Serie "Glaubenssache":Niederösterreich: Im Bann der Steine

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Bizarre Felsgruppen ziehen Esoteriker und Scharlatane ins Waldviertel im Norden Niederösterreichs- aber auch Menschen, die den Einklang mit der Natur suchen.

Michael Frank

Gnadenwald, was für ein Name. Über dem Inntal liegt hier, den Patscherkofel vor Augen, St. Martin, ein entrücktes Kirchlein, und unter gewaltigem Bergahorn eine Kapelle. Wer auf der Schwelle des winzigen Heiligtums steht, den durchrieselt ein seltsamer Strom, wie schwingende Wellen. Selbst argwöhnische Skeptiker vermögen sich solchem Fühlen nicht zu entziehen. "Das ist ein Kraftort", erläutert Margit Hudowernig .

Ein Kraftort? Das sind Erdpunkte, die Energie verströmen, Strahlung, Wellen, Kraft. Die temperamentvolle Frau mit dem roten Kurzhaar hat von Berufs wegen jüngst die Statik für die kühne Berg-Isel-Sprungschanze mitberechnet, hat also mit Dingen zu tun, die notwendig in fester Erde gegründet sein müssen. Die Kenntnis von den Kraftorten ist für sie normale Weltwahrnehmung, nichts Übersinnliches.

Margit Hudowernig kennt viele Kraftorte Tirols, und doch ist sie schon zweimal ins Waldviertel im nördlichen Niederösterreich gepilgert. Eine Gegend, wo auf kargen Äckern der Mohn betörend blüht, wo die Granitausläufer des Böhmerwaldes in bizarren, von schwarzem Tann umsäumten Felsskulpturen aus der Erde wachsen wie Tempel. Einige dieser natürlichen Stonehenges waren Kultorte von Kelten und anderen archaischen Urahnen. Von Menschenhand bearbeitet? Ausgeburten der Urkraft der Natur? Glaubenssache.

Weltzentrum Waldviertel

Das mythische Waldviertel ist zu einem Weltzentrum derer geworden, die an Magie glauben oder mit ihr leben. Zauberer, Hexen, Schamanen, Magier reisen nicht nur aus dem europäischen Umkreis an, kommen von den Höhen der Anden, den Wüsten Arabiens und den Dschungeln Südostasiens wie einst die Weisen aus dem Morgenlande.

In überlieferten Riten und Zeremonien, auch in Mummenschanz, der den Fantasy-Welten schlechter Computerspiele entsprungen scheint, werden Sonne, Licht, Erde, Wasser und Naturgeister beschworen, Zukunft und Vergangenheit gedeutet. Feuerriten, Runen, Steinkreise - da sind die, die in wabernden Mythen Erleuchtung und Heilung versprechen. Dabei wird gutes Geld verdient, das eine verzückte Klientel gerne gibt. Doch dann sind da jene, die nur die Einheit von Mensch und Natur wiedergewinnen wollen, die die Welt mehrdimensional sehen, einschließlich der "ganz normalen" immateriellen Dinge.

Viele Pilger kommen extra ins dunkle Waldviertel, "um das Licht zu sehen". Diesen Zustand "vermag man nicht mit Worten zu beschreiben", sagt Michael Lackinger, ein nur leicht ergrauter, rüstiger Rentner. "Wer das erlebt hat, sagt Dankeschön und geht." Der katholische Begriff der Verklärung vermag nach Lackingers Dafürhalten nur dürftig dieses Gefühl der Klarheit, Eindeutigkeit und Unverfälschtheit auszudrücken. Es ist ein langer Weg dorthin, den nur wenige erfolgreich gehen. Und es bedarf zur Vollendung eines Ortes besonderer Kraft.

Zwischen Himmel und Erde

Margit aus Tirol, die auch von Lackinger gelernt hat, sich die immateriellen Dinge in der Natur vor Augen zu führen, geht es hingegen eher darum, die Welt besser zu begreifen: "Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich unser stumpfer christkatholischer Hausverstand nicht träumen lässt. Ich wollte einfach die Dinge spüren und sehen, die sind, von denen uns Jahrhunderte immer naturfernerer Lebensweisen abgeschnitten haben." Es geht ihr nicht um pompöse Erweckungsereignisse. Sie ist froh darüber, Orte der Kraft finden zu können, den Segen guter Gedanken zu erspüren - und Geister zu sehen. Ja, Geister sehen ist eine bewährte Naturtechnik, sagt sie.

Michael Lackinger rät, auf die Alltagssprache zu vertrauen: "Woher stammt wohl dieser Satz, 'der hat einen sitzen'?" Ganz wie der Kinderglaube könne man sich das so vorstellen, dass jemandem ein dunkles Wesen im Nacken hockt, das unmerklich das Verhalten und Auftreten, aber auch das Erkennen und Begreifen der Umwelt verschattet.

Da auch Geistwesen Form und Farbe haben, hat man ihnen vereinfachende Kategorien aus der Fabelwelt zugeordnet, oder war es umgekehrt? Da wuseln Zwerge und Kobolde, da tanzen Feen und wesen schwarze und weiße Seelen. Während Margit derlei wenig greifbare Zeitgenossen in Tirol nur schemenhaft wahrzunehmen vermag, sind sie ihr im Waldviertel viel leibhaftiger begegnet, hat ein Kobold gar Schabernack mit ihr getrieben, haben Feen ihren Reigen gezogen.

Wie kommt man dazu, an Geister zu glauben? Den so freundlichen Herrn Lackinger macht die Frage etwas unwirsch. Es gehe um Dinge, "die sind". Geister sind, Kraftorte sind. "Das hat nichts mit Glauben zu tun." Auch Margit bestreitet, dass sie an Geister "glaube": Sie sieht sie, also ist das eine Frage des Wissens, kein esoterisches Geschwurbel.

