Streit um Strategie:Worte oder Waffen?

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Die Kurdenpartei HDP holte bei der letzten Wahl 13 Prozent. Gewalt der PKK mindert ihre Chancen bei der Abstimmung im November.

Von Mike Szymanski

Wieder Blut überall, Leid und Verzweiflung. In diesem Jahr des Wahlkampfes hat kaum ein anderer Politiker einen so hohen Blutzoll bezahlen müssen wie Selahattin Demirtaş, der 42-jährige Vorsitzende der prokurdischen HDP. Der Anschlag vom Samstag in Ankara mit etwa 100 Toten hat vor allem Anhänger seiner Partei getroffen. Die Bomben vor dem Hauptbahnhof in Ankara gingen hoch, wo sich viele für die Friedensdemo versammelt hatten. Unter den Todesopfern sind zwei Parlamentskandidaten für die Wahl am 1. November. "Wir sind mit einem riesigen Massaker konfrontiert", sagte Demirtaş.

Seitdem Demirtaş Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan herausgefordert hat, ihm schon vor der Wahl im Juni versicherte, die HDP werde niemals zulassen, dass er sich zum absoluten Herrscher des Landes krönt, erlebt die Partei eine Welle der Gewalt. 140 Anschläge wurden mittlerweile auf Parteibüros verübt. In Adana und Mersin gingen in HDP-Zentralen Sprengsätze ein, einer war versteckt in einem Blumengebinde. Bei der Abschlusskundgebung der HDP in Diyarbakır, wo Demirtaş zwei Tage vor der Juni-Wahl auftrat, explodierte neben der Bühne eine Bombe. Fünf Menschen kamen ums Leben.

Immer hat Demirtaş danach seine Leute aufgerufen, die Nerven zu bewahren. Sogar die PKK hielt sich weitgehend daran. Der militärische Ableger der Kurden ließ sich nicht provozieren. Das ging gut bis nach der Wahl, als die HDP am Ziel war: Mit 13 Prozent hatte sie es ins Parlament geschafft. So stark wie noch nie hätten die Kurden ihre Interessen im Parlament verhandeln können. Die Machtverhältnisse hatten sich aufseiten der Kurden verschoben - zugunsten der Verhandler.

Bis zur Wahl sollen die Waffen schweigen

Die HDP leidet heute nicht nur an der Gewalt, die ihr angetan wird, sondern auch unter jener, die die PKK wieder verübt. Wendepunkt war das Massaker im südtürkischen Suruç vom 20. Juli, angeblich verübt vom einem Selbstmordattentäter des Islamischen Staates (IS). Tags darauf richteten PKK-Kämpfer zwei türkische Polizisten hin, die sie für Mittäter hielten. Erst dieser Vorfall versetzte Erdoğan in die Lage, gegen die PKK in den Anti-Terror-Kampf zu ziehen und die HDP für die Gewalt in Mithaftung zu nehmen. Die Brutalität der PKK hatte damals alle überrascht. Demirtaş - das zeigte die Wahl im Juni - kann nur dann Erfolg über die Kurdengebiete hinaus haben, wenn die Waffen schweigen. Jeder Anschlag der PKK kommt einem Sabotageakt an der HDP gleich, die sich am 1. November bei den Neuwahlen wieder behaupten muss. Es geht auch um eine Richtungsentscheidung: Kampf mit Worten oder Kampf mit Waffen. Denkt man das zum Ende, könnte die HDP einmal die PKK überflüssig machen. In der HDP finden auch jene moderaten Kräfte wieder Platz, die die radikale PKK unterdrückt hatte. Die HDP ist vielfältiger. Und sie ist zur Konkurrenz für die PKK geworden. Bislang verhallten Demirtaş' Appelle an die PKK, die Gewalt zu beenden.

Am Donnerstag kündigte die kurdische Dachorganisation KCK an, man werde eine "historische Haltung" einnehmen, um der HDP zum Sieg zu verhelfen. Nach dem Anschlag teilte die KCK mit, bis zur Wahl sollten die Waffen schweigen, solange man nicht angegriffen werde. Am Sonntag melden türkische Sicherheitsbehörden wieder Tote.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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