SPD und Linkspartei:"Wir sind nicht die Provinztrottel"

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Ralf Stegner, SPD-Landeschef in Schleswig-Holstein, will sich nicht von den Bundespolitikern seiner Partei vorschreiben lassen, mit wem in den Ländern koaliert wird. Schon gar nicht von einem gewissen Herrn Steinbrück

Thorsten Denkler

sueddeutsche.de: Herr Stegner, kaum sind die Landtagswahlen vorbei, ist plötzlich eine Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei möglich. Viele hat der Schwenk überrascht. Zu Recht?

Sieht kein Glaubwürdigkeitsproblemen wegen der Linkspartei: Ralf Stegner. Foto: ap (Foto: N/A)

Ralf Stegner: Ich halte das weder für einen Linksruck, noch für besonders sensationell. Es war immer so, dass Landesverbände selbst entschieden haben, welche Optionen zur Regierungsbildung sie realisieren. Im Grunde ist nur diese alte Linie jetzt wieder bestätigt worden.

sueddeutsche.de: Es war doch Ihr Parteichef, der die Autonomie der Landesverbände beschnitten hat, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Der Umgang mit der Linkspartei ist Chefsache.

Stegner: Wir mussten eben feststellen, dass Vorfestlegungen nach dem Motto "niemals dies und niemals das" - ich nenne das auch Selbstfesselung - immer die Glaubwürdigkeitsprobleme von morgen sind. Dass Kurt Beck diese Frage vergangene Woche aufgeworfen hat, war ja inhaltlich nicht problematisch. Problematisch war allenfalls der Zeitpunkt und die Art und Weise der Debatte.

sueddeutsche.de: Mit der Folge, dass die SPD jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem hat?

Stegner: Die Situation ist doch jetzt eine völlig neue. Niemand konnte dieses hessische Ergebnis vorhersagen. Und es konnte auch niemand annehmen, dass die FDP, die ja bereits sozial-liberale Koalitionen mit uns gebildet hat, sich in Interviews darstellt, als sei sie in einem Zustand der politischen Hörigkeit gegenüber der Union.

sueddeutsche.de: Wie wollen Sie die FDP noch überzeugen?

Stegner: Die werden sich jetzt neu besinnen müssen. So wie Herr Westerwelle wegen der Schwarz-Grün-Debatte auf Angela Merkel schimpft, dämmert ihnen vielleicht, dass sich die Lagerwahlkampfhoffnungen Schwarz-Gelb gegen alle anderen nicht mehr so leicht mit realistischer Aussicht auf Mehrheiten realisieren lassen.

sueddeutsche.de: Und dann?

Stegner: Na ja, bei der FDP ist eines verlässlich: ihr Wunsch zu regieren. Der ist heftiger ausgeprägt als in jeder anderen Partei. Wenn Herr Westerwelle auch 2009 keine Regierungsbeteiligung liefert, dann ist er politischer Pensionär. Das steht fest. Die FDP hat noch einen Vorteil: Sie ist als liberale Partei am wenigsten durch Grundsätze gehindert, sich an Regierungen zu beteiligen.

sueddeutsche.de: So besonders ausgeprägt scheint der Drang zu regieren in der hessischen FDP nicht zu sein.

SPD-Vorstandsmitglied Ralf Stegner fordert mehr Realitätssinn in seiner Partei. (Foto: Foto: ap)

Stegner: Die FDP in Hessen ist sicher konservativer als anderswo. Sie ist zu 90 Prozent auf die CDU fixiert. Das macht es komplizierter. Aber die können doch nicht ernsthaft einen Anti-Kommunisten-Wahlkampf führen und dann sagen, mit den Grünen und der CDU geht es, aber mit der SPD auf keinen Fall. Das ist doch eine groteske Position.

sueddeutsche.de: Oder Angst vor der Beliebigkeitsfalle.

Stegner: Das Wahlergebnis in Hessen zeigt zwei Dinge ganz deutlich: Über Koalitionen entscheiden nicht Parteizentralen, sondern Wähler. Eine große Koalition wollten die Wähler in Hessen offenbar nicht. Dafür waren der üble Koch-Wahlkampf und unsere Abgrenzungsaussagen zur CDU zu deutlich ...

sueddeutsche.de: ... ungefähr so deutlich, wie das Bekenntnis: Die SPD nie und nimmer mit den Linken?

Stegner: Das war nicht die Hauptaussage des Wahlkampfes. Wir haben in Hessen einen der besten Wahlkämpfe für die SPD seit langem geführt. Wir haben die Themen Bildung, Arbeitsmarkt und Energie progressiv und gerechtigkeitsorientiert besetzt. Das war alles in dieser Form erst möglich nach dem Hamburger Parteitag. Der hat eine neue Aufbruchstimmung gebracht, für die Kurt Beck verantwortlich ist.

sueddeutsche.de: Noch einmal - im Wahlkampf hieß es doch, es solle keinesfalls eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei geben.

Stegner: Das bestreitet auch niemand. Aber nun haben wir ein Wahlergebnis. Und nach alter Brecht'scher Manier sage ich: Wir können uns kein anderes Volk wählen. Wir können auch nicht so oft wählen lassen, bis uns das Ergebnis passt. Es kann doch jetzt nicht sein, dass alles auf die SPD einhaut, wenn sich nur die FDP bewegen muss, um andere Konstellationen zu verhindern.

sueddeutsche.de: Es gäbe ja noch die Option einer großen Koalition, wenn Roland Koch abtritt.

