Selbstzensur:Neue Feigheit

Es ist fatal, wie digitale Technologien die Nutzer erziehen.

Von Andrian Kreye

Spätestens wenn es ein Schlagwort für ein gesellschaftliches Phänomen gibt, hat es sich durchgesetzt. Das gilt auch für das "Social Cooling", wie so viele Begriffe aus der digitalen Welt ein Anglizismus und beim diesjährigen Kongress der digitalen Bürgerrechtsorganisation Chaos Computer Club ein Schwerpunktthema. Was wörtlich übersetzt "gesellschaftliche Abkühlung" heißt, umschreibt eine gesamtgesellschaftliche Selbstzensur, weil sich niemand der digitalen Dauerbeobachtung entziehen kann. Dazu gehören Datensammlungen der Verkaufsportale genauso wie Chronistenfunktionen der sozialen Medien und die Überwachung der digitalen Sphäre und öffentlichen Räume durch Geheimdienste.

Ernsthafte Folgen haben die Datensammlungen durch die Ranglisten der Kreditinstitute, Versicherungen und Personalabteilungen, die damit die Vertrauenswürdigkeit einer Person errechnen. Kein Wunder also, wenn sich die Menschen ein wenig zu gut benehmen.

Es geht beim "Social Cooling" aber nicht um Umgangsformen, sondern um freiwillige Selbstkontrollen in der Öffentlichkeit, bei der freien Meinungsäußerung und bei der Risikobereitschaft. Wer ständig beobachtet und bewertet wird, will nicht auffallen. Das ist keine kulturpessimistische Science-Fiction, sondern messbar. So erziehen die digitalen Technologien ihre Nutzer zu Konformisten und Feiglingen, die sich immer leichter steuern lassen.

© SZ vom 30.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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