Spätabtreibungen:40 Wochen ohne Garantie

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Zu jedem Zeitpunkt einer Schwangerschaft kann eine Behinderung entstehen - auch noch am letzten Tag.

Von Bernward Gesang und Christina Berndt

Monatelang kann die Schwangerschaft wunderbar laufen. Und dann zeigt sich, dass doch etwas mit dem Baby nicht stimmt. Selbst schwerste körperliche oder geistige Behinderungen werden mitunter erst in einer späteren Phase der Schwangerschaft oder bis zur Geburt gar nicht offenbar - lange nach der zwölften Woche jedenfalls, bis zu der ein Abbruch auch aus sozialen Gründen erfolgen kann.

Dann stehen die Eltern vor der schweren Entscheidung, ob die Frau das Kind dennoch austrägt oder es in diesem späten Stadium noch abtreiben lässt.

Vor der zwölften Woche lassen sich primär zwei Arten von Missbildungen erkennen: jene, die genetisch bedingt sind, und jene, die besonders auffällig sind. "Schwere Fehlbildungen wie fehlende Gliedmaßen oder ein offener Rücken kann man bis zur zwölften Woche in einer guten Ultraschalluntersuchung sehen", sagt Cerry Scheler von der Universitätsfrauenklinik Halle.

Darüber hinaus lassen sich manche genetischen Leiden ab der zehnten Woche mit einer Untersuchung des Mutterkuchens (Chorionzottenbiopsie) erkennen. Dazu gehören Fehlbildungen wie das Down-Syndrom, bei dem Chromosomen dreifach statt doppelt vorliegen. "Alle Chromosomenstörungen machen zusammen aber nur etwa ein Viertel der Behinderungen aus", sagt der Humangenetiker Arne Pfeufer vom Klinikum rechts der Isar in München.

Ein weiteres Viertel sei durch Gen-Fehler bedingt - Defekte in einer einzigen Erbanlage etwa, die zu Stoffwechselstörungen und so auch zu schweren geistigen Behinderungen führen können.

Weiteren Aufschluss über die Gesundheit seines Kindes kann man nur durch Verfahren erhalten, die erst nach der zwölften Woche anwendbar sind. So kann eine Punktierung der Nabelschnur oder eine Fruchtwasseruntersuchung vorgenommen werden, wenn der Verdacht vorliegt, dass das Kind geschädigt sein könnte. "Diese Untersuchungen dienen natürlich nicht primär dazu, einen Abbruch vorzubereiten", betont die Gynäkologin Scheler.

"Vielmehr sollen sie Risikofamilien die Angst nehmen und zudem eine frühzeitige Therapie am Embryo oder Fötus ermöglichen."

Kein Garantieschein

Selbst wenn diese Untersuchungen keinen Befund ergeben, ist das aber kein Garantieschein für ein gesundes Kind. Denn Behinderungen können zu jedem Zeitpunkt einer Schwangerschaft neu entstehen - auch noch am letzten Tag. So sind geistige Behinderungen nicht ausgeschlossen, wenn das Ungeborene eine Zeit lang unter Sauerstoffmangel leidet - etwa weil es sich die Nabelschnur um den Hals gewickelt hat.

Der Gesetzgeber erlaubt in solchen Fällen einen Abbruch bis kurz vor der Geburt. Dazu löst der Arzt im Normalfall mittels Medikamenten künstliche Wehen aus und leitet damit die Geburt ein. Kinder, die jünger als 22Wochen sind, kommen dabei meist tot zur Welt. Will der Arzt eine Lebendgeburt aber sicher ausschließen, muss er das Ungeborene aktiv töten. Ein solcher Fetozid kann durch Kalium erfolgen, das durch den Bauch der Mutter ins Herz des Fötus gespritzt wird.

Kommt das Kind dennoch lebendig zur Welt, muss der Arzt es nicht mit medizinischen Maßnahmen retten, falls die Eltern das nicht doch wünschen. Eine aktive Tötung aber ist dann verboten.

© SZ vom 10.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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