Stegner: Das lese ich gelegentlich auch. Aber was soll es bringen, wenn Herr Koch durch Innenminister Bouffier oder Herrn Jung ersetzt werden würde? Die haben doch die Anti-Ausländer-Kampagne dort gemeinsam veranstaltet. Das war doch der Koch nicht alleine.

sueddeutsche.de: Rot-Grün von Lafontaines Gnaden wollen die Wähler offenbar auch nicht. Das hat das Hamburger SPD-Ergebnis gezeigt.

Stegner: Ich kann nicht erkennen, dass sich die Debatte substanziell negativ auf das Wahlergebnis ausgewirkt hat. Selbst wenn das zwei Prozentpunkte gekostet haben sollte - ich formuliere bewusst im Konjunktiv - hätte es auch ohne Debatte nicht für eine rot-grüne Mehrheit gereicht.

sueddeutsche.de: Die SPD hat die sogenannte strukturelle linke Mehrheit bisher nicht genutzt. Können die Deutschen davon ausgehen, dass es damit jetzt vorbei ist?

Stegner: Weder im Präsidium noch im Parteivorstand hat irgendjemand linke Bündnisse gefordert. Ganz im Gegenteil: Man kann der Linken gegenwärtig keine politische Verantwortung für das Land übertragen. Die haben in ihren Reihen doch alles, von ehemaligen Sozialdemokraten über altgediente Gewerkschafter bis hin zu DKPisten, Chaoten und Spinnern. Gregor Gysi gilt da schon fast als sozialdemokratischer Conférencier.

sueddeutsche.de: Falls die SPD wider Erwarten in Hamburg doch mit der Linken etwas anfangen wollte: Würde es nicht der Argumentation helfen, dass von Beust einst mit der Schillpartei koaliert hat?

Stegner: Das entscheidet die Hamburger SPD, auch wenn der Wähler das vielleicht akzeptieren würde. Denn die Linkspartei in Hamburg ist mit Sicherheit nicht undemokratischer als die Schill-Bande. Die war ja NPD-nah und jeder Bananenrepublik würdig.

Ich wundere mich übrigens, wie milde in den Medien mit einer CDU umgegangen wird, die mit diesem Herrn Schill koaliert hat und die im Gegensatz zur SPD nach dem Mauerfall die Blockpartei CDU im Osten geschluckt hat, samt Vermögen und Mitgliedern. Wir haben damals im Osten bei null angefangen. Die Moralkeule, die da geschwungen wird, finde ich scheinheilig und verlogen.

sueddeutsche.de: Sie wollen mit der Linken in Hessen nicht reden, sich aber möglicherweise von ihr wählen lassen. Die Ersten argwöhnen, nach einer gewissen Gewöhnungsphase werde schon bald der erste Linke im Westen auf einem Ministersessel sitzen. Wie sehen Sie das?

Stegner: Politik ist gut beraten, bei den Realitäten anzusetzen. Darum würde ich nicht sagen, dass das nie passieren wird. Wir haben in der Geschichte keine guten Erfahrungen mit Tabus und Ausgrenzungen gemacht. Wir wollen uns mit denen politisch auseinandersetzen - am Ende entscheidet dann immer die inhaltliche Glaubwürdigkeit.

sueddeutsche.de: Das heißt, die SPD erkennt die Realität des Fünf-Parteien-Systems an?

Stegner: Wir haben das im Parteipräsidium intensiv diskutiert. Die einen haben gesagt ja, wir haben ein Fünf-Parteien-System. Die anderen haben das verneint.

sueddeutsche.de: Und Sie?

Stegner: Ich habe gesagt: Ich wünsche mir das nicht. Und wir tun mit unserem Profil aktiv etwas dagegen. Aber wenn es so ist, muss man politikfähig bleiben. Die SPD muss lernen, dass wir uns die Wirklichkeit nicht malen können.

sueddeutsche.de: In der SPD sehen das Leute wie der Finanzminister und Parteivize Peer Steinbrück ganz anders.

Stegner: Auch ich würde gegenwärtig eine aktive Kooperation mit der Linken nicht empfehlen. Aber ich gehöre auch nicht zu denen, die Kollegen öffentlich Ratschläge geben wollen. Frau Ypsilanti ist klug genug, um zu wissen, was sie tut.

Sie hat sich - zu Recht - dagegen verwahrt, dass es weise Staatsmänner nur auf Bundesebene gibt, auch wenn der allerklügste natürlich der Bundesfinanzminister ist. Und ansonsten gibt es nur Provinztrottel, die sich sagen lassen müssen, was für Deutschland richtig ist. So ist die Welt ja nun auch nicht.

sueddeutsche.de: In Schleswig-Holstein wird in zwei Jahren wieder gewählt. Werden Sie vor einem Bündnis mit der Linkspartei gefeit sein?

Stegner: Wir werden alles tun, dass sie gar nicht erst in den Landtag kommt. Aber ich kann nicht ausschließen, dass sie es schafft. Egal was passiert: Unsere Aussichten auf eine Regierungsmehrheit sind auf jeden Fall besser als die der Union.

sueddeutsche.de: Die SPD wäre töricht, wenn sie ein linke Mehrheit nicht nutzt, wenn es sie gibt.

Stegner: Ich würde sagen, die SPD wäre schön doof, wenn sie sich von anderen zwingen ließe, entweder in die Opposition zu gehen, oder sich als Juniorpartner in einer dauerhaften großen Koalition aussaugen zu lassen, wenn es vertretbare Optionen gibt. Und das gilt, obwohl wir derzeit in Kiel in dieser großen Koalition die inhaltlichen Akzente setzen, wie man beispielsweise in der Schulpolitik sieht.

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