Steuergeschenke:Wohltaten zur Wahl

Lesezeit: 4 min

Bestechung oder legitimes Mittel? Seit jeher nutzen Politiker Geschenke an die Wähler, um sich Stimmen zu sichern. Daran ändern auch die Rekordschulden des Staates nichts.

Oliver Bilger und Johann Osel

Es waren Wahlgeschenke aus Nikotin und Koffein. Wenige Monate vor der Bundestagswahl 1953 beschloss die Regierung unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU), die Tabaksteuer sowie die Kaffee- und Teesteuer zu senken. In einem Kabinettsprotokoll zum Entwurf der Kaffeesteuer heißt es, neben einer erheblichen Konsumbelebung werde der billige Kaffee "von erheblicher psychologischer Auswirkung auf die breiten Schichten der Konsumenten sein" - vor allem für diejenigen, die sich Bohnenkaffee bisher nicht leisten konnten, wie Rentner oder Fürsorgeempfänger.

Neue Autos für glückliche Menschen: Die Koalition stockte die Abwrackprämie auf, um keinen Wähler zu enttäuschen. Solche Geschenke haben Tradition. (Foto: Foto: dpa)

Nur Finanzminister Fritz Schäffer (CSU) fürchtete um Steuerausfälle: "Mit seinem zähen Widerstand hat es der Bundesfinanzminister dazu gebracht, daß die Wahlschlachtmunition der Kaffeesteuersenkung noch nicht verfeuert werden konnte", schrieb die Wochenzeitung Die Zeit im Mai 1953.

Getrost rauchend und trinkend

Pünktlich zur Wahl wurden Zigaretten, Tee und Kaffee dann doch deutlich billiger. Bei Kaffee etwa um gut zwei Drittel von bisher zehn auf nun drei Mark pro Kilo Rohkaffee. Die Raucher mussten zwei bis drei Pfennig weniger je Zigarette bezahlen. Nach dem Mangel an Konsumgütern in den Nachkriegsjahren konnten die Wähler getrost rauchend und trinkend ihr Kreuz bei der Regierungspartei machen. Adenauer, das sollte sich in den Folgejahren noch öfter zeigen, hatte einen Riecher für populäre Wohltaten.

Knapp 50 Jahre später setzen beide Regierungsparteien auf die Liebe der Deutschen zu ihrem Auto. Im Herbst 2008 brachte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) eine staatliche Unterstützung für jeden ins Gespräch, der sein altes Auto auf den Schrottplatz fährt und ein neues anschafft. SPD und CDU einigten sich auf dieses Wahlgeschenk, und stockten wenig später die Mittel dafür deutlich auf. Denn die veranschlagten 1,5 Milliarden Euro, die für 600.000 Neuwagenkäufe reichten, waren schnell aufgebraucht.

Lohnsteuerbonus von 300 Euro

Die SPD stellt derweil ein weiteres Geschenk in Aussicht - vorausgesetzt, die Wähler machen sie im Herbst zum Sieger. Dann wollen die Sozialdemokraten einen Lohnsteuerbonus von 300 Euro an all jene verteilen, die neben ihrem Lohn keine weiteren Einkünfte haben und auf eine Steuererklärung verzichten.

Ein "Tauschgeschäft" nennt das Wahlforscher Jürgen Falter: "Parteien machen Angebote an die Wähler und erwarten, dass die Bürger den Politikern ihre Stimme geben", sagt der Politikwissenschaftler von der Universität Mainz. Kritisch betrachtet sei ein Wahlgeschenk eine "Form von Bestechung". Denn es werde mit fremden Geld versucht, einen Vorteil für sich selbst zu erkaufen. Zahlen müssten die Belohung am Ende immer die Bürger mit ihren Steuern. "Deshalb haben Wahlgeschenke immer einen gewissen Beigeschmack", sagt Falter.

Ein Blick auf die Wahlkämpfe der vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass Geschenke und Versprechen - ob tatsächlich eingelöst oder eben nicht - zum politischen Betrieb gehören. Als das größte Wahlgeschenk in der Geschichte der Bundesrepublik gilt Adenauers Rentenreform von 1957. Dass die Rente auf einen Schlag um über 60 Prozent erhöht wurde, dürfte erheblich zur absoluten Mehrheit der Christdemokraten beigetragen haben.

Auf der nächsten Seite: Im Irrglauben an das stetige Wachstum - nicht eingehaltene Versprechen gab es zuhauf.

