Spanien vor der Wahl im Herbst:Konkurrenzkampf der Protestparteien

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Holt seine Partei 20 Prozent der Stimmen? Albert Rivera, Chef der bürgerlichen Partei Ciudadanos. (Foto: REUTERS)
  • In Spanien formiert sich eine neue Protestpartei: Die sozialliberalen Ciudadanos ("Bürger") sind für Marktwirtschaft, verlangen aber Korrekturen an sozialen Einschnitten.
  • In Umfragen liegen sie schon bei zwölf Prozent.
  • Damit ist Spanien vor den Wahlen im Herbst auf dem Weg von einem Zwei- zu einem Vierparteiensystem.
  • Auch die linksalternative Gruppierung Podemos feierte zuletzt Erfolge.

Von Thomas Urban, Madrid

Der Streit zwischen Madrid und Athen über den richtigen Weg aus der Krise ging auch am Dienstag weiter und findet zunehmend ein Echo in der spanischen Innenpolitik. Die Mitteilung des spanischen Wirtschaftsministers Luís de Guindos, längst hätten die Verhandlungen über ein drittes Rettungspaket für Griechenland mit einem Volumen von bis zu 50 Milliarden Euro begonnen, wurde zwar in Brüssel nicht bestätigt. Doch sie rief ablehnende Kommentare sowohl von Vertretern der großen Parteien wie auch von Medien in Spanien hervor. Derweil formiert sich neben den Altparteien eine weitere neue Kraft: die Protestpartei Ciudadanos.

Der griechische Premierminister Alexis Tsipras hatte am Wochenende den konservativen Regierungen in Madrid und Portugal vorgeworfen, sie wollten Athen "zermürben und zur Kapitulation zwingen". Damit hatte er dort Protest geerntet und den Vorwurf, er pflege Verschwörungstheorien.

Guindos konterte mit dem Hinweis, dass Madrid im Rahmen der bisherigen Rettungsprogramme 26 Milliarden Euro für Athen zur Verfügung gestellt habe, eine Summe, die so hoch sei wie die gesamte Arbeitslosenhilfe in Spanien. Dieses Geld habe zu einem deutlich höheren Zinssatz aufgenommen werden müssen, als Athen für die Rückzahlung aufbringe.

Tsipras' Vorwürfe kamen bei Spaniens Regierung nicht gut an

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Die Kontroverse um Athen wirkt sich auf die Meinungsumfragen in Spanien aus: Diese führt wieder mit knappem Vorsprung die konservative Volkspartei (PP) von Premierminister Mariano Rajoy an, vor der linksalternativen Gruppierung Podemos sowie den oppositionellen Sozialisten (PSOE). Diese drei Parteien stagnieren bei den Umfragen zwischen 20 und 25 Prozent. Hingegen zeigt bei der sozialliberalen Partei Ciudadanos (Bürger) die Kurve nach oben, sie liegt nun bereits bei etwa zwölf Prozent Zustimmung. Kommentaren der Hauptstadtpresse zufolge ist mit einem weiteren Anwachsen der Sympathiewerte zu rechnen.

Der Hauptgrund dafür sind die Korruptionsaffären der beiden etablierten Parteien PP und PSOE, die sich die vergangenen vier Jahrzehnte an der Regierung abgelöst hatten. Mit Podemos bringt die traditionelle Presse unkalkulierbare Wirtschaftsexperimente in Verbindung, was bei einer Mehrheit Skepsis oder Angst auslöst.

Die Spanier sind parteiübergreifend proeuropäisch eingestellt

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Nach Informationen der PSOE-nahen Tageszeitung El País hat Podemos-Chef Pablo Iglesias, der Mann mit dem Pferdeschwanz, der gern im Holzfällerhemd auftritt, eine Beratung über den für ihn bedrohlichen Aufstieg der Ciudadanos angesetzt. Iglesias hatte zunächst den Wahlsieg von Syriza in Griechenland bejubelt, doch sich zuletzt mit Lob für Athen zurückgehalten. Das Gebaren der neuen griechischen Führung wirkt nach Meinung der meisten Madrider Kommentatoren abschreckend. Überdies sind die Spanier parteiübergreifend proeuropäisch eingestellt, auch Iglesias sieht den Platz des Landes in der EU.

Die Ciudadanos sind für Podemos zum Problem geworden, weil ihre Botschaft an die Wähler ähnlich ist: Weg mit dem korrupten System, das PP und PSOE geschaffen haben, fordern sie. Doch während Podemos das Wirtschaftssystem umgestalten möchte und staatsmonopolistische Strukturen anstrebt, verteidigt der Ciudadanos-Vorsitzende Alberto Rivera, ein 35-jähriger Wirtschaftsjurist, die Marktwirtschaft. Wohl aber sollen dem Parteiprogramm zufolge die Auswüchse des Finanzkapitalismus, die in die spanische Wirtschaftskrise geführt haben, kräftig beschnitten werden. Auch sollen die Einschnitte in das soziale Netz, die Kernstücke des Sanierungsprogramms Rajoys sind, in Teilen rückgängig gemacht werden.

Der Ciudadanos-Vorsitzende warnt vor einer "Koalition der Dekadenz"

Rivera warnt vor einem Zusammengehen von PP und PSOE. "Dies wäre eine Koalition der Dekadenz", erklärte er im Hinblick auf deren Finanzskandale. In Analysen wird nicht ausgeschlossen, dass die Ciudadanos bei der Parlamentswahl im Herbst die 20-Prozent-Marke erreichen könnten. Somit würde aus dem spanischen Zwei- ein Vier-Parteien-System.

Ihren Anfang genommen hat die Partei in Katalonien, wo sie für die Einheit Spaniens gegen die derzeit tonangebenden Befürworter einer Abspaltung Stellung beziehen. Die Ciudadanos sind klar proeuropäisch und für eine strenge Trennung von Kirche und Staat, für Transparenz in Politik und Verwaltung sowie eine Stärkung der Justiz bei der Bekämpfung der Korruption. Sie sind sowohl für gemäßigt konservative Wähler, als auch für Anhänger des sozialdemokratischen Flügels der PSOE akzeptabel.

Premier Rajoy profitiert vom zarten Wirtschaftsaufschwung

Der neue Sozialistenchef Pedro Sánchez hat es bislang nicht geschafft, der PSOE bessere Sympathiewerte zu verschaffen. Vielmehr erweckt er den Eindruck, sich gegen die Chefs der Regionalverbände nicht durchsetzen zu können. Sánchez ist Wirtschaftsprofessor, politische Erfahrung hat er nicht in den Strukturen seiner Partei gesammelt, sondern als Mitarbeiter des Europa-Parlaments.

Dagegen kann die PP sich freuen, dass der Absturz in der Publikumsgunst offenbar aufgehalten worden ist. Der PP nützen offenkundig die Daten über den zarten Wirtschaftsaufschwung. Doch liegt sie immer noch bei 23,6 Prozent. Für Ende 2015 wird ein Wachstum von 2,4 Prozent erwartet, auch geht die Arbeitslosigkeit weiter zurück. Die meisten Jobs sind allerdings da entstanden, wo sie in der Krise wegfielen: im Bausektor.

© SZ vom 04.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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