Sicherheitspolitik:Ernstfall für die Nato

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"Ein historischer Tag": Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußert sich zum US-Wahlergebnis. (Foto: Stephanie Lecocq/dpa)

Die Mitglieder der Allianz fragen sich besorgt, welche Rolle die USA dem Bündnis künftig beimessen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es sei, sagt der Nato-Generalsekretär, in vielerlei Hinsicht ein historischer Tag. Neben Jens Stoltenberg steht der finnische Präsident Sauli Niinistö. Dessen Land gehört dem westlichen Bündnis nicht an, zum ersten Mal überhaupt besucht ein finnisches Staatsoberhaupt das Nato-Hauptquartier. Was den Tag aber, und Stoltenberg steht das ins Gesicht geschrieben, wirklich historisch macht, ist ein Wahlsieg, der die Nato in ihrem Innersten erschüttert. Donald Trump hat im Wahlkampf zwar nicht die Abschaffung der Nato angekündigt. Sehr wohl aber hat er Dinge gesagt, welche - wären sie ernst gemeint - die Allianz in ihrer Existenz gefährden.

Dem Norweger Stoltenberg bleibt zunächst nichts übrig, als gleich am Morgen Glückwünsche nach Washington zu übermitteln - verbunden mit der diplomatischen Lüge, er freue sich auf die Zusammenarbeit mit dem gewählten Präsidenten. "Unsere Allianz hat die engsten Freunde Amerikas fast 70 Jahre lang in Zeiten von Frieden und Konflikt zusammengeführt", erinnert Stoltenberg. Es sind Worte, aus den Furcht spricht.

Zwar hat die Nato im US-Wahlkampf praktisch keine Rolle gespielt, doch ein einziger Satz Trumps genügte, um Schockwellen über den Atlantik zu schicken. Auf Beistand könnten Nato-Verbündete nur hoffen, hatte Trump der New York Times gesagt, wenn sie "ihre Rechnungen bezahlt" hätten. Die Forderung, dass die Europäer mehr für ihre Verteidigung ausgeben müssen, ist an sich nicht neu. Nicht ohne Erfolg verlangte das auch Barack Obama. Drohten die USA aber damit, säumigen Verbündeten den Schutz zu entziehen wie bei einer nicht bezahlten Versicherungspolice, würde sich das Beistandsversprechen nach Artikel 5 des Nato-Vertrages praktisch erledigen. Davor hatte Stoltenberg nur Tage vor der US-Wahl noch einmal gewarnt: "Wir sagen nicht: Wenn du nicht zahlst, verteidigen wir dich nicht. Wir verteidigen alle Alliierten gegen jede Bedrohung. Das ist grundlegend, um Stabilität zu erhalten und Konflikte zu verhindern."

In Brüssel herrscht die Furcht, Trump könnte einen Deal mit Wladimir Putin suchen

Am Mittwoch wiederholt Stoltenberg das nicht, aber er erinnert daran, dass die USA das einzige Mitgliedsland sind, für das bisher der Artikel 5 aktiviert worden ist. Nach dem 11. September 2001 hatte die Nato den Bündnisfall ausgerufen. Tausende Soldaten aus den Nato- und Partnerländern kämpften danach in Afghanistan. "Eine starke Nato ist wichtig für Europa, aber sie ist auch wichtig für die USA", sagt Stoltenberg. Fürs Erste gilt im Nato-Hauptquartier das Prinzip Hoffnung, dass auch Trump - der im Sommer zum Nato-Gipfel in Brüssel erwartet wird - zu dieser Einsicht gelangen möge.

Überlagert aber wird das von der totalen Ungewissheit darüber, welche Sicherheitspolitik der neue Präsident zu verfolgen gedenkt. Vor allem auch: mit welchen Leuten? Viele der in den transatlantischen Beziehungen seit Jahren vernetzten Republikaner hatten sich während des Wahlkampfs von Trump distanziert. Und so konziliant sie geklungen haben mag: In seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg sagte Trump nichts, was auf Interesse an den traditionellen Verbündeten der USA schließen ließe. Die größte Angst in Brüssel und vor allem den Hauptstädten der neuen Nato-Staaten ist nun, dass Trump auf Kosten Osteuropas einen Ausgleich mit Russlands Präsident Wladimir Putin suchen könnte.

Die Osteuropäer beeilen sich am Mittwoch jedenfalls mit Glückwünschen. "Die polnisch-amerikanischen Beziehungen sind eine wichtige Stütze der europäischen und transatlantischen Stabilität", betont Polens Präsident Andrzej Duda - und erinnert an die Zusage der US-Regierung, weitere Soldaten in Polen zu stationieren. Ob diese Zusagen noch gelten, weiß freilich keiner. Auch Nato-Generalsekretär Stoltenberg äußert vorsorglich die Erwartung, dass die Pläne für eine verstärkte Nato-Präsenz im östlichen Bündnisgebiet unverändert umgesetzt werden.

"Vielleicht sollte Europa jetzt aufwachen und mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen", gibt der Finne Niinistö zu bedenken. Das trifft die Stimmung vieler. Die Nato müsse erhalten bleiben, aber die Europäer müssten stärker werden, sagt der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn geht noch weiter: "Für die Sicherheit Europas ist die EU wichtiger als die Nato."

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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