Selbstmord-Attentäterin:Konvertiert zur Kriegerin

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Verdacht nach Glaubensübertritt: Die Berliner Polizei kommt einer deutschen Muslimin auf die Spur, die als Selbstmord-Attentäterin auch ihr Kind mit in den Tod nehmen wollte.

Annette Ramelsberger

Die Damen quälen normalerweise die eher kleinen Fragen des muslimischen Glaubens: Darf ich mich als Muslimin schminken? Wem darf ich außerhalb der Familie die Hand geben? Wie verhält sich die gläubige Frau, wenn sie ihre Tage hat? Und was ist, wenn ich mich dummerweise in einen Christen verliebe? Nichts, was für die Sicherheitsbehörden auch nur im Entfernstesten Anlass zur Sorge sein könnte.

Die Erste ihrer Art: Die Konvertierte Muriel Degauque aus Belgien sprengte sich im November im Irak in die Luft, ein US-Soldat erlitt dabei Verletzungen. (Foto: Foto: AP)

Allerdings tauchte Anfang April in jenem Internet-Forum, in dem muslimischen Frauen über ihre Alltagssorgen chatteten, plötzlich eine andere Frage auf. Und die hatte nichts mehr mit Alltag zu tun: Ist es, hieß es da sinngemäß, einer Muslimin erlaubt, zu einem Selbstmordanschlag im Ausland ihr Kind mitzunehmen?

Was die Glaubensschwestern der Fragerin rieten, ist nicht verbürgt. Die Polizei jedoch, die diesen Chat mitbekam, reagierte umgehend.

Sie identifizierte die anonyme Fragerin im Internet als 40 Jahre alte Deutsche aus Berlin, die zum Islam konvertiert war und tatsächlich ein kleines Kind hat, gerade ein Jahr alt.

Es folgte eine Wohnungsdurchsuchung, nach der die Polizei offiziell erklärte, dadurch habe sich "die Gefahrenlage nicht entkräftet". Übersetzt heißt das: Die Beamten fanden Hinweise darauf, dass die Frau es ernst meint mit ihrem Plan.

Die Frau kam kurzzeitig in eine psychiatrische Klinik, doch die hat sie längst wieder verlassen und bewegt sich nun frei in Berlin. Denn es ist nicht verboten, aus Deutschland ausreisen zu wollen - und ob die Frau sich wirklich als Selbstmordattentäterin in die Luft sprengen wollte, ist schwer zu beweisen.

Keine Heimchens am Herd mehr

Doch die Behörden in Berlin nehmen den Vorfall sehr ernst. Die Polizei bestätigte am Dienstagabend offiziell die zunächst schier unglaubliche Geschichte. Die Frau habe im Internet berichtet, dass sie "einen Selbstmord unter Inkaufnahme der Tötung oder Verletzung Dritter im Ausland" plane, heißt es in der Erklärung hölzern.

Offenbar hatte die Frau auch in Vernehmungen nach der Haussuchung nichts zurückgenommen, denn die Poliezi berichtet auch von ihrer Motivlage: Sie habe erklärt, sie hoffe "auf diesem Wege Einzug ins Paradies zu erhalten". Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie ihr Kind mit in den Tod nehmen würde. Dass die Frau nun auf Schritt und Tritt beobachtet wird, gilt als sicher.

Die verhinderte Dschihadistin aus Berlin bestätigt gleich zwei Sorgen der Sicherheitsexperten. Sie beobachten seit Jahren, wie immer mehr europäische Konvertiten aktiv in der Islamisten-Szene mitmischen. Und sie erkennen, dass die muslimischen Frauen sich nicht mehr auf die Rolle des Heimchens am Herd begnügen.

"Die 150-Prozentigen"

"Wir haben eine nicht zu unterschätzende Konvertitenszene hier", sagt Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD). "Und gerade Konvertiten sind oft die 150-Prozentigen."

Mehr als tausend Deutsche sind 2005 zum Islam konvertiert, rechnet das Islam-Archiv in Soest vor. Früher waren es immer nur rund 350 Deutsche, die pro Jahr den Schritt gingen. Doch viele deutsche Frauen heiraten Muslime - und nehmen den Glauben der Männer an. So sind 62 Prozent der 14.000 deutschen Konvertiten Frauen.

Unter den Neu-Muslimen scheint eine besondere Neigung zur Übertreibung zu herrschen. In Deutschland ist vor allem Christian G. bekannt geworden, der von Polen nach Deutschland übersiedelte und zum Islam übertrat.

Der Attentäter von Dscherba hatte G. kurz vor dem Anschlag um "Gottes Segen" gebeten. Er sitzt in Frankreich im Gefängnis. Auch der britische "Schuhbomber" Richard Reid ist Konvertit. Aus Deutschland zogen islamistische Konvertiten nach Tschetschenien, um dort zu kämpfen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hält die Szene der Konvertiten für so bedrohlich, dass es ein eigenes Projekt dazu gibt.

