Susanne Hennig-Wellsow:Nächster großer Wurf

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Susanne Henning-Wellsow ist Fraktionsvorsitzende der Linken im Thüringer Landtag. (Foto: Bodo Schackow/dpa)

Die Thüringer Partei- und Fraktionschefin will das neue Linken-Duo komplettieren. Sie hat bewiesen, dass sie dem Druck der großen Bühne standhalten kann. Gilt das auch im Bund?

Von Ulrike Nimz, Erfurt

Lange bevor sie durch einen Blumenwurf bundesweite Aufmerksamkeit auf sich zog, zog Susanne Hennig-Wellsow Bahnen. Eisschnelllauf, Sprintdistanz, 14 Jahre lang. Kaum ein Text über die Landes- und Fraktionsvorsitzende der Thüringer Linken kommt ohne entsprechende Metaphern aus: Extrarunde, Zielgerade, dünnes Eis. Fragt man die einstige Spitzenathletin, inwiefern dieser Teil ihrer Karriere heute nützlich ist, zählt sie Tugenden auf: der Wille, etwas zu erreichen, die Bereitschaft, an eigene Grenzen zu gehen.

In den langen Nächten von Erfurt, als SPD, Grüne, CDU und Linke darüber stritten, wie es weitergehen könnte nach der Wahl Thomas Kemmerichs (FDP) mit Unterstützung der AfD, da lag das Stimmungsthermometer im Thüringer Landtag nur knapp über Eissporthalle. Es war Hennig-Wellsow, die stets frisch vor die übermüdeten Journalisten trat: "Guten Morgen in Thüringen! Ein neuer Tag in Absurdistan."

Susanne Hennig-Wellsow, 1977 in Mecklenburg-Vorpommern geboren, wuchs in Erfurt auf, besuchte das Sportgymnasium, studierte Erziehungswissenschaften bis zum Diplom. Ihr Elternhaus sei immer links gewesen, sagt sie. Der Vater erst Lastwagenfahrer, später Polizist, die Mutter Standesbeamtin, nach der Wende Mitarbeiterin im Innenministerium. Wie ein "Unrechtsstaat" wird sich die DDR für die Familie eher nicht angefühlt haben. Doch als die Begriffsdebatte 2014 die rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Erfurt strapazierte, war es auch Hennig-Wellsow, die unter den DDR-Nostalgikern an der Basis für mehr Kompromissbereitschaft warb.

2001 wurde Susanne Hennig-Wellsow Mitarbeiterin der PDS-Landtagsfraktion. Seit 2004 sitzt sie im Thüringer Landtag und manchmal auch auf der Straße, wenn gegen die AfD demonstriert wird. Ein Verfahren gegen sie hat die Erfurter Staatsanwaltschaft kürzlich eingestellt. Seit 2014 führt die Mutter eines Sohnes Partei und Fraktion, ist enge politische Vertraute des Ministerpräsidenten, aber auch Korrektiv, wenn der den polternden Patriarchen gibt.

Während Bodo Ramelow (Linke) gern auf Distanz zur eigenen Partei geht, eint sie den Landesverband hinter ihm, arbeitet sich auch mal am System ab: Zur Hochphase der Pandemie skizzierte sie in einem Konzeptpapier eine Post-Corona-Gesellschaft, darunter eine grundlegende Reform des Krankenhaussystems. Die Ausführungen stünden in einer Reihe mit "Forderungen der Linkspartei nach Erschießungen und Zwangsarbeit", wetterte FDP-Mann Kemmerich auf Twitter. Da war der Blumenwurf gut zwei Monate her. Als Hennig-Wellsow den Strauß vor Kemmerichs Füße fallen ließ und auf dem Absatz kehrtmachte, war die politische Ikonografie des Landes um eine Szene reicher. Die Vergleiche reichten von Beate Klarsfelds Ohrfeige bis zum Kniefall Willy Brandts.

Hennig-Wellsow würde es wohl nicht behagen, Ikone genannt zu werden. In ihrem Büro steht eine Mini-Statue von Karl Marx, auf einer Decke döst manchmal ihr Labrador Herr Thiel, benannt nach dem Tatort-Kommissar. Wenn das mit der Politik vorüber ist, kann sie immer noch Testimonial für die Modemarke Fred Perry werden, deren schnittige Shirts sie mit gleicher Verlässlichkeit trägt wie Bodo Ramelow seine Dreiteiler.

Seit Susanne Hennig-Wellsow am 5. Februar vor die Fernsehkameras trat und mit schneidender Ruhe verkündete, ihre Partei werde Thüringen nicht den Rechten überlassen, kennt sie nicht nur das ganze Land. Sie hat bewiesen, dass sie dem Druck auf großer Bühne standhalten kann. Wenn sie nun für den Bundesvorsitz kandidiert, will sie das auch als Signal des Aufbruchs an ihre Partei verstanden wissen, die vielerorts mit Stimmverlusten und Überalterung zu kämpfen hat. Hennig-Wellsow will "einen greifbaren Gegenentwurf zum konservativen Weiter-so" bieten, gilt als anschlussfähig an die Parteiflügel und, siehe Thüringen, an SPD und Grüne. Sollte sie Ende Oktober beim Bundesparteitag der Linken in Erfurt einen Blumenstrauß bekommen, wird sie ihn diesmal wohl in der Hand behalten.

© SZ vom 07.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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