Mutter Gertrude und die Stufen des Wissens

Und bei Gertrude Stein aus Kautzen im Waldviertel, die einfach nur "Mutter Gertrude" genannt werden will, huscht ein Zug leiser Herablassung über ihr damenhaftes Antlitz, wenn vom Glauben die Rede ist. Alle die da glauben, durchschreiten noch eine eher hilflose Phase des Suchens. Sie, Mutter Gertrude, repräsentiert gleichsam die höchste Stufe des Wissens: Des Weltwissens um den vollendeten Gleichklang des Menschen mit der Natur.

Das Zeitalter des Wassermanns sei angebrochen. Glaubt man Mutter Gertrude, wird es das der Friedfertigkeit sein, in dem die Menschen den Irrweg der Materialisierung begreifen werden; das die Menschen lehrt, dass sie alles, was sie erreichen können, in sich tragen: das Licht. Glauben, so meint sie, macht letztlich Angst, weil er Feinde braucht, den Unglauben, den Ketzer.

Glauben braucht Kreuze, Runen, Zeichen, Symbole - ebenfalls Mittel der Angst zur Beherrschung fremder Seelen. Gertrude Stein sieht sich mit ihrer Suche des Lichts allein im Menschen selbst weit hinausgewachsen über die esoterische Welt der Zeichen und Zeremonien. Aber die Orte der Kraft sind für das Erkennen, so meint sie, wenn nicht unentbehrlich, so doch äußerst hilfreich. Sie hat eine Schule gegründet, die den Menschen auch dieses Wissen vermittelt.

Im Fenster des alten Anwesens der Familie Stein am Hauptplatz in Kautzen hockt ausgestopft - ein Kauz. Der Ort ist ökologisch vom Wirken des inzwischen verstorbenen Mannes von Frau Stein, eines Architekten und Ökologen, geprägt. Von ihm stammt das beste Beispiel, wo Glaube hinführt. Er war es, der den Platz des Skorpions wiederentdeckt hat, eine Felsgruppe, die im düsteren Gehölz mit Granitkloben auf Erden nachvollzieht, was die Sterne am Firmament im Skorpion vorzeichnen.

Er vermaß, fotografierte, deutete; Schlangensteine, den Gebärstein, den Sonnenstein, das Warzenbrünnl, allesamt in der Überlieferung wundertätige Orte. Daneben ein Wiesendreieck, angesichts dessen Herrn Stein der Dänikensche Hafer stach: Er gab die Brache zum Scherz als Landeplatz außerirdischer Geistnaturen aus. Weltweit ein Echo wie Donnerhall. Noch heute pilgern Ufologen und Raumspäher herbei, um die aus dem All zu begrüßen, obwohl der Urheber seinen dummen Witz sofort als solchen enttarnt hatte: Von Stund ' an Glaubenssache, unausrottbar.

Dennoch sieht Mutter Gertrude hier ein Beispiel der Wassermann-Epoche, der gutherzigen Zeit. Während der Nazi-Herrschaft gab es am Platz des Skorpions ein Versteck für verfolgte Roma, die nie verraten und von Verschworenen mit dem Nötigsten versorgt wurden. Während sie das erzählt, turnt die zartgliedrige Gertrude, die vorgibt, nicht einmal ihre Kinder und Enkel mit ihrer Lehre zu beglücken, mit bloßen Füßen über das Urgestein, als liebkose der Fels ihre Sohlen.

Zur Deckung der Selbstkosten

Mutter Gertrude, Michael Lackinger sind gute Beispiele dafür, dass die nach eigener Ansicht "Wissenden" gegenüber den "Glaubenden" meist wenig anfällig für Geldschneiderei und faule Geschäfte sind. Lackinger ist Rutengänger, pendelt, beherrscht die Hellsichtigkeit, eine imaginative Diagnosetechnik, vertreibt schwarze Geister.

Alles Dinge, die seinem Urteil nach nichts mit Glauben zu tun haben, nicht einmal mit besonderer Eignung: Erlernbar seien sie, sauberes Handwerk. "Die Fragestellung ist alles! Man sieht, was man sehen will, eine Welt, die Geister nicht sehen will, sieht sie nicht." Lackingers Honorare decken gerade mal die Selbstkosten.

Orte der Kraft

Altertümlicher Mummenschanz und Hokuspokus von Leuten, die Pseudonyme wie "Merlin" führen, macht die "Wissenden" misstrauisch. Einen Ursprung des esoterischen Rummels und Verstärker des spiritistischen Unfugs, den die wahren Geisterseher verachten, orten sie darin, dass die Kirche ihre magische Kompetenz eingebüßt hat. "Welcher Priester weiß noch, dass die meisten alten Kirchen mit dem Hauptaltar auf einem Ort besonderer Kraft gebaut wurden," fragt Lackinger. Das erkläre auch, warum heidnische und christliche Kultstätten meist den selben Ort suchten.

Eines steht für Menschen wie Margit, Michael und Mutter Gertrude jedenfalls fest: Diese Dinge, diese Orte der Kraft, die sind, so wie die Natur ist. Doch warum offenbart sich diese Kraft ausgerechnet im Waldviertel? Lackinger glaubt gar nicht, dass es hier mehr Kraftorte gebe als sonstwo. In dieser abgelegenen Weltecke seien sie nur wirksamer, noch unverfälschter. Der Mensch und sein Denken schöpfen von den Kraftorten, da sind sich alle einig. Der Mensch kann sie aber auch verderben - oder heiligen.

© SZ vom 27.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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