"Wir rennen nicht hinter jeder Frau her, die ein Kopftuch trägt", sagt die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid. "Wir sind doch keine Religionspolizei." Aber, sagt Berlins Innensenator Körting, manche Konvertiten könnten den Islam nicht vom Islamismus unterscheiden. Weil viele wegen ihres späten Übertritts zum Islam einen Minderwertigkeitskomplex hätten, müssten sie beweisen, dass sie besonders überzeugt sind.

Und, sagt Körting, bei den konvertierten Frauen aus Deutschland komme noch etwas hinzu: Deutsche Musliminnen fühlten sich oft als gleichberechtigte Kämpferinnen und seien deshalb eher bereit, in den Dschihad zu ziehen. "Perverserweise wird das offenbar von manchen als Form der Gleichberechtigung gesehen", sagt Körting.

Gestandene Frauen

Es sind gerade nicht die ganz jungen, begeisterungsfähigen Mädchen, die für den Heiligen Krieg entbrannt sind - es sind gestandene Frauen, die sich dafür entscheiden. So wie die Belgierin Muriel Degauque, die schon 38 Jahre alt war, als sie vergangenes Jahr in den Irak zog - und sich dort im November als Selbstmordattentäterin in die Luft sprengte.

Die Frau aus Brüssel hatte drei Jahre zuvor einen Marokaner geheiratet, war zum Islam übergetreten und hatte sich immer mehr verhüllt - bis sie am Ende sogar Handschuhe trug, damit kein Fitzelchen Haut mehr zu sehen war. Selbst ihren Eltern wollte sie vorschreiben, dass Vater und Mutter nun getrennt ihre Mahlzeiten einnehmen sollten. Auch die Berlinerin, die nun über den Irak "ins Paradies" gehen wollte, ist kein junges, unbesonnenes Mädchen. Immerhin ist die Frau schon 40 Jahre alt.

Bisher begnügten sich islamistische Frauen meist, ihre Söhne in den Kampf zu schicken, wie die Palästinenserin Mariam Farhat, die "Mutter der Märtyrer". Ihr Sohn Mohammed war in eine israelische Siedlung eingedrungen und hatte fünf Israelis erschossen. Danach starb er im Kugelhagel. Doch die Mutter nannte den Tod des Sohnes einen "Segen" und wünschte, sie hätte 100 Söhne, die sie "im Kampf gegen Israel opfern könnte".

Solch zynische Haltung ist nicht auf den Nahen Osten beschränkt. Auch in einer deutschen Moschee spielte sich vor wenigen Jahren eine erstaunliche Szene ab. Einer Glaubensbruder war als Kämpfer in Tschetschenien umgekommen. Seine Witwe erklärte in der Moschee nicht etwa, wie bestürzt sie sei. Sie sagte, sie sei stolz darauf, einen Märtyrer zum Mann zu haben. Nun werde sie auch ihren Sohn in den Heiligen Krieg schicken. Die Menschen in der Moschee applaudierten - so steht es in vertraulichen Berichten der Behörden.

Kein Widerspruch zum Koran

Die Frauen haben in der Islamistenszene nicht mehr nur die Dulder-Rolle. "Es stimmt nicht, dass die Frauen in dieser Szene nichts zu sagen haben", sagt Verfassungsschützerin Schmid. "Es gibt auch aktive Islamistinnen, und das nehmen wir sehr ernst."

Bayerische Verfassungsschützer beobachten, wie muslimische Frauen in Internetforen ausgiebig über die Fatwa des arabischen Muslim-Ideologen Aradami diskutieren, der erklärt hat, die Beteiligung von Frauen am Dschihad widerspreche nicht dem Koran. Und neuerdings machen die Sicherheitsbehörden unter gewaltbereiten Islamisten auch einzelne Frauen aus.

Nur die zwei Freundinnen, die die zum Selbstmord bereite Berlinerin angeblich mit in den Irak nehmen wollte, die haben sie noch nicht gefunden. Die Rede war von zwei Frauen aus Süddeutschland, die in engem Kontakt zu der Berlinerin stehen und ebenfalls Attentate planen. "Darauf haben wir keinerlei Hinweise", sagt der Sprecher der bayerischen Verfassungsschützer, Robert Bihler. Auch die Baden-Württemberger wissen von solchen Hinweisen nichts.

Das Berliner Jugendamt hat der verhinderten Selbstmordattentäterin unterdessen ihr Kind weggenommen. Es wird jetzt dort gehütet, wo es nicht als lebende Bombe betrachtet wird.

© SZ vom 1.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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