Staat und Religion:In Gottes Namen

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Unter Stalin wurden sie enteignet, jetzt haben die Lutheraner in Russland ihre Hauptkirche zurückerhalten. Das ging nun überraschend schnell.

Von Julian Hans

Manchmal schafft der Zufall die stärksten Symbole. Dass die Kathedrale St. Peter und Paul am Mittwoch im Beisein des deutschen Bundespräsidenten an die Evangelisch-Lutherische Kirche in Russland zurückgegeben wurde, war weniger das Ergebnis langfristiger Planung. Eher war es das Zusammenspiel sehr unterschiedlicher Interessen, das am Ende in den Festakt mündete.

Zwei Mal schon hatte die Evangelisch-Lutherische Kirche Europäisches Russland die Übertragung ihrer Hauptkirche aus dem russischen Staatsbesitz beantragt. Ein entsprechendes Gesetz hatte das Parlament in Moskau 2012 beschlossen, seit 2014 ist es in Kraft. Zwei Mal wurde das Gesuch jedoch abgelehnt. Zum Reformationsjahr starteten die Lutheraner noch einmal einen Anlauf. Frank-Walter Steinmeier, damals noch Außenminister, schrieb im Januar einen Brief an Wladimir Putin mit der Bitte, das Anliegen zu unterstützen.

Doch Bewegung kam in die Sache erst, nachdem Steinmeier im März zum Bundespräsidenten gewählt worden war. Moskau begann sogleich, um einen Besuch zu werben. Immerhin ist es inzwischen sieben Jahre her, seitdem ein deutsches Staatsoberhaupt in Russland zu Gast war. Joachim Gauck hatte einen weiten Bogen um Russland und seinen Präsidenten mit der KGB-Vergangenheit gemacht. Ein Staatsbesuch seines Nachfolgers sollte zeigen, dass wieder Normalität eingetreten ist, hoffte man im Kreml. Eine Sichtweise, die man in Berlin nach der Annexion der Krim und wegen der andauernden Unterstützung des Krieges in der Ostukraine durch Russland nicht teilt. Deshalb durfte es kein Staatsbesuch sein; und für einen Arbeitsbesuch braucht es einen Anlass. Da erinnerten sich die Diplomaten an die Moskauer Kirche.

Im ehemaligen Pfarrhaus residiert noch immer der Geheimdienst

Vielleicht ist dieser Bau gerade deshalb das passende Symbol, weil er nicht nur die lange Geschichte deutsch-russischer Beziehungen verkörpert. Er erinnert zugleich daran, dass Komplikationen eher die Regel waren als die Ausnahme in dieser Geschichte. Sie reicht tatsächlich weit zurück. Die erste Kirche der St.-Peter-und-Paul-Gemeinde musste 1632 auf Befehl des orthodoxen Patriarchen abgerissen werden. 1694 dann besuchte Zar Peter der Große persönlich die Grundsteinlegung für ein neues Gebäude. 1826 wurde der König von Preußen zu ihrem Ehrenpatron ernannt. Als das gegenwärtige Gebäude 1905 eingeweiht wurde, war am Horizont schon die Revolution zu erahnen. Stalin ließ 1936 den damaligen Pastor Alexander Streck mitsamt dem Kirchgengemeinderat verhaften und erschießen. Die Kirche ging in Staatsbesitz über, der Turm wurde abgerissen, ein Kino zog ein.

Hätte Steinmeier die Kathedrale am Mittwoch nicht durch den Haupteingang betreten, sondern wäre rechts vorbei zwanzig Schritte gegangen, er wäre vor einem großen Metalltor gestanden, gekrönt mit Stacheldraht. Hinter dem Tor, so viel ist bekannt, befinden sich das ehemalige Pfarrhaus und die frühere Schule der Gemeinde. Sie wurden seinerzeit vom KGB beschlagnahmt. Kein Schild an dem Metalltor weist darauf hin, aber noch heute hat der KGB-Nachfolger FSB dort eine Niederlassung. Zurückgegeben wurden nur die Kathedrale selbst, eine Kapelle und ein Nebengebäude.

Er hoffe darauf, dass eines Tages auch das ehemalige Pfarrhaus und das Schulgebäude wieder in den Besitz der Kirche zurückkehrten, sagte Erzbischof Dietrich Brauer, Oberhaupt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, ein Mann mit russlanddeutschen Wurzeln. "Wir erwarten, dass die Rückgabe der Kathedrale in Anwesenheit des deutschen Bundespräsidenten hilft, den Weg für die Rückgabe anderer lutherischer Kirchengebäude zu ebnen." Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Auflösung der Sowjetunion hat die Evangelische Kirche in Russland nur knapp ein Dutzend Gebäude aus ihrem ehemaligen Besitz zurückbekommen. Die St.- Peter-und-Paul-Kathedrale ist als Bischofssitz die erste Kirche mit übergeordneter Bedeutung. Besonders problematisch ist die Lage im Gebiet Kaliningrad, dem ehemals deutschen Ostpreußen rund um Königsberg. Dort wurden zuletzt mehrere einst evangelische Kirchengebäude der russisch-orthodoxen Kirche übertragen.

Zur lutherischen Kirche bekennen sich in Russland heute etwa 19 000 Erwachsene. Im Zarenreich und in der Sowjetunion waren überwiegend Balten und Deutsche evangelisch. Seitdem Estland, Lettland und Litauen 1990 ihre Unabhängigkeit zurückerlangten, sind die Deutschstämmigen in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Russland in der Mehrheit. In den meisten Gemeinden wird heute Russisch gesprochen. Seit 1991 konnten in der Kathedrale St. Peter und Paul wieder Gottesdienste gefeiert werden, die Gemeinde blieb aber formal Gast, Hausherr war der Staat.

Gar nicht erwähnt wurde am Mittwoch das Schicksal der ehemaligen Kirchturmuhr. Sie ziert heute die Fassade der Lubjanka. Als die KGB-Zentrale in den Achtzigerjahren unter Parteichef Jurij Andropow renoviert wurde, müssen die Architekten auf der Suche nach einem harmonischen Schlusspunkt auf die Uhr gestoßen sein. Doch die Stunde, in der auch der Geheimdienst sich zu begangenem Unrecht bekennt, hat in Russland noch nicht geschlagen.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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