Syrien-Konflikt:Im Schatten des Krieges

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Der Bürgerkrieg in Syrien ist für den jordanischen König Abdullah Fluch und Segen zugleich. Zwar muss seine kleine Monarchie mit einer Flüchtlingswelle zurechtkommen. Doch das Chaos im Nachbarland dämpft jedes mögliche Aufbegehren in Jordanien.

Sonja Zekri

An Syriens Grenzen wachsen die Spannungen. Die Türkei erwägt inzwischen, Flüchtlingslager im Nachbarland einzurichten, in einer Sicherheitszone, die ein stärkeres Engagement auf syrischem Boden nach sich zöge, möglicherweise auch bewaffneten Schutz. Die Türkei hat mehr als 60.000 Flüchtlinge aufgenommen, mehr sei kaum möglich, heißt es, nun müsse man ins Nachbarland ausweichen.

Der Bürgerkrieg ist auch in Jordanien allgegenwärtig: Syrische Demonstranten vor der Botschaft in Amman. (Foto: dpa)

In Jordanien schlugen am Sonntag vier Raketen ein - offenbar von der Armee auf syrische Dörfer mit vermeintlichen Rebellenstützpunkten gezielt, aber fehlgeleitet. Ein jordanisches Mädchen wurde verletzt. Vor einem Monat töteten syrische Truppen einen Sechsjährigen auf der Flucht nach Jordanien. Ein Regierungssprecher in Amman sagte, nach dem jüngsten Zwischenfall sei dem syrischen Botschafter eine Protestnote überreicht worden. Jordanien beherbergt inzwischen 130.000 Syrer. Die ersten Flüchtlinge kamen in Städten und Dörfern unter, die Neuankömmlinge werden in Lagern untergebracht.

Der Bürgerkrieg im Nachbarland ist für den jordanischen König Abdullah Segen und Fluch zugleich. Zwar muss die kleine Monarchie nun schon wieder mit einer Flüchtlingswelle zurechtkommen - nach den Palästinensern, die heute die Bevölkerungsmehrheit stellen, und den Irakern nach den Kriegen von 1991 und 2003. Jordaniens Ressourcen sind begrenzt, vor allem Wasser und Strom sind Dauerprobleme, auch weil Militante auf dem Sinai in Ägypten regelmäßig die Gas-Pipeline nach Israel und Jordanien in die Luft sprengen. Andererseits dämpft nichts die jordanische Aufruhrbegeisterung so sehr wie die Bilder von Chaos und Tod in Syrien.

Die jordanischen Herrscher wussten die Kluft zwischen Bevölkerungsgruppen zu nutzen

Lange Zeit galt Jordanien als Staat in einer stabilen Dauerkrise. Auf ein demokratisches Aufbegehren Ende der Achtzigerjahre reagierte Abdullahs Vater, König Hussein, anfangs mit Zugeständnissen bei der Pressefreiheit und bei Wahlen, kehrte aber bald wieder zu einem autoritäreren Regierungsstil zurück, der ihm den Abschluss eines - unter den Palästinensern höchst unpopulären - Friedensvertrags mit Israel erlaubte. Die Monarchie stützt sich traditionell auf die ursprüngliche jordanische Bevölkerung. Die Transjordanier, das sind die Stämme, die vor allem auf dem Land leben und im Staatsdienst arbeiten sowie die Sicherheitsdienste und das Parlament dominieren.

Die palästinensischen Jordanier hingegen haben sich in den Städten angesiedelt. Unter ihnen sind viele Geschäftsleute, die als Nutznießer des liberalen Wirtschaftskurses gelten, aber auch als Anhänger islamistischer Strömungen wie der Muslimbruderschaft und ihrer Partei "Islamische Aktionsfront". Beide Gruppen misstrauen einander: Die Transjordanier fürchten die Dominanz der palästinensischen Jordanier. Diese wiederum fühlen sich politisch unterrepräsentiert und zu Unrecht der Illoyalität verdächtigt. Die Erinnerung an den Krieg zwischen militanten Palästinensergruppen und der jordanischen Armee Anfang der Siebzigerjahre, die mit der Vertreibung der PLO aus Jordanien endete, ist noch frisch.

Sowohl König Hussein als auch sein Sohn Abdullah wussten die Kluft zwischen den beiden Bevölkerungsteilen für sich zu nutzen. Inzwischen aber ist die Unzufriedenheit so groß, dass sich die Monarchie mit einem Protest in beiden Gruppen konfrontiert sieht. Noch sind Transjordanier und Palästinenser in ihrer Wut nicht vereint, sondern nur gleichzeitig wütend, wie die International Crisis Group schrieb. Aber schon dies ist neu.

Die Privatisierung hat nicht nur die Mittelschicht hart getroffen und die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet, sondern vor allem die alteingesessenen Jordanier auf dem Land abgehängt. Die Nähe zum Staat zahlt sich kaum noch aus, da die Staatsausgaben angesichts der hohen Verschuldung und eines großen Haushaltsdefizits gekürzt wurden. Zugleich machen viele die grassierende Korruption einer Clique in Hofnähe als Nutznießer dieser Entwicklung aus.

Die arabischen Volksaufstände inspirierten anfangs auch in Jordanien Proteste, an denen Stammesangehörige, Islamisten, Palästinenser, aber auch unzufriedene Jugendliche teilnahmen. Während die älteren Stammesangehörigen allerdings vor allem für eine bessere Versorgung auf die Straße gingen, verlangten die Jungen wirtschaftliche Entwicklung und demokratische Reformen. Zwar stellt kaum jemand, nicht einmal die Muslimbrüder, die Monarchie offen in Frage, doch richtet sich die Kritik mancherorts schon gegen den König und vor allem gegen seine Frau Rania und ein als skandalös empfundenes Luxusleben.

König Abdullah hat bisher nicht erkennen lassen, dass er diese Krise für schwerwiegender hält als frühere: Wie zuvor versucht er, mit Kabinettsumbildungen und neuen Premierministern im Halbjahresrhythmus die Wut der Menschen abzufedern. Seit 1946 hat Jordanien 60 Regierungschefs gesehen.

© SZ vom 21.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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