Studiengang für Islamlehrer:Der Lehrplan des Propheten

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Islamunterricht soll in deutschen Schulen die Integration fördern - nun stehen die ersten Lehrer bereit und starten mit viel Elan ins Ungewisse.

Roland Preuß

Es gibt Momente, da hört sich Erkan Erdemir an wie Edmund Stoiber. "Wenn du nicht nach deutschen Gesetzen leben willst, kannst du nicht hier bleiben", sagt er dann.

In Münster und Nürnerg allein wird bisher das Studienfach Islamunterricht angeboten. (Foto: Foto: dpa)

Man könne die Scharia, das islamische Recht, in muslimischen Staaten einführen, aber nicht in Deutschland. Hier müssten sich Zuwanderer ans Gesetzbuch halten.

Das klingt nach Ausweisung von Integrationsverweigerern, so wie das der CSU-Chef fordert, doch für Erdemir ist es Pädagogik - eine Antwort auf die mögliche Schülerfrage, ob die Forderung des Korans nach Peitschenhieben für Ehebrecher nicht auch in Deutschland gelten müsste. Irgendwann wird diese Frage auf ihn zukommen.

Denn der 31-Jährige ist Lehrer für islamischen Religionsunterricht, der erste, der an einer deutschen Hochschule ausgebildet wurde.

Seit Jahren fordern Politiker aller großen Parteien einen staatlichen Religionsunterricht für Muslime und haben deshalb in Nürnberg und Münster Studiengänge zum so genannten Islamlehrer eingerichtet. Auf Erdemir und seine künftigen Kollegen lasten große Erwartungen: Sie sollen den Zuwanderer-Kindern Brücken bauen in die deutsche Gesellschaft, sollen einen gemäßigten Islam lehren, sollen den Schülern Glauben und Aufklärung zugleich beibringen, sollen Hasspredigern den Boden entziehen, indem sie dubiosen Interpretationen des Koran die eigene Deutung entgegenstellen.

Man kann es auch tiefer hängen: Sie sollen Jugendlichen, die in der neuen Heimat nicht zurecht kommen, ein Ansprechpartner des Staates sein, jemand der ihre Traditionen kennt. Erdemir hat diese Chance als Erster ergriffen.

"Passt euch an, aber vergesst nicht, wo ihr herkommt"

Politik will Erkan Erdemir in der Schule eigentlich vermeiden. Er muss ja seinen Unterrichtsstoff voranbringen. Doch die Schüler werden Fragen stellen, das weiß er: Warum werden die Muslime im Fernsehen immer als Terroristen bezeichnet? Warum wurde der Prophet mit Karikaturen beleidigt? Was soll Erdemir dann antworten?

Über diese Fragen denkt er nach in einem Nürnberger Café bei einem Cappuccino. Hier in dieser Stadt ist er aufgewachsen, hier hat er Islamwissenschaften studiert und dann die Religionslehre dazugenommen. Er trägt einen weißen Anzug wie ein Geschäftsmann, nur die Krawatte fehlt. Im Gesicht steht ein gepflegter Fünf-Tage-Bart. Keine Kopfbedeckung, keine Gebetskette, nichts Äußerliches, das den Lehrer als gläubigen Muslimen ausweist.

Mit fünf Jahren ist Erdemir nach Deutschland gekommen, sein Vater war Lehrer in der Türkei, und seinen Söhnen sagte er damals: Passt euch an, aber vergesst nicht, wo ihr herkommt: Wir sind Muslime. Nun will er genau das auch seinen Schülern vermitteln, und er tut dies mit einem Ausspruch des Propheten, der fordert, sich zu integrieren, wo man lebt, ohne dabei seine Religion zu verleugnen. Im Jahr 2000 erhielt Erdemir einen deutschen Pass, religiös sei er all die Zeit geblieben, sagt er.

