Sozialdemokraten:Augen auf bei der Kandidatenwahl

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Jochen Beekhuis, SPD (links), während einer Sitzung im niedersächsischen Landtag in Hannover. Seine Chats wurden im Januar gehackt. (Foto: Ole Spata/dpa)

In Ostfrieslands SPD galt Jochen Beekhuis als charmanter Aufsteiger. Nun wollen viele ihren Abgeordneten loswerden - nach einer Posse, die zeigt, wie anfällig Parteien für einen bestimmten Typ Politiker sein können.

Von Thomas Hahn, Hannover

Es war tiefe Nacht am Freitag, als im SPD-Bezirk Weser-Ems eine sehnsüchtig erwartete Meldung kursierte. In Oldenburg hatte der Bezirksvorstand getagt, um über den Untersuchungsbericht einer parteiinternen Kommission zur sogenannten Chataffäre des Landtagsabgeordneten Jochen Beekhuis, 42, zu beraten. Diese Affäre schwelt seit dem Frühjahr, als lokale Medien Zitate aus gehackten Facebook-Messenger-Chats veröffentlichten, die den Abgeordneten Beekhuis als intriganten Ego-Politiker mit menschenfeindlicher Sprache erscheinen lassen. Lange hatte die Kommission aus einer Juristin und zwei Juristen die Chats geprüft. Jetzt machte der Bezirksvorstand seine Ansage.

Er nahm den Bericht der Kommission an, wonach Beekhuis "eine verachtende Haltung gegenüber Mitgliedern" sowie "ehrabschneidende Äußerungen gegenüber Frauen und Homosexuellen" gemacht habe, und beschloss: Rücktrittsforderung. Drei-Monats-Sperre als SPD-Mitglied. Parteiordnungsverfahren "mit dem Ziel des Ausschlusses". Ist der Aufsteiger Beekhuis schon am Ende? So einfach ist das nicht. Wiard Siebels, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion in Niedersachsens Landtag und Bezirksvorstandsmitglied, sagt: "Einen frei gewählten Abgeordneten kann man nicht zwingen, sein Mandat aufzugeben."

Die Affäre um den Abgeordneten Beekhuis aus Großefehn wirkt wie eine Lokalposse. Doch sie zeigt die Verwundbarkeit des Parlamentarismus, da politische Karrieren in der Lokalpolitik keimen. Sie ist ein Beispiel dafür, wie Demokratie auf Steuerzahlerkosten zum Lebensraum für Karrieristen werden kann. Sie spielt bei der SPD, betrifft aber alle Parteien. Die Botschaft lautet: Obacht bei der Kandidatenwahl.

Wiard Siebels beansprucht für sich, bei Beekhuis schon früh ein schlechtes Gefühl gehabt zu haben. Siebels, 41, war Juso-Vorsitzender im Landkreis Aurich, als Beekhuis dazukam. Beekhuis, so erzählt es Siebels, habe nicht politisch gestritten, sondern bald angefangen, seine Arbeit zu sabotieren. "Das hat dazu geführt, dass ich ein abschließendes Gespräch mit ihm geführt habe." 20 Jahre ist das her, seither waren Siebels und Beekhuis Gegner.

Siebels, ausgebildeter Bankkaufmann mit abgebrochenem Jurastudium, kam mit 29 für den Wahlkreis Aurich in den Landtag. Beekhuis machte 2006 seinen Magister in Politikwissenschaft, leitete später das Wahlkreisbüro der Bundestagsabgeordneten Karin Evers-Meyer, wurde 2011 Fraktionschef der SPD im Auricher Kreistag und war 2017 zur Stelle, als die Partei im Nachbar-Wahlkreis Wittmund/Inseln jemanden für die Landtagskandidatur suchte. Die Wunschkandidatin war abgesprungen. Beekhuis, charmant, jung, trotzdem schon erfahren, schien geeignet. "Ich habe zu jedem gesagt, du darfst nicht auf den reinfallen", sagt Siebels. Roswita Mandel, Kreisvorsitzende der SPD Wittmund, erinnert sich an die Warnung. Aber Beekhuis habe beschwichtigt und von einem Neuanfang in Wittmund gesprochen. Beekhuis ein schlechter Charakter? Habe sie sich nicht vorstellen können. Außerdem herrschte Zeitdruck. "Finden Sie mal einen neuen Abgeordneten."

Mit 100 Prozent Zustimmung machte die SPD Wittmund Beekhuis zum Landtagskandidaten. Im Herbst 2017 gewann die SPD die Landtagswahl. Beekhuis wurde Mitglied des Landtags.

Abgeordnete sind Statthalter des Wahlvolkes und werden von diesem mit Steuergeld auskömmlich bezahlt. Aus gutem Grund ist ihre Freiheit vor dem Gesetz ein wertvolles Gut. Abgeordnete brauchen Machtbewusstsein, Netzwerke, Durchsetzungsvermögen - aber ihr Ego hat letztlich im Dienste der anderen zu stehen. "Ich will Teil der Menschen sein", sagt deshalb Siemtje Möller, wenn man sie nach ihrer Haltung zum Abgeordneten-Dasein fragt.

