Spionage aus Peking:Die besondere chinesische Mischung

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Agressive Hacker-Szene und Wirtschaftsspionage im ganz großen Stil: warum China immer wieder in Verdacht gerät, nicht hart genug gegen die Spionage zu kämpfen.

Hans Leyendecker

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) war irritiert. Erst durch eine Vorabmeldung des Spiegels hatte er am Wochenende erfahren, dass chinesische Hacker Angriffe mit Trojanern auf Rechner seines Ministeriums gestartet hatten.

Der gelernte Müllermeister hatte davon nichts gewusst. Er erkundigte sich in seiner Geheimschutzstelle nach Details. Auch auf PCs im Kanzleramt, im Außen- und Forschungsministerium hatten Experten im Frühjahr Trojaner gefunden.

Die Verblüffung einiger Regierender in Berlin ist so erstaunlich wie die prompte Reaktion der chinesischen Führung auf die deutschen Veröffentlichungen.

Peking sei entschlossen, Maßnahmen einzuleiten, "um Hackerangriffe auszuschließen", erklärte der chinesische Ministerpräsident der deutschen Kanzlerin Angela Merkel bei deren Besuch in China. Anfang des Jahres noch hatte ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Berlin solche Ausspähung von Staats wegen nicht bestätigen mögen.

Dass China den großen elektronischen Angriff auf Westeuropa gestartet hat, ist seit vielen Monaten Thema staatlicher Sicherheitsexperten. "In letzter Zeit haben wir verstärkt chinesische Hackerangriffe festgestellt", sagte im Februar dieses Jahres der Vize des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans Elmar Remberg, in einem Interview.

"Wir können uns das nicht bieten lassen", erklärte damals dazu der außenpolitische Sprecher der Grünen, Jürgen Trittin, und die FDP-Außenpolitikerin Marina Schuster regte eine Klage der EU gegen China in der Welthandelsorganisation WTO an. Die Szene der chinesischen Hacker gilt als besonders aggressiv.

Blackberry-Verbot unter Sarkozy

Als im Frühjahr dieses Jahres ein großer Sicherheitsanbieter einen internationalen Hacker-Wettbewerb ausgeschrieben hatte, registrierte er pro Tag rund eintausend Zugriffe aus China.

Rätselhaftes Land der Mitte. Was wollten die Chinesen über die Arbeit von Glos und Kollegen erfahren?, fragten sich manche nicht nur in Berlin. "Wettbewerbsfragen, Gesetzesvorhaben gegen Produktpiraterie, technologische Kooperationen" - alles könnte im globalen Wettbewerb von Interesse sein, erklärte dazu ein führender deutscher Sicherheitsbeamter.

Alles meint in diesem Genre wirklich alles. Der Düsseldorfer Innenminister Ingo Wolf (FDP) wusste am Montag zu berichten, dass Produktpiraten "selbst die Idee eines deutschen Bäckers, die Körner im Brot auf eine bestimmte Weise zu verbacken", gestohlen hätten.

In der digitalisierten Welt wird allerorten spioniert, und die Regierenden gehen unterschiedlich mit der Gefahr um. In Frankreich hat in diesen Tagen der für die Innere Sicherheit zuständige Nachrichtendienst den Mitgliedern der neuen Regierung Sarkozy die Verwendung von Blackberry-Geräten untersagt, weil die Server in den USA und in Großbritannien stationiert seien.

Der frühere Kanzler Helmut Kohl lehnte zum Entsetzen des BND im Urlaub das Telefonieren mit abhörsicheren Apparaten ab, weil er dies für zu umständlich hielt. Und Kanzlerin Angela Merkel verschickt auch bei wichtigen Gelegenheiten SMS-Botschaften an ihre Leute. Damit könnte sie ins Visier von Diensten geraten.

Nach Schätzungen des Arbeitskreises Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) beträgt das durch Wirtschaftsspionage entstandene Gefährdungspotenzial jährlich 50 Milliarden Euro. Da das Delikt ein großes Dunkel- und ein kleines Hellfeld hat, ist unklar, ob es sich bei dieser Schadensumme um eine Über- oder um eine Untertreibung handelt. Die letzten Gerichtsurteile zur Wirtschaftsspionage sind sieben Jahre alt. Damals steckte der russische Staat dahinter.

Seit dem Ende des Kalten Kriegs wird der Kampf im Dunkeln, bei dem es früher vor allem um Staats- oder Militärgeheimnisse ging, auf anderem Gebiet fortgesetzt. Bereits vor zehn Jahren fand der baden-württembergische Verfassungsschutz heraus, dass im Ländle zwei Drittel der Spionagetätigkeit gegen Wirtschaft und Wissenschaft gerichtet waren.

Als am Wochenende das Thema China hochkam, verwiesen hochrangige Sicherheitsbeamte in Berlin darauf, dass vor allem die USA, Russland oder auch Frankreich Wirtschaftsspionage in großem Stil betreiben. Andererseits geht die größte Gefahr noch immer von dem Mitarbeiter eines Unternehmens aus, der aus Unzufriedenheit, Geltungsbedürfnis oder Rachgelüsten Material an die Konkurrenz verschiebt.

Ob privat oder staatlich - völlige Sicherheit gibt es nicht. Als in den Neunzigern das Kanzleramt in Berlin gebaut wurde, waren Sicherheitsfachleute davon überzeugt, dass - Freund hört mit - die Amerikaner künftig in der Leitung sein würden. Die Methode, einen Bau vor der Eröffnung mit ein paar Sack Zement und viel elektronischem Zubehör zu verwanzen, heißt in Fachkreisen "chinesische Mischung".

Das Thema eignet sich sogar für Satire: "Merkel stellt China zur Rede" war ein Beitrag bei Spiegel-Online überschrieben, der die Kanzlerin gemeinsam mit dem chinesischen Ministerpräsidenten zeigt. "Na, was haben Sie denn Schönes auf meinem PC entdeckt?" fragt Frau Merkel: "Letzte Bestellung in Otto-Velsand zu teuel - Hosenanzug bei Tchibo billigel" antwortet Herr Wen Jiabao.

© SZ vom 28.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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