Sozialdemokraten in der Krise:Versehrte Damen und Herren

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Hände schütteln und auch den Kopf: Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus (re.), begrüßt den Parteivorsitzenden Michael Müller. (Foto: Silas Stein/dpa)

Auf dem Landesparteitag sucht die Berliner SPD Schuldige für das Desaster bei der Bundestagswahl. Auch in der Fraktion gibt es Zoff.

Von Jens Schneider, Berlin

Es ist ein Treffen von Verwundeten, und an diesem Tag geht es erst mal darum, sich nicht auch noch gegenseitig weitere Verwundungen zuzufügen. Die Lage der Berliner SPD ist auch so schlimm genug. Nur 17,9 Prozent holte die Partei bei der Bundestagswahl in der Hauptstadt, ein historisch schlechtes Ergebnis, in einer einstigen Hochburg, wo sie seit mehr als einem Vierteljahrhundert regiert. Nun steht der Regierende Bürgermeister und SPD-Vorsitzende Michael Müller vor den Genossen und will um jeden Preis den Eindruck vermeiden, er wolle die Misere schönreden.

Es herrscht Unruhe in der Partei, Müller wird von vielen für das Fiasko verantwortlich gemacht, auch weil sein rot-rot-grüner Senat ein schwaches Bild abgibt. Sozialdemokraten aus der zweiten Reihe forderten in den vergangenen Wochen seinen Rücktritt als Parteichef. Müller begegnet der Stimmung, indem er offen von einem desaströsen Ergebnis spricht, einer "Vertrauenskrise auf allen Ebenen". Er räumt gleich am Anfang seiner Rede ein, "dass ich an diesem Ergebnis meinen Anteil habe". Und fordert zur Fehlersuche auf.

"Was wir am wenigsten brauchen, sind Denkverbote!" Die SPD dürfe Debatten nicht mit Geschlossenheitsappellen tot machen wollen, sie brauche offene Worte: "Wann, wenn nicht jetzt?" Müller spricht sogar eine Art Einladung aus: Kritik an ihm sei willkommen.

"Lasst euch von meinen Mundwinkeln nicht abschrecken, das ist nun mal so, und wird auch nicht mehr anders", sagt er. Da lachen, selten bei ihm, einige Genossen gutmütig. Müller gilt als einer, den Kritik arg trifft, was man schnell in seinem Gesicht ablesen kann. Mit diesem Auftritt macht er freilich klar, dass er weiter machen, die Parteiführung nicht aus der Hand geben will.

Müller wirkt an diesem Tag ungewöhnlich souverän, was damit zu tun haben dürfte, dass sein ärgster Widersacher gerade noch frischere Wunden mit sich trägt. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, hat einen Brief aus seiner Fraktion bekommen, in dem 14 von 38 Abgeordneten ihm auf vier Seiten nahezu komplettes Versagen als Führungskraft vorhalten. Es ist eine deftige Misstrauensbekundung gegen den 40-Jährigen, dem die Fraktionskollegen vorwerfen, dass er sich vor allem um sich selbst drehe, sein Buchprojekt zur deutschen Leitkultur (es trägt den Titel "Ich deutsch") und Namensartikel in Zeitungen veröffentliche. Die Arbeit der Fraktion werde von Saleh vernachlässigt, klagen sie. Nötige Diskussionen fänden nicht statt, Saleh sei für Abgeordnete teilweise wochenlang nicht erreichbar, manchmal blieben Anfragen ganz ohne Antwort. Höflich im Ton, aber unerbittlich in der Aussage fordern sie Führung ein, zu der auch gehöre, Konflikte zu moderieren und zu schlichten: "Nicht dazu gehört, derartige Probleme ohne Perspektive und Klärung einfach laufen zu lassen oder sogar zu verschärfen."

Der Brief kam pünktlich, wenige Tage vor dem Parteitag. Müller zeigte keine Lust, Saleh zu verteidigen, im Gegenteil. Aus Müllers Rede auf dem Parteitag konnte man Sympathie für die Fraktionskollegen heraushören. Saleh nutzt Parteitage sonst gern als Gelegenheit, nach Müller zu demonstrieren, dass er der leidenschaftlichere Politiker ist. Vor zwei Jahren war er Müller unterlegen, als es um die Nachfolge von Klaus Wowereit als Regierungschef ging, aber Saleh gibt sich gern als eine Art Regierender Bürgermeister im Wartestand.

Diesmal verzichtet er auf Attacken, auch auf jede Spitze gegen Müller - und geht auf die Kritik aus der Fraktion in seiner Rede mit keinem Wort ein, verspricht aber, dass etwa zum Problem der vielen immer noch unsanierten Schulen Berlins "in den nächsten Tagen die Fraktion Nägel mit Köpfen machen" werde.

"Raed und ich müssen nicht ständig wie das doppelte Lottchen durch die Stadt laufen", sagte der Regierende Bürgermeister über das gespannte Verhältnis, forderte aber von Saleh "Unterstützung und Solidarität" in der Fraktion, auch in schwierigen Phasen. Gerade sieht es aus, als müsse Saleh eher um seinen Posten bangen als Müller. So etwas weiß der erfahrene Machtpolitiker zu nutzen.

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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