"Mein Vaterland ist Deutschland, mein Mutterland die Türkei"

Dann formuliert Erdemir seine Antworten. "Wir sind keine Terroristen", will er den Schülern sagen. Gewalttäter beriefen sich zu Unrecht auf den Koran. Egal, ob es sich um Attentate in den Palästinensergebieten oder um Pauschalurteile über Muslime handle, er will im Unterricht zu Kritik ermutigen.

Die Immigranten sollen einen deutschen Pass annehmen, um ihre Rechte wahrzunehmen und als Wähler politisch ernster genommen zu werden. "Deutscher zu werden widerspricht nicht dem Islam", sagt er. Und: "Mein Vaterland ist Deutschland, mein Mutterland die Türkei."

Mit dieser Haltung und seiner Lebensgeschichte könnte er zum Vorbild werden für die Schüler, könnte ihnen zeigen, was es heißt, sich zu integrieren in Deutschland, ohne sich aufzugeben. Die meisten der angehenden Islamlehrer haben einen ähnlichen Hintergrund wie Erdemir: Sie entstammen einer muslimischen Familie, viele sind türkischer Herkunft. Doch es sind auch einige Deutsche darunter, die zum Islam übergetreten sind.

Einerseits sind sie die idealen Brückenbauer zwischen Einheimischen und muslimischen Zuwanderern. Andererseits stehen sie jedoch unter dem Generalverdacht, den Islam zu germanisieren.

Stefanie Nur Alhayari, geborene Bußlauer, ist eine Konvertierte. Im Sommer wird sie ihr Studium in Nürnberg als zweite nach Erdemir beenden und kann dann in Grund- und Hauptschulen neben Geschichte, Deutsch oder Kunst auch islamische Religionslehre unterrichten. Alhayari weiß um ihre Schwächen. Sie spricht kaum Türkisch und wenig Arabisch, schlechte Voraussetzungen, um mit Zuwanderer-Eltern zu plaudern, die häufig selbst wenig Deutsch können. Ihre Lebensgeschichte hingegen könnte der 23-Jährigen helfen.

Alhayari wuchs in Dresden auf, im Juli 2001 lernte sie ihren jetzigen Mann kennen, einen Syrer. Zwei Monate später flogen islamistische Attentäter in das World-Trade-Center in New York, und Alhayari überhäufte ihren neuen Freund mit Fragen und Vorwürfen.

In der Schule darf sie sich gar nicht verhüllen

Warum machten Muslime so was, wolle er sich überhaupt in Deutschland integrieren - und: Sei es nicht Quatsch, ein Kopftuch zu tragen? Ihr Freund blieb ruhig, verurteilte den Terror, erklärte seine Sicht des Koran. Wenige Monate später trat die Studentin zum Islam über, vorher hatten sie geheiratet. Inzwischen trägt sie selbst ein Kopftuch, allerdings nur zu Moscheebesuchen oder zum Beten.

In der Schule darf sie sich nach dem Beamtenrecht gar nicht verhüllen, auch nicht in Religionsstunden. Das geht nicht anders, und sie hält sich daran, wichtig ist es ihr, "im Unterricht meinen Glauben weiterzugeben" - und auch den falsch verstandenen Islam geradezurücken, zum Beispiel beim Thema Zwangsheirat. Schließlich stehe im Koran ausdrücklich, dass die Erlaubnis der Frau zur Heirat eingeholt werden müsse.

"Da staunen die Jugendlichen", sagt sie. Allerdings gehe es nicht nur darum, muslimische Schüler aufzuklären, meint Stefanie Nur Alhayari. Sie will auch das Misstrauen vieler Deutscher gegen den Islam bekämpfen. "Ich habe das selbst so gesehen, deshalb weiß ich, wie hier gedacht wird."

"Mohammed-Karikaturen cooler nehmen"

Aus dem Streit um die Mohammed-Karikaturen, die auch in deutschen Zeitungen veröffentlicht wurden und den Propheten mit einer Lunte am Turban zeigten, hätte sie ein "Projekt" gemacht - sich an die Presse gewandt, gefragt, welche Zeitungen dies aufgebracht und weiterverbreitet hätten. Die Schüler hätten so sachlich mit dem aufgeheizten Thema umgehen und die Wut zum Beispiel in Videoclips umsetzen können.

