Sinologe Sebastian Heilmann:"So erkauft sich Peking Einfluss"

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Sebastian Heilmann, 52, ist Gründungsdirektor des Mercator-Instituts für China-Studien in Berlin. Der Politologe und Sinologe gilt als einer der führenden Chinaexperten in Deutschland. (Foto: Marco Urban/Merics/dpa)

Warum der Aufstieg des Landes zu einem neuen globalen Wettbewerb der Systeme führen dürfte.

Interview von Christoph Giesen

SZ: Herr Heilmann, die chinesische Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte war konsequent auf Nichteinmischung ausgerichtet: Ökonomisch war das Land ein Riese, politisch ein Zwerg.

Sebastian Heilmann: Diese Zeiten sind vorbei. China drängt auf die internationale Bühne. In seiner Eröffnungsrede zum Parteitag hat Staats- und Parteichef Xi Jinping es als "Mission" der Kommunistischen Partei Chinas bezeichnet, neue große Beiträge zum Fortschritt der Menschheit zu leisten. Es geht der KP nicht mehr nur um China, sondern um die ganze Welt. Der Dreisatz lautet nun: Mao Zedong hat China wieder aufgerichtet. Deng Xiaoping hat es wohlhabend gemacht. Und Xi Jinping führt China wieder in die historisch angestammte Position als starke, zentrale Macht in der Welt.

Wie stark?

China soll zu einem Zentrum der Weltpolitik werden. Das ist eine Abkehr von Deng Xiaopings Leitlinien, der China Zurückhaltung verordnet hatte. Wie Xi sich die Welt vorstellt, konnte man beim Seidenstraßengipfel im Mai in Peking beobachten. China lädt ein, und die Welt kommt. Entstehen soll ein Netz von Handelsbeziehungen und internationalen Institutionen mit China als Dreh- und Angelpunkt. Nur starke und wohlwollende Ankermächte wie China können aus Pekinger Sicht dauerhaft Stabilität und Frieden in der Welt sichern.

Wird China aggressiv auftreten?

Militärische Abenteuer sind nicht zu erwarten. Xi will ein "Weltklasse-Militär", um nationale Interessen und globale Gestaltungsansprüche Chinas zu untermauern. Das kann im schlechtesten Falle zu Konflikten in der Taiwan-Frage und im Südchinesischen Meer führen. Aber eine Planung von Angriffskriegen ist nicht zu erkennen. Chinas Führung will eine an chinesische Interessen und Leitprinzipien angepasste, stabile Weltordnung ohne neue Krisenherde.

Und wie soll das gelingen?

Durch den Export des chinesischen Modernisierungsmodells. Wir stehen am Anfang eines neuen Wettbewerbs der Systeme. Die gängige Interpretation in China ist: Der Westen ist im Niedergang, und die Volksrepublik ist befähigt, ihr Modell in die Welt zu tragen. Vom Westen geschaffene und dominierte internationale Institutionen werden durch die chinesische Diplomatie zurzeit von innen heraus verändert oder umgangen, indem Konkurrenzveranstaltungen gegründet werden.

Zum Beispiel?

Mit Ländern aus Mittel- und Osteuropa unterhält China das sogenannte 16+1-Format. Etliche EU-Mitgliedstaaten machen mit. Es fließt viel Geld, nach Ungarn etwa oder nach Tschechien. So erkauft sich Peking Einfluss. Dann gibt es noch die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit oder die Versammlung der Brics-Staaten. Auch eine neue multilaterale Investitionsbank sowie eine Ratingagentur wurden unter Chinas Führung gegründet. Im Fokus stehen derzeit vor allem die Anrainer in Asien sowie Staaten in Afrika und Südamerika. Dort führt China inzwischen auch verstärkt Schulungen für örtliche Politiker, Beamte und Unternehmer durch.

Das klingt nach Ideologiekursen.

Das Gegenteil ist der Fall. Chinesische Fachleute geben praktische Hinweise, sie erklären beispielsweise, wie man eine Millionenstadt in einem Schwellenland anlegt, den öffentlichen Personennahverkehr plant oder eine Kanalisation baut. Die entsprechenden Firmen aus China können dann rasch vermittelt werden. Schulungen, Ingenieurleistungen und Projektfinanzierungen werden als Paket angeboten. Die Botschaft ist: Wer dem chinesischen Erfolgsmodell folgen will, braucht eine geeinte und starke Regierung wie in China. Der westliche Wertekanon wird als Hemmnis auf dem Weg zur Modernisierung offen kritisiert und abgelehnt.

Welchen Einfluss hat Donald Trumps Präsidentschaft auf Chinas Neuausrichtung?

In China wird die Schwäche der USA als strategische Gelegenheit wahrgenommen. Konkret: Wenn Europa zunehmend von den USA abrückt, werden China und Europa immer engere Beziehungen in einem entstehenden "eurasischen" Wirtschaftsraum knüpfen. Chinas Seidenstraßen-Initiative treibt diese Entwicklung voran. In den kommenden Jahren werden wir in allen Ländern Europas, auch außerhalb der EU, verstärkte diplomatische Avancen und Großinvestitionen aus China sehen.

Europa ist also nicht sonderlich gut auf Chinas neue Außenpolitik eingestellt?

Die meisten Europäer erkennen nicht, was da auf sie zurollt. Viele nationale Regierungen folgen immer noch der irrigen Sicht, sie könnten ihre Interessen am besten bilateral mit China verfolgen. Der EU fehlen derzeit auf vielen Feldern die gemeinschaftlichen Instrumente, um mit China auf Augenhöhe zu verhandeln und europäische Interessen wirkungsvoll zu vertreten.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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