Steinmeier in Afrika:Aus dem Schatten getreten

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Lange hieß es, Steinmeier könne sich von seinem Amt als Außenminister nicht lösen. Mittlerweile aber ist er angekommen in seinem neuen Amt. Bei seinem Besuch in Ghanas Hauptstadt Accra führt ihn Generalleutnant Griffiths Santrofi Evans durch das Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Was Deutschland von Ghana lernen kann? Wie man eine stabile Regierung bildet, zum Beispiel. Den heimatlichen Sorgen entkommt der Bundespräsident bei seiner dreitägigen Afrika-Reise nur bedingt.

Von Michael Bauchmüller, Accra

Barima Amoakwatia II. schafft es heute nicht zum Präsidenten. Der Chief ist umsonst in den würfelförmigen Palast in Accra gekommen, denn der Staatspräsident hat Besuch aus Deutschland. Dabei hätte Barima Amoakwatia II., Oberhaupt der Gemeinde Abenaso im Osten Ghanas, auch dem deutschen Oberhaupt etwas zu sagen. Aber dazu später.

Ziemlich genau vor einem Jahr ist Nana Akufo-Addo zum Präsidenten von Ghana gewählt worden. Absolute Mehrheit, keine großen Probleme. Einen Monat später war er im Amt. So einfach kann es zugehen, und obendrein demokratisch. Ghana gilt als eines der stabileren Länder Afrikas. Und deshalb ist ja auch Frank-Walter Steinmeier gekommen, der deutsche Bundespräsident. Fragt man ihn nach den Koalitionsoptionen in Deutschland, nach Minderheitsregierungen oder Neuwahlen, dann spricht Steinmeier nur rätselhaft von "Perspektiven, die ich jetzt nicht entfalten will". Die Rolle des Präsidenten daheim ist wie ein großer, mächtiger Schatten über seiner Rolle im Ausland.

Zuhause ist er jetzt die mächtigste Instanz, alle Fäden laufen bei ihm zusammen

Lange war das genau andersherum. Steinmeier, so hieß es, könne sich von seinem früheren Amt als Außenminister nicht lösen, bleibe als Bundespräsident im Innern farblos. Seit ihn Union, FDP und Grüne zur vorübergehend mächtigsten Instanz im Land gemacht haben, seit von Verfassungs wegen alle Fäden bei ihm zusammenlaufen und auch an ihm hängt, ob es in Deutschland - so wie in Ghana - wieder eine handlungsfähige Regierung gibt, ist Steinmeier Bundespräsident und nur noch Bundespräsident. Und der ist jetzt mal auf Reisen. Viel passiert ja daheim derzeit ohnehin nicht, außer Spekulationen über welche Art der Regierungszusammenarbeit auch immer.

Ghana, klare Mehrheit, stabile Verhältnisse, ist für den ersten Afrika-Besuch des Bundespräsidenten Steinmeier nicht der schlechteste Ort. Die Wirtschaft wächst, die Lage ist friedlich, an Brücken hängen lange Transparente: "Let's all fight to end corruption". Staatspräsident Akufo-Addo hat der Korruption den Kampf angesagt. Die nur noch geschäftsführende Bundesregierung hat mit Ghana kürzlich eine von drei "Reformpartnerschaften" geschlossen, besiegelt am Rande der Steinmeier-Reise.

Gleichzeitig ist Ghana auch jenes Land, in dem auf riesigen Deponien Elektroschrott aus Europa zerlegt wird, eine davon nicht weit von Steinmeiers Hotel. Und es zählt zu den Ländern, aus denen sich immer wieder Menschen auf den Weg nach Europa machen. Fast 6000 Ghanaer erreichten im vorigen Jahr Italien mit dem Boot, 27 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Und das sind nur die, die es nach Europa schafften, die nicht in libyschen Lagern warten oder unterwegs strandeten. Sie flohen aus einem Land, das zu den erfolgreicheren Staaten Afrikas zählt.

Auch Barima Amoakwatia II., dieser würdige, greise Chief, hat sich einmal auf den Weg gemacht, das war 1981. Barima war damals 29 Jahre alt, ein Jahr lang blieb er in London, suchte sein Glück. "Es war keine gute Zeit." Heute aber kommen wieder die jungen Männer aus seiner Gemeinde zu ihm, ihr Ziel ist Europa. Was er ihnen sagt? "Ich rate jedem, zu bleiben und zu studieren", sagt er. "Wenn er das geschafft hat, soll er seine Flügel ausstrecken und etwas unternehmen. Aber hier." So, wie Barima seine Flügel ausstreckte und zurückkehrte.

Am Mittwoch trifft Steinmeier Leute, denen es ähnlich erging. In Accra eröffnet er ein Zentrum für Heimkehrer aus Europa. Munkaila Aminu etwa, der sich auf den Weg nach Libyen machte, monatelang durch die Wüste zog, zweimal vor der libyschen Küste Schiffbruch erlitt - um schließlich nach dem dritten Versuch von italienischen Behörden nach Ghana zurückgeschickt zu werden. "Selbst meinem Feind würde ich nicht wünschen, was ich erlebt habe", sagt Aminu. Dafür sitzt ihm nun der deutsche Bundespräsident gegenüber. Das "Migrationszentrum" soll Rückkehrern wie Aminu eine neue Zukunft in Ghana geben, eine Berufsausbildung, einen Job - eine zweite Chance. "Afrika ist viel mehr als der Kontinent der Fluchtbewegungen", sagt Steinmeier.

Das passt zu der Aufbruchstimmung, die Akufo-Addo versprüht. "Es ist nicht richtig für ein Land wie Ghana", sagte er kürzlich seinem staunenden Kollegen Emmanuel Macron, "finanzielle Mittel für Gesundheit oder Bildung von der Großzügigkeit der europäischen Steuerzahler abhängig zu machen" - und das 60 Jahre nach der Unabhängigkeit.

Er selbst nennt es "Ghana beyond aid", Ghana jenseits der Hilfe. Es ist auch ein Appell an den Stolz der Ghanaer. Eine Art zweite Unabhängigkeitserklärung. "Ein Beispiel", sagt Barima: "Wir produzieren Kakao, aber keine Schokolade, und keine Kakaobutter." Das große Geld machten andere. "Wir müssen aufhören, nur Rohstoffproduzent zu sein." Denn obwohl Ghana reich ist an guten Böden und Wasser, muss das Land einen Großteil seiner Nahrung importieren. Viele Bauern arbeiten nur für den eigenen Bedarf. Staatspräsident Akufo-Addo sagt es so: "Wir haben uns entschlossen, der alten Ökonomie den Rücken zu kehren." Aber der Weg in die neue ist noch verdammt weit.

Gut drei Tage verbringt Steinmeier in Afrika, aber der Heimat entkommt er nicht. Dafür sorgt auch Akufo-Addo. Bevor der deutsche Bundespräsident sich nach Gambia verabschiedet, gibt er ihm noch einen Gruß mit - an Angela Merkel. "Wir hoffen, dass sie bald eine stabile Regierung formen kann", sagt der Kollege aus Accra. "Mit Ihrer Hilfe."

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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