Vom Zeitpunkt der Einführung betrachtet, könne die Reform durchaus als Wahlgeschenk verstanden werden, meint Falter. Die gesellschaftspolitische Notwendigkeit des Vorhabens lässt sich aber kaum abstreiten: Die Einführung des Umlageverfahrens durch den Generationenvertrag und die Anpassung an die Bruttolöhne ließ Deutschlands Rentner am Wirtschaftswunder teilhaben. Ein Leben ohne Altersarmut und ohne familiäre Unterstützung wurde möglich. Und es entstand eine gesellschaftspolitische Errungenschaft, die heutzutage niemand mehr missen möchte.

Ähnlich war es bei der Rentenreform von 1972 während der Kanzlerschaft Willy Brandts, als die flexible Altersgrenze geschaffen, der Kreis der Berechtigten der staatlichen Alterssicherung ausgeweitet und eine Mindestrente eingeführt wurde. Im Glauben an ein immerwährendes Wirtschaftswachstum erwartete die Politik satte Überschüsse in den Rentenkassen.

Wähler danken Willy

Die hitzige Auseinandersetzung der Volksparteien vor dem Wahlkampf 1972 schuf schließlich einen Wettlauf in der Sozialpolitik. Am Ende war die Rentenreform eine Ansammlung von Wohltaten, die Volksparteien stritten sich darüber, wer größeren Anteil daran hatte. Gedankt haben es die Wähler Willy Brandt, der - nicht nur aus diesem Grund - 45,8 Prozent Zustimmung bekam.

Kurze Zeit später wurden durch die Ölkrisen samt darauffolgender Rezession Zeiten eingeläutet, in denen großzügige Geschenke kaum mehr möglich waren. Die Konjunkturpakete und Investitionsprogramme unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) Mitte der siebziger Jahre waren für die Bekämpfung des Abschwungs unabdingbar. Auch wenn derlei Investitionen passend zur Wahl aufgelegt werden, ist die Definition, dass es sich tatsächlich auch um Wahlgeschenke handelt, fraglich. Sie dürfte wohl von der jeweils parteipolitischen Interpretation abhängen.

Mal Rentner, mal Bauern

1986 gönnte die Regierung von Helmut Kohl (CDU) Frührentnern mit der "58er-Regelung" ein Präsent. Viele Arbeitnehmer verabschiedeten sich frühzeitig in den Vorruhestand. Gleichzeitig schönten somit Kohl und Norbert Blüm die Arbeitslosenstatistik, ein Jahr vor der Wahl. 1990 drängte Kohl auf die deutsch-deutsche Währungsreform und die Einführung der D-Mark in der DDR. Der Zeitpunkt war gut gewählt und entfaltete seine Wirkung zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am Jahresende.

Von Wahlgeschenken profitiere die Allgemeinheit nur sehr selten, sagt Professor Falter: "Meist erfolgen sie zielgerichtet auf eine bestimmte Klientel." Begünstigt werden mal Eltern mit einer Erhöhung des Kindergelds, mal Rentner, Bauern, Arbeitslose oder Mieter. Natürlich sind nicht allein Geschenke oder gar Versprechen für den Wahlausgang verantwortlich. Der Wähler entscheidet je nachdem, ob er der Opposition überhaupt zutraut, ihre Versprechen einzuhalten.

Auch spielt das personelle Angebot der anderen Parteien, die allgemeine Wirtschaftslage und die politische Situation eine Rolle. Beispiele für nicht eingelöste Versprechen gibt es in der Geschichte zuhauf. Kohl versprach 1983 jedem Jugendlichen eine Lehrstelle; eine Zusage die unmöglich einzuhalten war. Steuererhöhungen schloss der Einheitskanzler 1990 aus und revidierte seine Aussage kurz nach der Abstimmung. Gewählt wurde er trotzdem.

Erst das Versprechen, dann der Kompromiss

Das jüngste gebrochene Versprechen der SPD: 2005 verkündeten die Sozialdemokraten bei einem Sieg die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Die CDU warb offen mit einer Anhebung der Abgabe von 16 auf 18 Prozent. Ergebnis war eine Erhöhung auf 19 Prozent - beschlossen von der großen Koalition, also auch der SPD. Für Politikforscher Falter ist dieses Verhalten nicht ungewöhnlich: "Die Parteien tun so, als könnten sie allein regieren, nach der Wahl aber müssen sie in einer Koalition immer Kompromisse eingehen."

Im aktuellen Wahlkampf rechnet Falter nach der Abwrackprämie nicht mit weiteren großzügigen Geschenken. Stattdessen werde es viele Versprechen geben - womöglich sogar mehr als bei den Bundestagswahlen der vergangenen Jahre. "Große Geschenke sind in der Wirtschaftskrise kaum vertretbar, weil sie nicht zu finanzieren sind", sagt Falter: "Das größte Geschenk der neuen Regierung wäre eine vernünftige Krisenbekämpfung."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: