Staatsbürgerschaft:Lockruf aus Wien, Aufschrei in Rom

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Die Regierung von Bundeskanzler Kurz will vielen Bewohnern Südtirols den österreichischen, also einen Doppelpass anbieten, zusätzlich zum italienischen. Für Italien ist die Offerte ein Affront.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn der junge Kanzler aus dem kleinen Österreich den Italienern versichern muss, dass sie sich wegen seiner Regierung keine Sorgen machen müssen, dann mutet die Welt schon ein bisschen verkehrt an. "Es gibt keinen Grund zur Aufregung für Italien", sagte Sebastian Kurz, bevor er sich am Dienstag mit dem italienischen Premier Giuseppe Conte traf. War offenbar nötig. Es geht um Südtirol: österreichisch bis 1919 und seitdem italienisch.

Die Österreicher wollen den Südtirolern deutscher und ladinischer Sprache, die zusammen etwa 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zusätzlich zum italienischen Pass einen österreichischen anbieten. So steht es im Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ. Das soll die Nostalgie sättigen, eine emotionale Sache für viele Südtiroler - zumal für jene, die die sogenannte Zwangsitalianisierung der Region unter dem Faschistenführer Benito Mussolini erlebt haben. Zeichen aus jener Zeit, auch städtebauliche, gibt es noch viele.

Für die Italiener ist die Passofferte der Österreicher jedoch ein Affront sondergleichen, eine diplomatische Unziemlichkeit höchster Ordnung. Oder wie es Außenminister Enzo Moavero Milanesi dieser Tage sagte: "Ausgerechnet zum hundertsten Jahrestag des Kriegsendes und kurz vor den Südtiroler Landtagswahlen vom 21. Oktober könnte diese Wiener Initiative wie unzeitgemässer Revanchismus wirken." Sie schade jedenfalls dem gegenseitigen Vertrauen. Völlig unnötig sei sie zudem, weil die Südtiroler schließlich als Italiener genauso europäische Bürger seien wie die Österreicher. Aus Protest annullierte Moavero seinen geplanten Besuch bei der österreichischen Amtskollegin.

Conte aber empfing Kurz natürlich wie geplant. Österreich hat gerade turnusgemäß die EU-Präsidentschaft inne, da hätte eine Absage symbolisch viel schwerer gewogen als die zornige Note des Außenministers. Außerdem ist es ja nicht so, dass sich die rechtsgetriebenen Regierungen in Rom und Wien feindlich gesinnt wären: In manchen Belangen decken sich ihre Agenden, vor allem bei der harten Haltung gegenüber Migranten. Der Streit um den Doppelpass nahm seinen Lauf im vergangenen Herbst, als in Italien noch die Sozialdemokraten regierten und diese die ominösen sieben Zeilen auf Seite 33 des österreichischen Regierungsprogramms entdeckten.

Der Zusatzpass wäre vor allem eine symbolische Sache, am Status Südtirols würde sich nichts ändern

Es heißt dort, es werde in Aussicht gestellt, den Südtirolern der beiden Sprachgruppen "im Geist der europäischen Integration" auch den österreichischen Pass anzubieten. Die römische Linke warf sich darauf in eine patriotische Rolle, zu der man sie gar nicht fähig gewähnt hatte. Der Lockruf aus Wien, hieß es auch, könnte jene Kräfte zu neuem Leben erwecken, die Südtirol gerne von Italien abtrennen würden. Es wurden Vergleiche mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bemüht, obschon die Parallelen zwischen den beiden Fällen doch sehr dürftig sind. Der Corriere della Sera rechnete vorsorglich schon einmal vor, dass es den Südtirolern in ihrer autonomen Region in Italien wirtschaftlich besser gehe als den Tirolern in Österreich weiter nördlich, auch das Pro-Kopf-Einkommen sei in Bozen höher als in Innsbruck.

Viel Aufregung eben, dabei wäre die doppelte Staatsbürgerschaft vor allem eine symbolische Sache. Am politischen Status Südtirols würde sie nichts ändern: Es bliebe italienisch. Doch die Italiener hatten von Anfang an den Verdacht, die Österreicher arbeiteten im Stillen und ohne Absprache mit Italien an dem neuen Gesetz, das sie dann auch unilateral umsetzen würden. Kurz sagte nun, es gebe noch "keinerlei Gesetzesentwurf" in Sachen Doppelstaatsbürgerschaft. Sobald ein solcher vorliege, werde man einen Diskussionsprozess mit Rom starten, wie man das immer klar gesagt habe. "Es ist aber noch nicht so weit."

Ob diese Beschwichtigung wohl ausreicht? Vor dem Treffen der Premiers sagte Francesco Lollobrigida, der Fraktionschef der postfaschistischen Partei Fratelli d' Italia, er hoffe doch sehr, dass Conte die Interessen der Nation verteidige: "Er muss dem österreichischen Kanzler klarmachen, dass Bozen italienisch ist." Nun, das hat bisher noch niemand ernsthaft infrage gestellt.

© SZ vom 19.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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