Schweizer Außenpolitik:Aufbäumen, abwarten, einknicken

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Die helvetische Außenpolitik zeichnet sich durch eine neue Kurzatmigkeit aus - nun gerät die Berner Regierung in Bedrängnis.

Thomas Kirchner

Wenn das Wort "Marignano" fällt, steht es schlecht um die Schweiz. Im Parlament war es neulich wieder so weit. Bei einer Aussprache über die Regierungspolitik verglichen Abgeordnete die Lage des Landes mit jener verheerenden Niederlage im Jahre 1515, die die Eidgenossen zur Einsicht brachte, sich nie mehr in "fremde Händel" einzumischen.

Der Schweizer Finanzminister Merz nannte das Bankgeheimnis "nicht verhandelbar" - und gab dann kurzerhand nach. (Foto: Foto: Reuters)

"Was ist nur aus der stolzen Schweiz geworden?", klagt die Zeitung Blick. Von Tag zu Tag wachse im Volk das Unbehagen über die politische Führung.

Zur Klage gibt es Anlass: Gerade bei schicksalhaften Entscheidungen hat der Bundesrat, die aus sieben Mitgliedern bestehende Kollektiv-Regierung, zuletzt versagt. Der Umgang mit dem Bankgeheimnis, Nationalheiligtum wie die abgestürzte Swissair, endete im Fiasko.

"Nicht verhandelbar" sei es, hatte Finanzminister Hans-Rudolf Merz kurz vorher noch versichert, um am schwarzen Freitag, dem 13. März, die Amtshilfe bei Steuerhinterziehung und damit das Ende des Bankgeheimnisses zu verkünden.

Nicht als Frucht gründlicher Überlegung, vielmehr gab die Regierung aufgrund des bedrohlich steigenden internationalen Drucks fast über Nacht einen Wettbewerbsvorteil preis, den sie jahrzehntelang zäh verteidigt hatte.

Doch kam der Druck nicht nur von außen: Es war die Großbank UBS, die dem Bundesrat keine Wahl ließ. Weil dem weltgrößten Vermögensverwalter wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung der Verlust der US-Lizenz drohte, wies die Regierung die Finanzmarktaufsicht Ende Februar an, den amerikanischen Behörden Daten von 255 US-Kunden preiszugeben. Damit war das Bankgeheimnis praktisch perdu.

In letzter Sekunde hatte der Bundesrat auf ein US-Ultimatum reagiert, obwohl er über die amerikanischen Absichten seit Monaten im Bilde gewesen war. Gleichzeitig hebelte er den eigenen Rechtsstaat aus, weil Beschwerden von US-Kunden noch bei Schweizer Gerichten anhängig sind.

Unter "Justizbehinderung" firmiert auch ein weiterer Fall von Regierungsversagen: die Affäre um die Brüder Tinner. Die Schweizer Ingenieure hatten Pakistan Know-how für Kernwaffen geliefert - toleriert von den Berner Behörden - und waren später von der CIA rekrutiert worden. Offensichtlich auf US-Druck hin ordnete der Bundesrat die Vernichtung aller Tinner-Akten an und nahm der Schweizer Justiz damit jede Möglichkeit, den beiden den Prozess zu machen.

Phase vier: die Suche nach dem Sündenbock

Die Schweizer Regierung als Getriebene, überfordert in der Krise: Wenn das Wetter rau wird, versucht sie die Probleme zu verdrängen, um dann doch nachzugeben, alles ohne Strategie. Ähnlich verlief es in den neunziger Jahren beim Streit um die nachrichtenlosen Konten von Holocaust-Opfern, als die USA und der Jüdische Weltkongress das Verhalten der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs anprangerten.

"Erpressung", hieß es in Bern zunächst, und dass man sich korrekt verhalten habe in schwerer Zeit. Eine unabhängige Historiker-Kommission, deren Einsetzung die Regierung später akzeptieren musste, zeichnete ein anderes Bild.

Der Zürcher Tages-Anzeiger meint ein Muster zu erkennen: "Aufbäumen, abwarten, einknicken" laute das "Schweizer Krisenrezept". Hinzuzufügen wäre noch Phase vier, die Suche nach einem Sündenbock: in den Neunzigern waren es Linke wie Jean Ziegler, heute wortmächtige Kritiker wie der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück.

Die Suche nach dem Grund der Kurzatmigkeit in außenpolitischen Krisen führt weit zurück. Das politische System der Schweiz mit seinen starken Volksrechten entwickelte sich im späten 19. Jahrhundert, um die im Bürgerkrieg 1848 unterlegenen konservativ-katholischen Kreise in den Bundesstaat zu integrieren.

Im 21. Jahrhundert zeigt dieses System Schwächen. Mit innenpolitischen Problemen könne die direkte Demokratie gut umgehen, sagt der Publizist Roger de Weck. Es werde einfach - wie beim Frauenwahlrecht oder der Einführung der Mehrwertsteuer - immer wieder abgestimmt, bis die Dinge zur Entscheidung reiften. "Außenpolitisch geht das nicht, da gibt es meist nur einen Versuch, hier ist die direkte Demokratie schnell überfordert." Und seit dem Ende des Kalten Krieges sind die Konflikte härter.

Ein weiterer wichtiger Krisenfaktor ist die Dominanz der Großbanken. Einerseits wirtschaftlich: Die Bilanz von UBS und Credit Suisse beträgt ein Vielfaches des Schweizer Bruttoinlandsprodukts - in der Fachsprache ein "Klumpenrisiko". Aber auch politisch: Den Banken ist es gelungen, den Eindruck zu erwecken, ihre Interessen deckten sich mit jenen des Landes.

Schon immer sei der Schweizer Staat "Vollzugsgehilfe der Bankeninteressen" gewesen, schreibt der sozialdemokratische Ex-Abgeordnete Rudolf Strahm im Tages-Anzeiger.

Auch beim Bankgeheimnis habe die UBS der Politik wieder die Feder geführt, etwa in Gestalt von Eugen Haltiner, Präsident der Finanzmarktaufsicht, Freund des Finanzministers - und ehemaliger hoher UBS-Mann.

Folgen der Isolation

Die Hörigkeit der Politik hat damit zu tun, dass vor allem die bürgerlichen Parteien ohne die großzügigen Spenden der Banken nicht existieren könnten; aus der Bundeskasse erhalten sie keinen Rappen. Seit Jahren fordern die Sozialdemokraten eine staatliche Parteienfinanzierung, was am bürgerlichen Widerstand scheitert. Zumindest die klamme UBS beschloss vor kurzem, den Parteien vorerst kein Geld mehr zu geben.

Aber hapert es nicht auch an Führungskraft in der Regierung selbst? Über eine "Staatsleitungsreform" wird seit Jahren ergebnislos diskutiert. Es brauche mindestens neun statt sieben Minister, denen Staatssekretäre helfen sollten, heißt es. Und die einjährige Amtszeit des Bundespräsidenten sei auf vier Jahre zu verlängern, seine Kompetenzen auszuweiten.

Auch die ewige Europa-Debatte taucht wieder auf, wie immer, wenn die Schweiz die Folgen ihrer Isolation spürt. Innenminister Pascal Couchepin hat laut über einen EU-Beitritt nachgedacht, was in jüngster Zeit tabu war. Vielleicht rücke er nun doch näher, sagt Roger de Weck.

Jetzt wo das Bankgeheimnis gefallen sei, brauche die Schweiz zumindest in dieser Hinsicht als EU-Mitglied keinen Nachteil mehr zu befürchten.

© SZ vom 22. April 2009/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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