Strategie:Das Auto als Waffe

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2014 rief der IS seine Anhänger zu Attentaten im Westen auf - seither verwenden Terroristen bevorzugt Fahrzeuge für ihre Anschläge.

Von Joachim Käppner, München

Wer es sich beschafft, fällt nicht auf. Er braucht kein Spezialwissen wie ein Bombenbastler und auch keine klandestine Organisation, die Waffen oder Sprengstoff beschafft und stets Gefahr läuft, von der Polizei entdeckt zu werden. Das Auto wird für Terroristen immer häufiger zur Waffe der Wahl. Bei einem der ersten Fälle, 2013 in London, wurde ein Soldat angefahren und dann erstochen, einer der Mörder rief, dies sei die Rache für getötete Muslime. Die nächsten Angriffe mit Autos waren weit zielloser. Der mörderische Anschlag von Barcelona ist nur der jüngste in einer Reihe solcher islamistischen Attacken.

In der Vergangenheit hatten Terroristen Autos mit Sprengstoff vollgeladen und in der Nähe ihrer Ziele hochgejagt, wie es bis heute in Afghanistan und im Irak geschieht. Dass sie das Auto selbst zur Waffe machen, ist ein neuer Modus Operandi. In Montreal war es 2014 ein kanadischer Konvertit, der eine Gruppe Soldaten mit dem Auto rammte, es gab einen Toten und einen Verletzten.

Sicherheitsexperten führen die neue Taktik auf einen Aufruf des IS-Propagandachefs Abu Muhammad al-Adnani vom September 2014 zurück. Dies war das Jahr, in dem die Krieger des IS Teile Syriens und des Iraks überrannten, dann aber von einer internationalen Koalition unter amerikanischer Führung vor allem durch Luftangriffe bekämpft wurden. Auch Deutschland gehört dieser Koalition an, weil es die irakischen Kurden, die vom IS angegriffen wurden, mit Waffen und Ausbildern unterstützt. Der Propagandachef des IS forderte Anhänger in aller Welt auf, "Ungläubige" in den westlichen Staaten zur Vergeltung zu töten.

Der "Kalifatstaat" hat zuletzt schwere militärische Niederlagen hinnehmen müssen, seine Organisation ist geschwächt. Die Auto-Attacken lassen sich jedoch auch ohne den Aufwand inszenieren, den noch die gut organisierten Täter der Anschläge von Paris 2015 betrieben hatten: Sie setzten Armeegewehre und Sprengstoffwesten ein. Am 14. Juli 2016 raste dann ein IS-Anhänger in Nizza mit einem Laster in die Menge, die den französischen Nationalfeiertag beging, 86 Menschen starben. Auf einem Berliner Weihnachtsmarkt gab es im Dezember zwölf Tote, als der aus Tunesien stammende Attentäter das Muster wiederholte. Seitdem gab es in London, Stockholm und in Israel weitere Anschläge mit Fahrzeugen. Im amerikanischen Charlottesville kopierte am 12. August ein Rechtsradikaler solche Taten, als er mit dem Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten raste.

Während des Kalten Krieges haben Geheimdienste, die einen Mord als Verkehrsunfall tarnen wollten, in Einzelfällen ihre Opfer überfahren. So gilt es als erwiesen, dass der sowjetische KGB 1975 den armenischen Oppositionellen und Maler Minas Awetissjan auf diese Weise tötete.

Die Grenztruppen der DDR brachten es sogar fertig, einen Flüchtenden auf dem Wasser zu überfahren: 1974 starb der junge Wehrpflichtige Hans-Georg Lemme, als er über die Elbe in den Westen schwimmen wollte. Im Stasi-Protokoll hieß es: "Zur Verhinderung des Grenzdurchbruchs entschloss sich daraufhin der Bootsführer, den Grenzverletzer mit dem Boot zu überfahren."

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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