Das Karikaturen-Thema lässt auch Harry Behr immer noch tief durchatmen. Er ist frisch ernannter Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg, muslimischer Religionspädagoge, und er bildet drei Dutzend angehende Islamlehrer aus.

Dazu gehört der Umgang mit Reizthemen in der Schule. "Die Studierenden müssen lernen, die Mohammed-Karikaturen cooler zu nehmen", sagt er. Schließlich habe das Bilderverbot im Koran die Anbetung von Götzen betroffen, nicht Zeichnungen in der Presse. Die Mohammed-Darstellungen hält er trotzdem für schädlich und integrationsfeindlich.

Behr stammt aus Koblenz und trat vor 25 Jahren als Gymnasiast während eines Schulaufenthalts in Indonesien zum Islam über. Sein Lebenslauf hat nicht zufällig drei Seiten, Behr hat als Paketlieferant und Chemikalienabfüller gearbeitet, als Personenschützer und Grundschullehrer. Nun steht er in zwei leeren Räumen der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, das sind seine Büros, die er bald mit Hunderten Büchern füllen wird.

Der Professor trägt eine Lederhose im Jeans-Schnitt, Wollpulli und einen lichten Bart. Auch er entspricht nicht dem gängigen Klischee vom gläubigen Muslim, ist eher der Typ Pädagogik-Professor. Und so klingt er auch: Ziel des Islamunterrichts sei es nicht, zum Glauben zu erziehen, sondern zum Glauben zu befähigen, sagt er.

"Glauben ist eine subjektive Konstruktion"

Die Schüler sollen durchaus Beten und den Koran kennen lernen. Ob sie dann gläubig werden oder bleiben, sollen sie selbst entscheiden. "Glauben ist eine subjektive Konstruktion, das müssen auch Muslime zur Kenntnis nehmen", meint er.

Vier Semester dauert der Studiengang, die Studenten lernen islamisches Recht, Arabisch und Religionswissenschaften - häufig bei christlichen Religionspädagogen und mit katholischen oder evangelischen Kommilitonen. Der spätere Unterricht wird durch Lehrpläne vorgegeben, durch Unterrichtsbesuche kontrolliert - und durch die Eltern, sagt Behr. Diese würden sich schnell melden, wenn ein Islamlehrer den Heiligen Krieg statt Barmherzigkeit lehre.

Das klingt alles sehr verfassungstreu, und doch kommt der Islamunterricht nicht so recht voran. Es gibt lediglich Modellversuche in mehreren Bundesländern, in Bayern werden lediglich 42 Schüler an einer Erlanger Grundschule unterrichtet. Offiziell ist die Ausweitung zwar gewünscht, doch dem steht vieles im Weg: Bayerns Kultusministerium sieht in anderen Städten keine repräsentativen Muslim-Vereine, die den Unterricht mittragen würden.

Die Österreicher suchen schon länger nach Fachkräften

In Erlangen ist dies die integrationsfreundliche Islamische Religionsgemeinschaft IRE. Und außerdem müssen alle Lehrer und Elternvertreter dem Islamunterricht zustimmen.

Keine guten Perspektiven sind das für die Absolventen des ambitionierten Studiengangs. Stefanie Nur Alhayari ist noch auf der Suche nach einem Lehrerjob, Erkan Erdemir ist schon einen Schritt weiter: Der erste deutsche Islamlehrer fand keine Stelle in Deutschland und unterrichtet deshalb seit Herbst in Salzburg und Umgebung.

Die Österreicher haben diesen Religionsunterricht schon länger und suchen noch Fachkräfte. "Ich soll von dort ausrichten, dass alle ausgebildeten Lehrer willkommen sind", sagt Erkan Erdemir und lacht.

© SZ vom 16.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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