem die Ein-Tonnen-Autobombe sich befunden hatte, haben die Ermittler zurückverfolgt: Der Wagen soll, aus Syrien kommend, in einem syrischen Militärlager im Libanon präpariert worden sein.

Die Beweislage scheint somit erdrückend zu sein. Dennoch gilt, was aus Kreisen der Kommission schon früher zu erfahren war: "Der Bericht ist nicht anklagereif." Mehlis wird seine Ermittlungen daher bis Mitte Dezember fortsetzen. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat dem UN-Sicherheitsrat mitgeteilt, dass er der Untersuchungskommission mehr Zeit geben wolle, um die Hintergründe des Mordkomplotts aufzudecken.(www.un.org/news/dh/docs/mehlisreport.pdf).

(SZ vom 22.10.2005)

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