Siemtje Möller, 35, ursprünglich Lehrerin, sitzt für den Wahlkreis 26 Friesland/Wilhelmshaven/Wittmund im Bundestag. Briefe, Ortstermine und Gespräche in ihrer Region sind die Quellen für die Themen, die sie dann nach Berlin trägt. "Das Plenum ist der Ort, an dem die Abgeordneten im Sinne von Bund und Ländern über ihren Wahlkreis sprechen können." Siemtje Möller hat so schon einiges erreichen können, etwa eine millionenschwere Bundesförderung für das Deutsche Marinemuseum in Wilhelmshaven. Beekhuis wäre im Grunde ein wichtiger Partner für sie, um Projekte aus Wittmund anzuschieben. Aber: "Es hat sich kein konkretes Projekt herauskristallisiert." Und nach den Chats, in denen es auch gegen sie ging, sagt sie: "Klar, dass ich mit der Person nicht länger zusammenarbeiten will."

Beekhuis selbst lässt drei SZ-Anfragen unbeantwortet. Sein Profil muss man aus Beobachtungen herleiten, aus Gesprächen mit anderen und aus der Lektüre besagter Chats. Sie stammen aus der Veröffentlichung eines Hackers, der Ende 2018 eine ganze Litanei von Abgeordneten-Dateien illegal ins Netz stellte. Jene von Jochen Beekhuis wären wohl untergegangen, wenn nicht der Anzeiger für Harlingerland einen Hinweis bekommen hätte und aus dem Ordner ein Beispiel für Beekhuis' Kampf gegen parteiinterne Widersacher zog.

Die Chats wirken teilweise wie aus dem Textbuch für lokalpolitisches Netzwerken. Mit einigen Freunden pflegt Beekhuis darin einen Wortschatz, der über die Schmerzgrenze hinaus derb ist. Die mutmaßliche Intrige, die im Wahlkreis besonders auffiel, war Beekhuis' Gegenschlag zur Kritik Roswita Mandels und anderer, dass er trotz seines Mandats für Wittmund noch im Landkreis Aurich wohnt. In den Chats sieht es so aus, als würde er im Namen Dritter Leserbriefe verfassen lassen, in denen Mandel in seinem Sinne schlecht wegkommt. "Weshalb nun die Unterbezirksvorsitzende Roswitha Mandel den Landtagsabgeordneten Beekhuis öffentlich angreift, kann ich nicht nachvollziehen", heißt es in dem Brief, den er dem Freund vorlegt und mit dessen Namen der Brief unterschrieben ist. "Geil", antwortet dieser. "Ist mir doch sehr aus der Seele geschrieben muss ich sagen." - "Habe noch ne andere Version, gegen Mandel und Möller", schreibt Beekhuis und sendet "Leserbrief II". "Auch sehr gut", antwortet der Freund.

Diese Absprache wirkt wie ein Buben-Streich. Aber sie spiegelt das Niveau eines Landtagsabgeordneten, der über die Belange Niedersachsens mitbefindet. Und der Eindruck wird nicht besser, wenn man Beekhuis im Landtag beobachtet.

Es ist der letzte Mittwoch vor der Sommerpause. Beekhuis erscheint pünktlich, begrüßt einzelne Angeordnete mit lässigem Handschlag. Er plaudert, er setzt sich. Während die Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) andächtige Worte zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke spricht, tippt Beekhuis etwas in sein Handy. Danach ist sein Platz meistens leer. Bei den Abstimmungen ist er da. Dazwischen ein Interview über sozialdemokratische Werte? Beekhuis sagt: "Ich habe jetzt ein Gespräch."

Landtagsreden von Beekhuis gibt es nicht. Auch in seiner Zeit als Fraktionschef der Auricher SPD soll er allenfalls mit Grußworten aufgefallen sein. Wer ihn mag, lobt seine Präsenz im lokalen Raum. Andere beschreiben ihn als Strippenzieher, der Leute mit einer Mischung aus Kumpelhaftigkeit und Autorität arbeiten oder fallen lässt.

Ostfrieslands SPD ist an der Sache zerbrochen. Roswita Mandel sagt, ein Ortsverein rede nicht mehr mit dem Wittmunder Kreisverband. Und nun? Nach dem Urteil des Bezirksvorstands? Beekhuis' Anwältin verschickte schon vorher eine Pressemitteilung, in der sie von Vorverurteilung und Datenhehlerei spricht. Den Vorwurf, Beekhuis sei frauen-, behinderten- oder homosexuellenfeindlich, weist sie zurück. Dass Jochen Beekhuis seinen Landtagssitz räumt, ist unwahrscheinlich. Muss er ja auch nicht. Wählerinnen und Wähler haben ihn in Niedersachsens Parlament geschickt, und gegen deren Willen kann und will sich kein Demokrat auflehnen.

© SZ vom 24.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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